Transkript
arsenicum
D em Misstritt, dem Missgriff und dem Missverständnis ist das Misslingen gemeinsam: Durch sie wird nicht das erreicht, was angestrebt wurde. Genauso verhält es sich bei der Misswahl – zumindest für die Mehrzahl der Kandidatinnen. Nur eine wird Miss Schweiz. Die anderen sollten sich mit minderen Titeln wie Miss Unterland oder Miss Oberweite trösten, sind aber untröstlich. Wie meine schöne, junge Patientin, die einen Misserfolg – keinen Miss-Erfolg – bei der Misswahl hatte. Zwar nur bei der Wahl unserer lokalen Schönsten, aber ohne Kantonales gibt es nichts Eidgenössisches. So ist es halt in einem föderalistischen Land. Meine Patientin wurde also nur Zweite. Sozusagen «a near miss». Voller Missmut, mit geschwollenen Augenlidern, sass sie im Wartezimmer. «Oje, Heuschnupfen?», fragte meine MPH mitfühlend, aber missglückt und löste einen erneuten Weinkrampf aus. Schon die ganze Nacht, so erfuhren wir, hatte die Nicht-Miss geweint. Behutsam fragte ich mich an das Ausmass der Tragödie heran. Die Siegerin, dieses Mis(s)tstück, so versicherte mir meine Patientin, ist gar nicht schön. In ihren Wimpern sind Fliegenbeine, sie hat Salzfässer und sie hat getapet. Als Hausarzt ist man nicht nur stets auf der Seite seiner Patientinnen, sondern auch um Hygiene und Prävention besorgt. Daher rief ich empört, dass exartikulierte Insektenextremitäten nun wirklich nichts am Auge zu suchen haben. Dem Blutdruck zuliebe sollte man wenig salzen und das Mitführen von Salzfässern zu einem Anlass wie der Misswahl lässt übergrossen Konsum, vielleicht sogar Abhängigkeit befürchten. Einzig das Klebeband um die Sprunggelenke könnte angesichts des beinbrechenden Berufsschuhwerks von Missen, den High Heels, sinnvoll sein. Die VizeMiss merkte an meinem Kommentar, dass ich keine Ahnung hatte. Maskaraverklebte Wimpern, informierte sie mich, nennt man Fliegenbeine, zu tiefe Gruben über der Clavicula bei zu dünnen Frauen heissen Salzfässer. Mit dem Tape habe die verhasste Siegerin keineswegs die Knöchel stabilisert, sondern
den Busen hochgeklebt. Laut meiner Patientin erfolgte die Missetat, um das Push-up-Verbot zu umgehen. Vermutlich handelt es sich bei Letzterem nicht um eine Burka-Variante, sondern um eine Art Wonderbra, ein High-Stuff-Meisterwerk der Dessousindustrie. Das Misstrauen meiner Patientin, dass bei diesen Wahlen Missstände herrschen, vielleicht sogar Schiebung im Spiel ist, teilte ich. Rief ihr ins Gedächtnis, dass oft die Nummer zwei die bessere Karriere macht als die Siegerin, wie zum Beispiel Xenia Tchoumitcheva. Dass die Nummer eins weder Matterhorn noch Bundeshaus kennt und so die Missen in Misskredit bringt. Missbilligte den Rummel, der um die Siegerin gemacht wird und zum Scheitern ihrer Beziehungen führen kann. Langsam minderte sich die Missstimmung und die Stimmung der FastMiss besserte sich. Sie versicherte mir, dass es nicht Missgunst gegen die obsiegende Miss sei, welche das eigene Missglück so bitter mache. Natürlich nicht, nickte ich, aber wir seien uns ja einig, dass hier ein Missbrauch schöner junger Menschen für Werbezwecke vorläge. Kritik am System, so kamen wir überein, würde sie nach ihrer gescheiterten Mission aber nur missliebig machen. Gemeinsam zählten wir Positives auf. Neben ihrer Schönheit das gerade erworbene KV-Diplom, der nette Freund, die liebevolle Familie, der Appenzeller-Mischling Bläss und die Superstimmung am Arbeitsplatz, wo alle Kolleginnen für sie gestimmt hätten. Halbwegs getröstet schwebte sie davon, eine Gelmaske zum Kühlen der Augen in der perfekt manikürten Hand. Tja, manchmal fragt sich der Hausarzt doch, ob Burkas nicht in gewissen Situationen erlaubt sein sollten.
Ver-Misst
510 ARS MEDICI 13 ■ 2010