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Hightech im Einsatz gegen den erhöhten Blutzucker
Von der Insulinpumpe bis zur künstlichen Betazelle
Technische Hilfsmittel haben die Diabetestherapie und den Alltag vieler Diabetiker in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Im Rahmen des EASD-Kongresses in Wien wurden auch aktuelle Outcome-Daten zu Insulinpumpen und konstanter Glukosemessung sowie Ergebnisse von Studien mit der «künstlichen Betazelle» vorgestellt.
Der Closed Loop, auch als «künstliches Pankreas» oder «künstliche Betazelle» bekannt, hat sich für diabetologische Device-Forscher schon beinahe zu so etwas wie dem Heiligen Gral entwickelt. Das Ziel ist ambitioniert: Es gilt, ein System zu schaffen, das dem Patienten Insulin in der richtigen, situationsangepassten Menge zuführt, wodurch Injektionen oder auch nur das Handling einer Pumpe überflüssig würden. «Beim Closed Loop haben wir einen Sensor, der den Blutzucker kontinuierlich misst und die Ergebnisse an ein Kontrollgerät weiterleitet. Dort wird in Echtzeit die erforderliche Insulindosis errechnet und das Ergebnis an eine Insulinpumpe übertragen», sagt Dr. med. Hood Thabit vom Institute of Metabolic Science der University of Cambridge. Mehrere Prototypen solcher Systeme befinden sich in klinischen Studien. Aus Sicherheitsgründen mussten die meisten dieser Studien entweder in Zentren oder zumindest unter genauer Überwachung durchgeführt werden. Closed-Loop-Systeme haben gewissermassen starke und weniger starke Einsatzbereiche. Ihre Stärke ist zweifellos die glykämische Kontrolle in der Nacht, da in dieser Zeit nicht gegessen wird und kaum Bewegung stattfindet. Gleichzeitig besteht Bedarf, denn nächtliche Hypoglykämien sind nach wie vor gefährliche Komplikationen der Insulintherapie. Der nächtliche Einsatz ist auch die bis anhin am besten in klinischen Studien untersuchte Indikation für den Closed Loop mit mehreren hochrangigen Publikationen im Jahr 2014 (1–3). Closed Loop über Nacht gilt mittlerweile als so sicher, dass die Studien unter normalen Lebensbedingungen der Patienten durchgeführt werden. Gar nicht beherrschbar für das künstliche Pankreas ist derzeit noch Sport, weil das System zu langsam auf die schnellen Veränderungen im Glukoseprofil reagiert.
Mit Closed-Loop-Systemen sicher durch die Nacht Thabit präsentierte im Rahmen des EASD-Kongresses 2014 eine Metaanalyse der kürzlich im Vereinigten Königreich durchgeführten Home-Studies mit Closed-Loop-Systemen (4). In die Analyse aufgenommen wurden Patienten aller Altersgruppen. Vom Design her waren die Studien gut vergleichbar. Die Patienten wurden zunächst über drei bis vier Wochen im Umgang mit der eingesetzten Pumpe und dem Sensor geschult. Danach folgen eine Optimierung der Insulintherapie und die Randomisierung in eine Gruppe, die auf Basis der konstanten Glukosemessung ihre Pumpe bediente (Kontrollgruppe), und in eine Gruppe, die über Nacht den Closed Loop
verwendete. Nach einer Beobachtungsphase von 21 Tagen folgten ein «Wash-out» von drei bis vier Wochen und dann ein Cross-over in die jeweils andere Gruppe. Das eingesetzte System (Florence D2) war nicht tragbar, sondern benötigte einen Laptop, der im Schlafzimmer aufgestellt werden muss. In den Studien erwies sich das Closed-Loop-System als überlegen. In der Zeit von Mitternacht bis acht Uhr morgens hatten Closed-Loop-Patienten einen niedrigeren durchschnittlichen Zuckerwert (7,9 vs. 8,7 mmol/l). Sie verbrachten mehr Zeit innerhalb des Glukosezielbereichs von 3,9 bis 8 mmol/l und weniger Zeit in den hyper- oder hypoglykämischen Regionen. Auch die Zahl der Nächte, in denen die Glukose unter 3,5 mmol/l fiel, war in den Closed-Loop-Gruppen geringer. Bei zwei der erwachsenen Probanden kam es zu schweren Hypoglykämien. Diese ereigneten sich im Closed-Loop-Arm, allerdings zu einem Zeitpunkt, zu dem der Closed Loop abgeschaltet war, und bei Patienten, die in der Vergangenheit immer wieder mit schweren Hypoglykämien hospitalisiert worden waren. In einem Fall lag ein klarer Bedienungsfehler vor. Beide Patienten überstanden den Vorfall ohne Folgeschäden. Den Patienten war es freigestellt, das System nach ihren Bedürfnissen zu verwenden oder nicht zu verwenden. Die meisten verwendeten den Closed Loop – und zwar bei 87 Prozent der infrage kommenden Nächte. Insgesamt liegen der Cambridge-Gruppe nun Daten zu 7619 Stunden mit einem künstlichen Pankreas vor. Das ist das gegenwärtig grösste verfügbare Datenset zu diesem Thema.
Konstante Glukosemessung hält Gefässe elastisch Mehrere aktuelle Studien zeigen auch, dass schon der Einsatz von Komponenten eines Closed Loops, nämlich Systemen zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) auf der einen und Insulinpumpen auf der anderen Seite, nicht nur Laborparameter, sondern auch Risikofaktoren für die weitere Entwicklung der Krankheit verbessert. In einer aktuellen Arbeit aus Polen wurde nun untersucht, ob der Einsatz von CGM bei jugendlichen Typ-1-Diabetikern Einfluss auf die endotheliale Funktion hat (5). Anlässlich der Präsentation der Daten wies Dr. med. Barbara Glowinska-Olszewska von der medizinischen Universität Bialystok auf die Bedeutung sowohl der Hyperglykämie als auch der Glukosevariabilität für die chronische Endothelschädigung im Rahmen eines Diabetes hin. CGM kann dazu beitragen, sowohl Hyperglykämien als auch exzessive Blutzuckerschwankungen zu vermeiden.
8 Diabetes • Dezember 2014
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In die Studie wurden 40 Patienten mit einem durchschnittlichen Alter von 14,6 Jahren und einem HbA1c von durchschnittlich 9,35 Prozent aufgenommen. Da die Bandbreite des HbA1c-Ausgangswerts sehr gross war, wurden die Patienten entsprechend ihrer glykämischen Kontrolle in drei Gruppen eingeteilt. Die Endothelfunktion wurde durch Bestimmung der Flow Mediated Dilation (FMD) der A. brachialis, eine nicht invasive Ultraschalluntersuchung, ermittelt. In der gesamten Population wurde durch den einmonatigen Einsatz von CGM eine Verbesserung der FMD und aller Parameter für die glykämische Variabilität beobachtet. Signifikante Verbesserungen des HbA1c-Werts traten bei 68 Prozent der Patienten ein. Nicht zuletzt zeigte die Studie auch, dass selbst gut eingestellte Patienten von CGM profitieren. Die deutlichsten Verbesserungen der FMD wurden nämlich bei Patienten mit einem HbA1c-Ausgangswert < 7,5 Prozent gesehen, während sich in dieser Gruppe die Parameter der glykämischen Variabilität nur wenig veränderten. Pumpentherapie reduziert die Proteinurie Von ganz erheblicher Bedeutung für die langfristige Prognose von Diabetikern ist die Nierenfunktion. Eine Albuminurie ist für die Entwicklung einer diabetischen Nephropathie ein tauglicher Marker, der sich im Zuge von Therapiestudien gut nachverfolgen lässt. Eine Gruppe des dänischen STENO-Instituts untersuchte nun, ob eine kontinuierliche subkutane Insulininfusion die Albuminexkretion im Vergleich zu mehrfachen täglichen Injektionen reduziert (6). Mit einer Beobachtungszeit von drei Jahren wurden diese beiden Strategien der Insulintherapie mit den Endpunkten Albuminurie, HbA1c und Nierenfunktion bei Patienten des Zentrums untersucht. Dazu wurden alle Typ-1-Diabetiker, die zwischen 2004 und 2010 im STENO-Center eine Pumpentherapie erhalten hatten und von denen Daten über drei Jahre verfügbar waren, in die Fallkontrollstudie aufgenommen. Diese 193 Patienten wurden mit 386 konventionell behandelten Patienten gematcht. Als Parameter für das Matching wurden Diabetesdauer, Geschlecht, HbA1c sowie Normo-, Mikro-, und Makroalbuminurie herangezogen. Das Albumin-Kreatinin-Verhältnis im Urin (UACR) wurde jährlich bestimmt. Zu Beginn der Studie lag die Diabetesdauer bei 23 ± 12 Jahren. 84, 12 respektive 4 Prozent zeigten eine Normo-, eine Mikro- und eine Makroalbuminurie. Die jährliche Veränderung des UACR betrug in der Gruppe der Patienten mit Pumpentherapie -11,3 Prozent, während das UACR bei den konventionell behandelten Patienten jährlich um 1,1 Prozent zunahm. Dieser Vorteil blieb auch nach Adjustierung hinsichtlich Diabetesdauer, Alter, Geschlecht und Ausgangswert der geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR), systolischem Blutdruck, HbA1c und RAAS-Medikation signifikant. Auch beim HbA1c kam es durch die Pumpentherapie zu einer Verbesserung von 1,2 Prozent, während unter konventioneller Injektionstherapie eine Verschlechterung von 0,2 Prozent beobachtet wurde. In einer multiplen Regressionsanalyse erwies sich neben der Pumpentherapie nur noch ein hohes UACR als assoziiert mit einem grösseren Rückgang der UACR. Die Autoren betonen, dass der ausgeprägte Rückgang der Albuminausscheidung unter Pumpentherapie nur teilweise durch die Senkung des HbA1c erklärt werden könne. Eine mögliche Ursache sei eine geringere glykämische Variabilität, was sich anhand der ihnen zur Verfügung stehenden Daten allerdings nicht beantworten lasse. Daher würden detailliertere und vor allem randomisierte Studien zu dieser Fragestellung gefordert. Reno Barth Referenzen: 1. Hovorka R et al. Overnight closed-loop insulin delivery in young people with type 1 diabetes: a free-living, randomized clinical trial. Diabetes Care. 2014; 37 (5): 1204–1211. 2. Thabit H et al. Home use of closed-loop insulin delivery for overnight glucose control in adults with type 1 diabetes: a 4-week, multicentre, randomised crossover study. Lancet Diabetes Endocrinol. 2014; 2 (9): 701–709. 3. Nimri R et al. MD-Logic Overnight Control for 6 Weeks of Home Use in Patients With Type 1 Diabetes: Randomized Crossover Trial. Diabetes Care. 2014; 37 (11): 3025–3032. 4. Thabit H et al. Three to four weeks of overnight closed loop insulin delivery during free living: analysis of randomised crossover studies in adults and adolescents with type 1 diabetes. EASD 2014, Oral Presentation #194. 5. B. Glowinska-Olszewska et al. Impact of real-time continuous glucose monitoring system usage on endothelial function in adolescents with type 1 diabetes. EASD 2014, OP 195. 6. Rosenlund S et al. Effect of insulin pump treatment on albuminuria and kidney function in type 1 diabetes. EASD 2014, OP 198. Quelle: «Device utilisation and outcomes», OP #33, EASD 2014 vom 15. bis 19. September in Wien. Diabetes • Dezember 2014 9