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Darmerkrankungen
IBS oder IBD – was ist die Ursache des Bauchwehs?
Bauchschmerzen mit und ohne Diarrhö – als mögliche Verdachtsdiagnosen bieten sich Reizdarm und chronisch entzündliche Darmerkrankungen an. Doch wie unterscheidet man klinisch die beiden Erkrankungsgruppen? Muss immer eine Darmspiegelung sein? Und wie kann man den Patienten helfen?
C hronische und chronisch rezidivierende Schmerzen im Abdomen haben in mehr als 50 Prozent aller Fälle eine funktionelle Ursache, sagte PD Dr. Stephan Vavricka
vom Stadtspital Triemli in Zürich. Die häufigste Diagnose ist
hierbei das Reizdarmsyndrom (Irritable Bowel Syndrom =
IBS), 5 bis 11 Prozent der 30- bis 50-Jähri-
gen leiden darunter. Allerdings schwankt
diese statistische Angabe von Region zu
Region. So ist der Anteil der IBS-Patienten
in Städten mit überwiegend sitzender Le-
bensweise höher als in ländlichen Regio-
nen, wo sich die Menschen mehr bewegen.
Frauen sind etwa doppelt so häufig betrof-
fen wie Männer. Allerdings suchen nur 20
bis 50 Prozent einen Arzt auf, wobei diese
Erstkonsultationen laut Vavricka überwie-
Stephan Vavricka
gend beim Gastroenterologen stattfinden.
Der Experte unterstrich, welche Bedeutung
das IBS hat: Die Einschränkung der Lebensqualität entspre-
che der einer terminalen Niereninsuffizienz, die Schmerzen
seien bei diesem funktionellen Krankheitsbild heftiger als bei
organischen Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes. Zu-
dem sei das IBS auch gesundheitsökonomisch relevant, da es
die Patienten in der Lebensqualität stark einschränke und
nicht nur über Fehlzeiten hohe Kosten verursache.
Doch wie kann man die Verdachtsdiagnose IBS erhärten be-
ziehungsweise das IBS von einer chronisch-entzündlichen
Darmerkrankung (Inflammatory Bowel Disease = IBD) unter-
≥ 1 Symptom während mindestens 25% der Beschwerdezeit:
1) Stuhlfrequenz < 3 x/Woche 3) Harte Konsistenz 5) Starkes Pressen 2) Stuhlfrequenz > 3 x/Tag 4) Weiche Konsistenz 6) plötzlicher Stuhldrang
7) Gefühl der unvollständigen Entleerung 8) Schleimabgang (weisslich) 9) Abdominale Blähungen
Obstipation prädominant Diarrhö prädominant wechselnd dominant
IBS-C – 1,3,5; nicht 2,4,6 IBS-D – 2,4,6; nicht 1,3,5 IBS-A – alternating
Rome II; Gut 1999; 45 (Suppl II): II43–7
Abbildung 1: IBS-Subtypen: ROME-II-Nebenkriterien
scheiden? Hier gab Vavricka einige Tipps, wonach bei der Anamnese bei Patienten mit abdominellen Schmerzen generell gefragt werden sollte: • Beschwerdebild/Vorerkrankungen/OP • Familienanamnese (IBD, Karzinome, Sprue) • Reise-, Umgebungsanamnese, GI-Infekte • Nahrungsmittel (Laktose, Gluten, FODMAP) • Medikamente (NSAR) • psychosozialer Hintergrund und Status Alarmzeichen sind gesondert zu erheben. Alarmzeichen sind (anamnestisch): • Gewichtsverlust, Dysphagie, Erbrechen • Beginn der Beschwerden nach dem 50. Lebensjahr • Beschwerden vor allem nachts • Ikterus • Ileussymptomatik • chronische Diarrhö • relevante Reiseanamnese • analer Blutabgang • Familienanamnese positiv auf Karzinome, IBD oder Zöliakie Befunde: • Fieber • positiver Hämoccult-Test • Anämie • Leukozytose • erhöhte BSG • erhöhter CRP-Wert • auffällige Schilddrüsen-Werte
IBS-Diagnostik
Nach Vavrickas Auffassung sollte die IBS-Abklärung möglichst frühzeitig und mit geringem apparativem Aufwand erfolgen. Vor allem sollten unnötige Wiederholungsuntersuchungen, insbesondere Darmspiegelungen, vermieden werden. Diagnostische Tests, die eine klare Abgrenzung zu organischen Erkrankungen ermöglichen, fehlen. Die Diagnostik des IBS ist in erster Linie symptombasiert. Die Symptome sind in den Rom-III-Kriterien beschrieben: Abdominalschmerzen/-beschwerden • ≥ 3 Tage/Monat (in Studien: ≥ 2 Tage/Woche) in den letzten
3 Monaten • während vorangegangenen 6 Monaten mit: (≥ 2 von 3)
– Besserung nach Defäkation – Assoziation mit Änderung der Stuhlfrequenz – Assoziation mit Änderung der Stuhlkonsistenz
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Liegen keine Alarmzeichen vor und sind die Kriterien der RomIII-Konferenz erfüllt, kann man mit 98-prozentiger Spezifität davon ausgehen, dass ein IBS vorliegt. Zur Unterscheidung der verschiedenen Subtypen geben die ROM-II-Nebenkriterien weiter Hilfestellung (Abbildung 1).
Differenzialdiagnosen Auch wenn die Diagnose anhand dieser Kriterien relativ einfach erscheint, sollten einige Differenzialdiagnosen bedacht werden. Hier kommen vor allem Diätfaktoren wie Laktoseintoleranz, chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Malabsorptionssyndrome wie Sprue, Infektionen (z.B. Lamblien), Karzinome, Diabetes, Endometriose oder auch psychische Erkrankungen infrage (Abbildung 2). Ergeben sich aus der Anamnese Anhaltspunkte für Differenzialdiagnosen, sollte sich eine entsprechende Diagnostik anschliessen: • Routinelabor (grosses BB, BSG/CRP) vor allem bei Verdacht
auf Anämie oder Infektionen • Sprue-Serologie und Gesamt-IgA • TSH, bei klinischem Verdacht auf Schilddrüsenproblematik • Stuhl auf Parasiten und Bakterien bei entsprechender Rei-
seanamnese. Liegt gleichzeitig auch eine Diarrhö vor, sollte insbesondere auf eine mögliche Lamblien-Infektion hin untersucht werden • H2-Atemtest bei Verdacht auf Laktose-Intoleranz. Dieser Test sollte nach Vavrickas Ansicht grosszügig eingesetzt werden • Eine Endoskopie ist zur Abklärung eines IBS nicht zwingend erforderlich. Sie sollte, so Vavricka, bei Patienten über 50 Jahre erfolgen, wenn familienanamnestische Hinweise auf ein Kolonkarzinom oder Tumorangst bestehen • Calprotectin bei Verdacht auf IBD.
Therapie bei IBS Beim Reizdarmsyndrom geht es vor allem darum, schwerwiegendere Diagnosen auszuschliessen. Grundsätzlich ist die Prognose gut, nur sehr wenige Patienten entwickeln zum IBS eine andere Darmerkrankung. Das beruhigt die Patienten zwar, hilft ihnen aber nur wenig bei den Beschwerden. Hier ist die Domäne der symptomatischen Therapie, die sich dann am Beschwerdebild orientiert, also ob das Reizdarmsyndrom mehr von Obstipation oder mehr durch Diarrhö gezeichnet ist. Auch diätetisch gibt es Möglichkeiten. Vavricka hat gute Erfahrungen mit der FODMAP-Diät gemacht. FODMAP steht für Fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide, And Polyole. Unter Oligosaccharide fallen beispielsweise Fruktane, die in unter anderem Weizen oder Zwiebeln enthalten sind. Ein Disaccharid ist Laktose, Monosaccharide wie Fruktose sind in süssem Obst und Honig enthalten, und ein Beispiel für Polyole ist Sorbit, wie es in Kirschen oder Blumenkohl vorkommt. Vermeiden die Patienten diese Saccharide (es gibt Listen, die aufführen, welche Lebensmittel erlaubt, welche zu meiden sind), bessern sich meist ihre Beschwerden (Kasten).
Calprotectin – Helfer bei der IBD-Diagnostik Die schwierigste Differenzialdiagnose des Reizdarmsyndroms sind die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Doch sollte man jeden mit Bauchschmerzen und Durchfall koloskopieren? Hier hilft ein relativ neuer Laborwert weiter: das Calprotectin, das im Stuhl bestimmt wird. Wie Vavricka erläuterte, ist Calprotectin ein Kalzium-bindendes Protein, vor allem in Neutrophilen. Es wird nicht von Darmbakterien ab-
Abbildung 2: IBS-Differenzialdiagnose
Abbildung 3: Verzögerte Diagnose führt zu Darmschäden und Operationen
Abbildung 4: Algorithmus zur Vitamin-D-Substitution bei IBD (adaptiert nach 11). gebaut und ist bei Raumtemperatur eine Woche stabil, was eine unproblematische Verschickung ins Labor ermöglicht. Pathologisch sind Werte über 50 µg/g. Erhöhte CalprotectinWerte können auch bei höherem Lebensalter, gastrointestinalen Infektionen, bakteriellen Lungenentzündungen, Leberzirrhose oder bei Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika oder Protonenpumpeninhibitoren vorkommen. Doch zur Diagnostik von IBD weist das Calprotectin eine Spezifität von 93 Prozent und eine Sensitivität von 73 Prozent auf. Es korreliert auch gut mit den endoskopischen Befunden: In dem makroskopischen Entzündungsschwere-Score bei Morbus Crohn (SES-CD) wiesen die Patienten mit inaktiver Krankheit Calprotectin-Werte im Mittel von unter 60 µg/g auf, mit mildem Entzündungsgrad Werte von etwa 100 µg/g, bei moderatem Verlauf von etwa 400 µg/g und bei schwerer entzündeter Darmschleimhaut ein Calprotectin von mehr als 700 µg/g (1). Vavricka fasste noch weitere Studien zu Calprotectin zusammen und kommt zu den Aussagen, dass: • fäkales Calprotectin zuverlässiger zwischen IBD und IBS un-
terscheidet als CRP oder Leukozytose (2). • Zudem korreliere Calprotectin besser mit dem Ausmass der
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Was steckt hinter der Abkürzung FODMAP?
In den Achtziger- und Neunzigerjahren gab es Hinweise auf die Induktion von IBS-Symptomen unter Provokationstests mit Kohlenhydraten (Fruktose, Frukto-Oligosaccharide, Sorbitol). Diese Zusammenstellung der einzelnen Kohlehydrate wurde unter dem Kürzel FODMAP (Fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide, And Polyole) bekannt. Einzelne Studien zeigten Symptombesserung von IBS-Patienten nach Elimination dieser Kohlenhydrate. In 2005 wurde die FODMAP-Hypothese auf Basis vorangegangener Forschung zu Nahrungsmittelunverträglichkeiten zu Fruktose, Frukto-Oligosacchariden und Laktose von der Monash University in Australien publiziert (10): Den pathophysiologischen Effekt dieser Saccharide stellt man sich so vor: Die Saccharide stellen eine osmotische Last dar, die einen verstärkten Wassereinstrom in das Darmlumen verursacht. Das dehnt das Darmlumen, sorgt für eine verstärkte Spannung der Darmwand und stellt einen Motilitätsreiz dar. Zudem sind die Saccharide rasch fermentierbare Substrate, die zu einer verstärkten Gasbildung führen. Diese Gase bringen die Darmwand noch stärker unter Spannung. Das resultiert dann in Schmerzen und Blähungen. Meidet man diese fermentierbaren Sacharide (es gibt bei den Ernährungsberatern oder unter dem Stichwort Low FOPDMAP diet im Internet entsprechende Positiv- bzw. Negativ-Listen), mindert sich die Darmwandspannung, und die Schmerzen nehmen ab.
Die FODMAP im Einzelnen: Oligosaccharide teilen sich auf in Fruktane und Galaktane. Wobei die Fruktane sich wiederum aufspalten in die Fruktooligosaccharide (z.B. in Weizen und Zwiebeln) und Inulin (z.B. Artischocken). Unter die Disaccharide fällt vor allem Laktose, das heisst für die Patienten auf laktosefreie Milchprodukte umsteigen. Monosaccharide bedeutet in erster Linie Fruktose. Das heisst allerdings nicht, dass auf alles Obst verzichtet werden muss. So stehen zwar Äpfel und Birnen auf der Negativliste, Beerenfrüchte sind in kleineren Mengen dagegen erlaubt. Fermentierbare Polyole sind Sorbit (z.B. in Wassermelonen, Pflaumen oder Blumenkohl) sowie Mannit, Maltit und Isomaltit, die vor allem in den Nahrungszusatzstoffen der Lebensmittelindustrie (E-Nummern) verborgen sind.
Abbildung 5: Was sind FODMAP? (Abbildungen Vavricka)
Darmentzündung als CRP, BSG oder Leukozytose (1, 3) und • Calprotectin korreliert besser mit der Histologie als die
Endoskopie (4–6).
Fatal – verzögerte IBD-Diagnose Vavricka beklagte, dass trotz aller Hilfsmittel die Diagnose einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung in der Schweiz oft zu lange dauere. Bei 25 Prozent der Patienten mit Morbus Crohn vergehen zwischen den ersten Symptomen und der Diagnosestellung mehr als 24 Monate. Auch bei Colitis ulcerosa sind es immerhin noch mehr als 12 Monate. Das sei fatal, weil mit jedem Krankheitsschub das Ausmass und die Häufigkeit von Komplikationen wie Strikturen, Fissuren und Fisteln wachse – und damit auch die Notwendigkeit zu operieren (Abbildung 3) (7).
Wodurch die Schübe im Einzelnen ausgelöst werden, ist noch weitgehend unklar. Einen Aspekt hat Vavricka aber in einer eigenen, noch unveröffentlichten Studie entdeckt: Patienten, die sich häufig in Höhen über 2000 m aufhalten oder häufig Flugreisen unternehmen, haben ein höheres Risiko für IBD-Schübe. Von 51 Patienten ohne Schübe waren nur 8 über 2000 m hoch gewesen, bei den 52 Patienten, die Krankheitsschübe verzeichneten, waren 21 in grosser Höhe gewesen.
Tipps zur IBD-Therapie
Auch wenn Vavricka nicht ausführlich auf die Standard-Therapie bei IBD einging, so hatte er doch einige Tipps parat. So rät er, bei der Behandlung mit 5-ASA (5-Aminosalizylsäure, Mesalazin) nicht nur orale Zubereitungen anzuwenden, sondern auch topische. So haben in einer Studie weitaus mehr IBD-Patienten auf die kombinierte orale plus rektale 5-ASAGabe angesprochen als auf die orale oder rektale allein (8). Ausserdem empfiehlt Vavricka bei Patienten mit chronischentzündlichen Darmerkrankungen, Vitamin D zu substituieren (Abbildung 4). Das gleiche nicht nur eventuelle Resorptionsstörungen aus, sondern habe vermutlich auch einen protektiven Effekt, indem es die Schubrate vermindere (9). Falls die Patienten nicht bereit sind, täglich ein Vitamin-D-Präparat einzunehmen, könne die Substitution auch im Bolus vorgenommen werden: Alle zwei Monate eine Ampulle Colecalciferol 300 000 IE zur Injektion aufbrechen und mit einen Löffel Zucker einnehmen.
Angelika Ramm-Fischer
Referenzen: 1. Schoepfer AM et al. Fecal calprotectin correlates more closely with the Simple Endoscopic Score for Crohn’s disease (SES-CD) than CRP, blood leukocytes, and the CDAI. Am J Gastroenterol 2010; 105 (1): 162–169. 2. Schoepfer AM et al. Discriminating IBD from IBS: comparison of the test performance of fecal markers, blood leukocytes, CRP, and IBD antibodies. Inflamm Bowel Dis 2008; 14 (1): 32–39. 3. Sipponen T et al. Correlation of faecal calprotectin and lactoferrin with an endoscopic score for Crohn’s disease and histological findings. Aliment Pharmacol Ther 2008; 28 (10): 1221–9. (Epub ) 4. Bunn SK et al. Fecal calprotectin: validation as a noninvasive measure of bowel inflammation in childhood inflammatory bowel disease. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2001; 33 (1): 14–22. 5. Beattie RM et al. Endoscopic assessment of the colonic response to corticosteroids in children with ulcerative colitis. J Pediatr Gastroenterol Nutr 1996; 22 (4): 373–379. 6. Gisbert JP et al. Questions and answers on the role of faecal calprotectin as a biological marker in inflammatory bowel disease. Dig Liver Dis 2009; 41 (1): 56–66. 7. Vavricka SR et al. Systematic evaluation of risk factors for diagnostic delay in inflammatory bowel disease. Inflamm Bowel Dis 2012; 18: 496–505. 8. Safdi M et al. A double-blind comparison of oral versus rectal mesalamine versus combination therapy in the treatment of distal ulcerative colitis. Am J Gastroenterol 1997; 92 (10): 1867–1871. 9. Jørgensen SP et al. Clinical trial: vitamin D3 treatment in Crohn’s disease – a randomized double-blind placebo-controlled study. Aliment Pharmacol Ther 2010; 32: 377–383. 10. Gibson PR, Shepherd SJ. Personal view: food for thought—Western lifestyle and susceptibility to Crohn’s disease. The FODMAP hypothesis. Aliment Pharmacol Ther 2005; 21 (12): 1399–1409. 11. Garg M et al. Review article: vitamin D and inflammatory bowel disease-established concepts and future directions.Aliment Pharmacol Ther. 2012; 36 (4): 324–344.
Quelle: Vortrag «Colon irritabile – chronisch entzündliche Darmerkrankungen». 16. Fortbildungstagung des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM), 26. und 27. Juni 2014 in Luzern.
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