Transkript
CongressSelection
Kongressnotizen
Neue Daten zum Reizdarmsyndrom
Depression fördert gestörte Schmerzwahrnehmung im Darm
Der Reizdarm (irritable bowel syndrome – IBS) ist die mit Abstand häufigste Darmerkrankung. Die Prävalenz in der Gesamtbevölkerung wird mit bis zu 23 Prozent angegeben (1). Depression und Angststörungen sind häufige Komorbiditäten des Reizdarmssyndroms. Laut einer kürzlichen Studie sind 38 Prozent der IBS-Patienten von einer klinisch bestätigten Depression betroffen, und 38 Prozent litten unter einer Angststörung. In der gesunden Vergleichsgruppe dieser Studie wurde die Prävalenz der Depression mit 6 Prozent und diejenige der Angststörungen mit 13 Prozent angegeben (2). Aktuelle Daten weisen nun in Richtung einer gestörten Verarbeitung viszeraler Schmerzreize in den Gehirnen von IBSPatienten. Diese Auffälligkeiten sind umso ausgeprägter, wenn Patienten deutlichere Anzeichen einer Depression zeigen. Im Rahmen der UEG-Week 2014 in Wien präsentierte Prof. Dr. med. Sigrid Elsenbruch von der Universität Duisburg-Essen Daten, die zeigen, dass Depression, aber nicht Angststörungen zur pathologischen Schmerzverar-
beitung im Rahmen des Reizdarmsyndroms beitragen. Untersucht wurden diese Zusammenhänge anhand der zentralen Schmerzinhibition unter Plazeboanalgesie. Elsenbruch: «Unsere Studie zeigt, dass IBS-Patienten weniger gut in der Lage sind, Schmerzsignale aus dem Darm zentral zu unterdrücken. Depression spielt dabei eine wichtige Rolle. Diese Ergebnisse bestätigen nicht zuletzt die komplexen Zusammenhänge zwischen Darm und Gehirn.» Im Rahmen der Studie wurden bei 17 Reizdarmpatienten und 17 hinsichtlich Alter und Geschlecht gematchten Kontrollen schmerzhafte rektale Reize gesetzt und die neuronale Aktivität in den Schmerzzentren mittels functioneller MRI (fMRI) registriert. Patienten und Probanden erhielten als Plazebo intravenöse Kochsalzlösung, die als Spasmolytikum ausgegeben wurde. Bei den gesunden Probanden zeigte sich unter Plazebo eine deutliche zentrale Schmerzinhibition. Diese war bei den IBS-Patienten signifikant geringer ausgeprägt und invers mit höheren Scores auf der Hospital Anxiety and Depres-
sion Scale (HADS) assoziiert (3). Allerdings könne man aus diesen Daten, so die Expertin, nicht schliessen, dass es sich beim Reizdarm um eine rein psychiatrische Erkrankung handle. Vielmehr liege vermutlich ein komplexes Zusammenspiel biologischer und psychologischer Faktoren vor, das erst in Ansätzen verstanden werde.
Reno Barth
Referenzen: 1. International Foundation for Functional Gastrointestinal Disorders (IFFGD): www.aboutibs.org/ site/what-is-ibs/facts/statistics 2. Shah E et al. Psychological disorders in gastrointestinal disease: epiphenomenon, cause or consequence? Ann Gastroenterol. 2014; 27 (3): 224–230. 3. Schmid J et al. Placebo analgesia in patients with functional and organic abdominal pain: a fMRI study in IBS, UC and healthy volunteers. Gut. 2014. pii: gutjnl-2013-306648. [Epub ahead of print]
Quelle: Pressekonferenz im Rahmen der UEG-Week 2014 in Wien.
Probiotika beim Reizdarm
Viele Hinweise, unklare Datenlage
«Wir denken heute, dass das Mikrobiom an der Entstehung der Reizdarmsymptomatik beteiligt ist. Daher ist es naheliegend, eine günstige Wirkung von Probiotika anzunehmen», sagt Dr. med. Viola Andresen vom Israelitischen Krankenhaus Hamburg. Die Rationale für deren Einsatz ist solide. Probiotika können das Darmmikrobiom beeinflussen, Immun- und Barrierefunktionen modulieren und Einfluss auf die Motilität des Darms nehmen. Studien zu diesen Wirkungen probiotischer Präparate gibt es bereits. So wurde in einer plazebokontrollierten Arbeit gezeigt, dass das probiotische Kombinationspräparat VSL# 3 bei Patienten mit IBS Blähungen deutlicher reduziert als Plazebo (1). In einer grossen Zahl von Arbeiten wurde die Wirksamkeit einzelner Bakterienspezies und –Stämme untersucht. Bifidobakterien und Laktobazillen sind dabei von besonderem Interesse. Es liegen auch bereits Daten zum Vergleich dieser Bakterien vor. So erwies sich Bifidobacterium infantis, nicht jedoch Lactobacillus salivarius als wirksam hinsichtlich der IBS-Symptomatik. In dieser
Arbeit stellten die Autoren auch pathophysiologische Untersuchungen an, die zum einen bei IBS-Patienten ein auffälliges und proinflammatorisches Verhältnis der Zytokine IL-10 und IL-12 zeigten. Darüber hinaus wurde dieses Verhältnis durch Bifidobacterium infantis günstig beeinflusst (2). In der Folge wurde Bifidobacterium infantis bei IBS in einer grösseren Studie und in mehreren Dosierungen untersucht. Dabei erwies sich das Probiotikum nur in einer der niedrigeren Dosen als wirksam. Andresen: «Was bedeutet das? Es bedeutet in erster Linie, dass wir noch sehr wenig über IBS und das Darmmikrobiom wissen.» Metaanalysen von randomisierten, kontrollierten Studien zeigten zumeist signifikante, aber bescheidene Wirksamkeit. Das gilt auch für die aktuellste Arbeit, die mehr als 40 randomisierte, kontrollierte Studien erfasste (3). Alle diese Studien hätten jedoch, so Andresen, erhebliche Schwächen. Vor allem würden in der Regel Untersuchungen mit unterschiedlichen Bakterienstämmen gemeinsam ausgewertet, was eine Vergleichbarkeit schwer bis unmöglich
mache. Alles in allem seien zahlreiche wesentliche Fragen rund um den Einsatz von Probiotika beim IBS noch ungelöst. Letztlich wisse man nicht, welche Bakterien für welche Patienten, wie lange und in welchen Dosierungen verabreicht werden sollen.
Reno Barth Referenzen: 1. Kim HJ et al. A randomized controlled trial of a probiotic combination VSL# 3 and placebo in irritable bowel syndrome with bloating. Neurogastroenterol Motil. 2005; 17 (5): 687–696. 2. O’Mahony L et al. Lactobacillus and bifidobacterium in irritable bowel syndrome: symptom responses and relationship to cytokine profiles. Gastroenterology. 2005; 128 (3): 541–551. 3. Ford AC et al. Efficacy of prebiotics, probiotics, and synbiotics in irritable bowel syndrome and chronic idiopathic constipation: systematic review and meta-analysis. Am J Gastroenterol. 2014; 109 (10): 1547–1561.
Quelle: «Altered intestinal microbiota composition in IBS: Does it affect clinical practice?», Symposium im Rahmen der UEG-Week 2014 in Wien.
2 Gastroenterologie • Januar 2015