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Diabetes, Hypertonie, stabile koronare Herzkrankheit
Zielwerte nicht in Stein gemeisselt
Im Gegenteil: Diese Zielwerte unterliegen regelmässigen Updates. Das zeigt die Präsentation der ESC-Richtlinien zum Management von Diabetes, Hypertonie und koronarer Herzkrankheit am Jahreskongress 2014 der SKG/SGHC in Interlaken. So gilt etwa für Diabetiker eine stärkere Individualisierung von HbA1c- sowie Blutdruckzielwerten; ASS wird bei asymptomatischen Patienten nicht mehr eingesetzt. Auch die Einstufung des Risikos der koronaren Herzkrankheit wurde leicht modifiziert mit Auswirkungen auf die nachfolgend eingesetzten Abklärungsmethoden.
Nichts Wesentliches habe sich laut neuen ESC/ESH-Richtlinien hingegen bei der Definition der Hypertonie geändert, berichtet Dr. med. Grégoire Würzner vom Universitätskrankenhaus Lausanne (1). Eine Hypertonie wird dann diagnostiziert, wenn in der Praxis zweimal an einem Tag und an einem zweiten Tag ein Wert von > 140 mmHg systolisch und/oder > 90 mmHg diastolisch gemessen wurde. Die ambulante Messung ist einzusetzen bei Verdacht auf Weisskitteleffekt, bei starker Variabilität der Blutdruckmessungen in der Praxis oder bei Verdacht auf Präeklampsie bei Schwangeren. Liegt hier der mittlere Blutdruck bei > 135/85 mmHg, steht die Diagnose ebenfalls fest.
Steckt eventuell eine maskierte Hypertonie hinter unklaren Werten? Zusätzlich ist auch das Konzept der maskierten Hypertonie zu beachten. Von einer solchen ist die Rede, wenn der Patient in der Praxis einen hochnormalen Blutdruck hat, im ambulanten Setting aber eindeutig erhöhte Werte aufweist. «Für die Praxis bedeutet das: Patienten mit hochnormalem Blutdruck oder mit normalen Werten, aber Zielorganschädigung sollte man diagnostisch weiter abklären.» Laut australischen Richtlinien gilt ein Verdacht auf maskierte Hypertonie bei hochnormalen Werten und (2) • linksventrikulärer Hypertrophie oder Evidenz einer anderen
Zielorganschädigung • anamnestisch bekannter familiärer Hypertonie (beide Eltern) • multiplen kardiovaskulären Risikofaktoren • obstruktiver Schlafapnoe • chronischer Niereninsuffizienz. Auch Patienten mit Ohnmachtsanfällen oder Hypotonie sollten mit einer ambulanten Blutdruckmessung weiter abgeklärt werden, so der Experte.
Gleich mit Medikamenten beginnen oder erst einmal abwarten? Ziel jedes therapeutischen Eingreifens bei Hypertonie ist eine Senkung des Blutdrucks, da damit nachweislich das kardiovaskuläre Ereignisrisiko gesenkt werden kann (Tabelle 1). Therapeutisch sind nur bei sehr hohem Blutdruck (systolisch > 180 mmHg, diastolisch > 110 mmHg) sofort Antihypertensiva und eine Änderung des Lebensstils einzuführen, auch wenn
sonst keine Risikofaktoren vorliegen. «Bei allen anderen Patienten ist eine Änderung des Lebensstils der erste Schritt, und Antihypertensiva werden erst nach einer Wartezeit eingesetzt, wenn keine Senkung eingetreten ist.» (Tabelle 2).
Welcher Wert für wen? «In den letzten Jahren dachten wir: Je niedriger, desto besser. Doch nur wenige epidemiologische Studien untersuchten einen fixen Zielwert.» Heute gilt: Sobald eine Behandlung eingeleitet wurde, ist «ein Blutdruck von < 140/90 mmHg das Ziel. Das gilt für Patienten mit niedrigem/intermediärem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, Diabetiker und Nichtdiabetiker mit chronischer Niereninsuffizienz sowie Patienten mit Insult oder transitorischer ischämischer Attacke.» Ausnahmen der Regel: Für Diabetiker werden diastolische Werte < 85 mmHg empfohlen, bei älteren Patienten (< 80 Jahre) gibt es «solide Evidenz» dafür, den systolischen Blutdruck auf 150–140 mmHg zu senken. «Bei Älteren mit guter Kondition kann auch ein systolischer Blutdruck von < 140 mmHg als Zielwert erwogen werden.»
Therapieempfehlungen: Kombination ARB + ACE-Hemmer meiden Für < 55-Jährige ist der erster Schritt ein ACE-Hemmer oder ein Angiotensinrezeptorblocker (ARB), bei > 55-Jährigen ein Kalziumkanalblocker oder ein Thiazid. Danach erhalten beide Altersgruppen entweder eine duale Therapie mit ACE-Hemmer oder ARB plus Kalziumkanalblocker oder Thiazid; als dritter Schritt kommt ergänzend ein Diuretikum dazu, so bis anhin noch nicht dabei. «Als vierter Schritt können zusätzlich Alphaoder Betablocker eingesetzt werden; wichtig ist auch die Empfehlung, zu diesem Zeitpunkt fachärztlichen Rat zu suchen. Denn Patienten, die selbst unter Dreifachtherapie nicht kontrolliert sind, haben das Risiko einer sekundären Hypertonie, die ausgeschlossen werden muss», sagt Würzner nachdrücklich. Thiazide, ARB, ACE-Hemmer und Kalziumkanalblocker gelten als Erstlinienmedikamente. «Betablocker sind ein wenig aus der Gunst gefallen, können aber dennoch empfohlen werden.» Neu ist in den Guidelines die Empfehlung, ARB nicht mit ACE-Hemmern zu kombinieren, da dieses Vorgehen keinen Nutzen für die Rate kardiovaskulärer Ereignisse erbringt und
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Tabelle 1:
Beurteilung des globalen kardiovaskulären Risikos
Andere Risikofaktoren, asymptomatische Organschäden oder Krankheiten
Hochnormal systolisch 130–139 diastolisch 85/89
Keine anderen RF
1–2 RF
tiefes Risiko
≥ 3 RF
tiefes bis moderates Risiko
OD, CKD Grad 3 oder Diabetes
moderates bis hohes Risiko
Symptomat. CVD, CKD Grad ≥ 4 oder Diabetes mit OD/RF
sehr hohes Risiko
Blutdruck (mmHg) Grad–I–HT
systolisch 140–159 diastolisch 90–99
tiefes Risiko moderates Risiko moderates bis hohes Risiko
hohes Risiko
sehr hohes Risiko
Grad-II-HT systolisch 160–179 diastolisch 100–109
Grad-III-HT systolisch ≥ 180 diastolisch ≥ 110
moderates Risiko moderates bis hohes Risiko
hohes Risiko hohes Risiko
sehr hohes Risiko
hohes Risiko hohes Risiko hohes Risiko
hohes bis sehr hohes Risiko sehr hohes Risiko
CKD: chron. Nierenerkrankung; CVD: kardiovaskuläre Erkrankung; HT: Hypertonie; OD: Organschäden; RF: Risikofaktor
Tabelle 2:
Beginn mit Lifestylemassnahmen und medikamentöser Therapie
Andere Risikofaktoren, asymptomatische Organschäden oder Krankheiten Keine anderen RF
1–2 RF
≥ 3 RF
OD, CKD Grad 3 oder Diabetes
Hochnormal systolisch 130–139 diastolisch 85/89
Blutdruck (mmHg) Grad–I–HT
systolisch 140–159 diastolisch 90–99
keine Blutdrucktherapie
Lifestylemassnahmen, keine
Blutdrucktherapie
Lifestylemassnahmen, keine
Blutdrucktherapie
Lifestylemassnahmen, keine
Blutdrucktherapie
Lifestylemassnahmen für einige Monate,
dann Medikamente Ziel: < 140/90 mmHg
Lifestylemassnahmen für einige Wochen,
dann Medikamente Ziel: < 140/90 mmHg
Lifestylemassnahmen für einige Wochen,
dann Medikamente Ziel: < 140/90 mmHg
Lifestylemassnahmen, Medikamente
Ziel: < 140/90 mmHg
Grad-II-HT systolisch 160–179 diastolisch 100–109
Lifestylemassnahmen für einige Wochen,
dann Medikamente Ziel: < 140/90 mmHg Lifestylemassnahmen für
einige Wochen, dann Medikamente Ziel: < 140/90 mmHg Lifestylemassnahmen,
Medikamente Ziel: < 140/90 mmHg
Lifestylemassnahmen, Medikamente
Ziel: < 140/90 mmHg
Grad-III-HT systolisch ≥ 180 diastolisch ≥ 110
Lifestylemassnahmen, sofort Medikamente
Ziel: < 140/90 mmHg
Lifestylemassnahmen, sofort Medikamente
Ziel: < 140/90 mmHg
Lifestylemassnahmen, sofort Medikamente
Ziel: < 140/90 mmHg
Lifestylemassnahmen, sofort Medikamente
Ziel: < 140/90 mmHg
Symptomat. CVD, CKD Grad ≥ 4 oder Diabetes mit OD/RF
Lifestylemassnahmen, keine
Blutdrucktherapie
Lifestylemassnahmen, Medikamente
Ziel: < 140/90 mmHg
Lifestylemassnahmen, Medikamente
Ziel: < 140/90 mmHg
Lifestylemassnahmen, sofort Medikamente
Ziel: < 140/90 mmHg
CKD: chron. Nierenerkrankung; CVD: kardiovaskuläre Erkrankung; HT: Hypertonie; OD: Organschäden; RF: Risikofaktor
zudem mit mehr Nebenwirkungen assoziiert ist. «Doch bei aller Bedeutung von Zielwerten sollte man auch auf die Worte des Gremiums des Eighth Joint National Committee achten: ‹Die Empfehlungen sind kein Ersatz für klinisches Ermessen, und Entscheidungen müssen klinische Eigenheiten und Umstände jedes individuellen Patienten berücksichtigen›», so Würzner abschliessend. (3)
Risikoeinstufung für koronare Herzkrankheit Mit dem Konzept der Einstufung der klinischen Vortest-Wahrscheinlichkeiten für koronare Herzkrankheit (CAD) bei Patienten mit Thoraxschmerzsymptomatik leitete PD Dr. med. Michael Zellweger vom Universitätsspital Basel seinen Vortrag ein
(siehe Tabelle 3). «Das Konzept ist einfach: Zunächst wird der Patient je nach Vorliegen einer Angina oder nicht anginöser Schmerzen eingeteilt, zusätzlich werden Alter und Geschlecht in die Berechnung des Risikos miteinbezogen.» In den alten Guidelines galt ein Wert von 0 bis 15 Prozent als niedriges Risiko für CAD, «hier sollten keine weiteren Tests durchgeführt werden»; zwischen 15 und 85 Prozent war das Risiko intermediär, diese Patienten sollten sich noninvasiven Tests unterziehen. Als hohes Risiko wurde ein Wert > 85 Prozent eingestuft – diese Patientengruppe sollte direkt der Koronarangiografie zugeführt werden. «Neu ist eine Unterteilung der doch sehr grossen Gruppe des intermediären Risikos in niedrig-intermediär und hoch-intermediär; bei Ersteren
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sollte ein Belastungs-EKG durchgeführt werden, bei Letzteren kommt die Stressbildgebung zum Einsatz», erklärt der Kardiologe. Als wichtiges diagnostisches Tool für den Ausschluss einer CAD gilt die koronare CT-Angiografie (CTA), aufgrund ihrer sehr hohen negativen Aussagekraft.
Schlüsselfaktor Ischämie Vermieden werden sollten generell aufeinanderfolgende noninvasive Untersuchungen. «Bei unklarer Bildgebung folgt die invasive Untersuchung.» Bei Patienten mit niedriger Ejektionsfraktion (LVEF < 50 Prozent) und typischer Angina kann die Angiografie unabhängig von den Symptomen eingesetzt werden. Ziel der Bildgebung ist die Einstufung des Ausmasses der Ischämie. Basis hierfür sind Studien, die «zwar retrospektiv, aber mit äusserst differenzierter Statistik» zeigen konnten, dass Patienten mit weniger als 10 Prozent ischämischem Myokard unter Revaskularisierung eine höhere Mortalität haben als unter medikamentöser Behandlung. Hingegen zeigt sich bei Patienten mit mehr als 10 Prozent ischämischem Myokard unter medikamentöser Behandlung eine höhere Mortalität. «Dieser Test der Ischämie nimmt daher eine Schlüsselrolle im Management der koronaren Herzkrankheit ein.»
Ebenfalls Cut-off-Wert für die kardiovaskuläre Mortalität Die Grössenordnung der Ischämie von mehr oder weniger als 10 Prozent stellt auch den Cut-off-Wert für die kardiovaskuläre Mortalität dar: Das Risiko ist hoch bei einem ischämischen Bereich > 10 Prozent, intermediär bei einem ischämischen Areal von 1 bis 10 Prozent und ohne Ischämie liegt ein niedriges Risiko vor. In der koronaren CTA gelten signifikante Läsionen als Hochrisiko, ein intermediäres Risiko liegt bei signifikanten Läsionen in grossen und proximalen Koronarien vor, normale Koronararterien oder lediglich das Vorliegen von Plaques gelten als niedriges Risiko.
Management aufgrund der Risikostratifizierung Die danach erforderlichen therapeutischen Entscheidungen beruhen auf der Risikostratifizierung. Folgende Empfehlungen gelten für Patienten mit • niedrigem Ereignisrisiko (Mortalität < 1%):
Versuch einer optimalen medikamentösen Therapie (OMT) • intermediärem Risiko (Mortalität > 1% aber < 3%):
OMT und – je nach Schweregrad der Symptomatik, Komorbiditäten oder auch Präferenzen des Patienten – zudem Erwägung einer invasiven Koronarangiografie (ICA) • hohem Ereignisrisiko (Mortalität > 3%):
Tabelle 3:
Klinische Vortest-Wahrscheinlichkeit bei Patienten mit Symptomen stabiler Brustschmerzen
Alter 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 > 80
Männer 59 69 77 84 89 93
Frauen 28 37 47 58 68 76
Männer 29 38 49 59 69 78
Frauen 10 14 20 28 37 47
Männer 18 25 34 44 54 65
Frauen 5 8 12 17 24 32
Quelle: nach (5)
ICA + bei unklarer Stenosediagnose FFR (fractional flow reserver, wo erforderlich) + falls erforderlich, Revaskularsierung + OMT. Wann ist eine Revaskularisierung durchzuführen? Das hängt von der Anzahl der erkrankten Gefässe ab. Zellweger: «Sind ein oder zwei Gefässe betroffen und liegt keine Beteiligung der vorderen linken Koronararterie (LAD) vor, kommt eine perkutane Koronarintervention zum Einsatz.» Bei Befall der LAD wird eine Diskussion im Herzteam angestossen. Sind drei Gefässe betroffen, entscheidet sich das Herzteam entweder für eine PCI oder eine koronare Bypassoperation (CABG); bei niedrigem chirurgischem Risiko kann gleich eine Entscheidung für CABG gefällt werden. «Abgesehen davon sollten folgende Faktoren nicht vergessen werden: Evaluierung von Risikofaktoren, Lebensstil des Patienten, medikamentöses Management, Vor- und Nachteile antianginöser Wirkstoffe und damit auch die Lebensqualität des Patienten», so der Experte abschliessend.
Diabetes und die neuen Werte Alle kardiovaskulären Patienten sind auf Diabetes zu überprüfen, alle Diabetiker auf kardiovaskuläre Erkrankungen, so Prof. Dr. Marco Roffi vom Universitätskrankenhaus Genf. Laut den ESC-Guidelines für Diabetes, Prädiabetes und kardiovaskuläre Erkrankung von 2013 wird das Screening für einen potenziellen Diabetes mellitus Typ 2 bei kardiovaskulären Patienten mit der Überprüfung des HbA1c sowie der Messung der Nüchternglukosewerte eingeleitet; bei einem HbA1c-Wert > 6,5 Prozent und einem Nüchternglukosewert > 7,0 mmol/l steht die Diagnose fest (4). Ergeben HbA1c und Nüchternglukose widersprüchliche Werte oder herrscht immer noch Zweifel an der Diagnose, kommt der orale Glukosetoleranztest (oGTT) zum Einsatz.
Diabetes = hohes kardiovaskuläres Risiko Die kardiovaskuläre Risikoeinschätzung für Menschen mit Dysglykämie ist einfach: Bei Vorliegen eines Diabetes und zusätzlich eines kardiovaskulären Risikofaktors oder einer Endorganschädigung liegt ein «sehr hohes» Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis vor; hat ein Patient «nur» Diabetes – «das ist im Übrigen sehr selten» – liegt ein «hohes Risiko» vor. Fazit: «Laut diesen Richtlinien gibt es keine Diabetiker mit niedrigem kardiovaskulärem Risiko.» Andere, ebenfalls einzusetzende Marker, die prädiktiv sinnvoll sein können, sind der Knöchel-Arm-Index, die Intima-Media-Dicke der Karotis, die arterielle Steifheit oder die kardiale autonome Neuropathie (CAN). Allerdings: «Der Wertzuwachs durch diese Diagnosetools wird noch kontrovers diskutiert», kommentiert Marco Roffi.
HbA1c-Senkung: Prävention von mikrooder makrovaskulärer Erkrankung? Entschieden ist zudem noch nicht, in welchem Ausmass das HbA1c zu senken ist. «Meiner Meinung nach müssen wir hier klar zwischen der Prävention von mikrovaskulärer und makrovaskulärer Erkrankung unterscheiden», betont Roffi. • Für die Prävention von mikrovaskulären Erkrankungen ist
ein HbA1c-Zielwert von < 7 Prozent in der Regel mit weniger Frequenz und weniger schweren kardiovaskulären Ereignissen assoziiert. • Die Prävention makrovaskulärer Ereignisse ist weit weniger gut geklärt: Die Hyperglykämie ist zwar dosisabhängig mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert, «es ist aber unklar, welcher genaue Zielwert für welche Patienten-
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Diabetes und kardiovaskuläres Risiko: Was ist neu in den neuen Guidelines?
• Simplere Diagnose: zuerst HbA1c und Nüchternglukose messen, bei Unsicherheit oGTT
• Risikoeinstufung: Diabetes plus kardiovaskulärer Risikofaktor: sehr hoch; ohne Risikofaktor: hoch
• Es wird weniger das Abnehmen und mehr die Gewichtsstabilisierung empfohlen
• Blutdruckzielwert: weniger streng und individuell angepasst • Revaskularisierung: bei einfacher CAD zuerst OMT; bei komplexer CAD:
CABG eher als PCI; falls PCI, dann beschichteter Stent
Einstellung des Patienten und Therapiemotivation Risiko für Hypoglykämien, andere Nebenwirkungen Diabetesdauer
sehr streng
weniger streng
hoch motiviert, adhärent
weniger motiviert, nicht adhärent
kümmert sich exzellent um sich
kümmert sich schlecht um sich
tief hoch
neu diagnostiziert
lange Diabetesdauer
Lebenserwartung
lang
kurz
Wichtige Komorbiditäten
keine
wenige/mild
schwer
Bestehende vaskuläre Komplikationen
keine
wenige/mild
schwer
Ressourcen, Unterstützung
keine
wenige/mild
schwer
nach Diabetologia 2012; 55: 1577–1596
Abbildung: Typ-2-Diabetes – Festlegung des HbA1c-Zielwertes variiert abhängig von Erkrankungsdauer, Lebenserwartung und Komorbiditäten.
kategorie erforderlich ist, um kardiovaskuläre Komplikationen zu verhindern. Insgesamt ist die Evidenz für einen bestimmten HbA1c-Wert in diesem Bereich daher weniger stringent.» • Fazit für die Prävention makrovaskulärer Erkrankungen: Ein HbA1c-Zielwert kann angepeilt werden (< 7%), aber «unter Berücksichtigung individueller Bedürfnisse». Die Zielwerte im Einzelnen: • Ein HbA1c-Wert < 7 Prozent ergibt einen zusätzlichen Vorteil bei der Prävention mikrovaskulärer Erkrankungen. • Sehr engmaschige Glukosekontrollen (HbA1c 6,0–6,5%) sind bei ausgewählten Patienten mit kurzer Krankheitsdauer, langer Lebenserwartung und ohne signifikante kardiovaskuläre Erkrankung durchzuführen. • Ein HbA1c-Wert < 7,5 bis 8 Prozent ist bei älteren Patienten, bei langer oder komplizierter Erkrankung angezeigt; «hier kann man generell grosszügiger sein». Der Trend geht damit eindeutig weg von einem Zielwert für alle, hin zu einer stärker individualisierten Therapie. Roffi: «Was wir in den letzten Jahren verstanden haben: Alle Ziele sind möglichst ohne Hypoglykämie oder andere unerwünschte Nebenwirkungen zu erreichen, sonst schädigen wir mehr, als wir nützen.» Vor allem die Hypoglykämie ist potenziell tödlich und erhöht das Risiko schwerer kardiovaskulärer Ereignisse; eine zu strenge Kontrolle hat sich in manchen Studien als schädlich erwiesen. Prinzipiell kann das Manage-
ment der Hyperglykämie umso strenger sein, je stärker die Motivation des Patienten, je kürzer die Krankheitsdauer ist oder je weniger Komorbiditäten vorliegen; «in diesen Fällen sollte man wirklich aggressiv vorgehen und nach optimaler Kontrolle streben» (siehe Abbildung). Bei Diabetikern gilt ausserdem ein Blutdruck von < 140/85 mmHg als Zielwerte. «Das Motto ‹je niedriger, desto besser› ist bei diesen Patienten vielleicht nicht anzuwenden.» Bei sehr hohem kardiovaskulärem Risiko sind strenge LDL-Werte < 1,8 mmol/l oder zumindest eine 50-prozentige LDL-Senkung anzustreben; bei hohem Risiko ein LDL-Wert < 2,5 mmol/l. Thema ASS: «Das haben wir früher auch bei asymptomatischen Diabetikern aggressiv eingesetzt; es wird zwar immer noch empfohlen, aber nur bei ausgewählten Patienten für die Sekundärprävention.»
Noch viele Fragen offen Viele Fragen sind noch offen, wie der Kardiologe konstatiert. Ungeklärt sind derzeit vor allem: • Wie sieht die beste glukosesenkende Behandlung aus? Was
sind die langfristigen kardiovaskulären Outcomes? Und welche Blutdruckwerte sind für welche Patientengruppe optimal? • Welches ist das optimale antithrombotische Regime für die Primärprävention der kardiovaskulären Erkrankung? • Welche klinische Relevanz haben metabolische Nebenwirkungen von Betablockern und Diuretika? • Was machen die pleiotropen Effekte glukosesenkender Therapien? • Welches sind die optimalen Blutglukosewerte bei akutem Koronarsyndrom: Wie streng sind sie zu senken, mit welchem Medikament und wie werden sie erreicht? Welche Rolle spielt hier die Hypoglykämie? «Wir haben also noch mehr als genügend Stoff für zukünftige Forschung auf diesem Gebiet», sagt Roffi abschliessend.
Lydia Unger-Hunt
Literatur: 1. ESC/ESH Task Force for the Management of Arterial Hypertension; J Hypertension 2013; 31: 1925–1938. 2. Head GA et al.: Ambulatory blood pressure monitoring in Australia: 2011 consensus position statement; J Hypertension 2012; 30: 253–266. 3. James PA et al.: Evidence-based guideline for the management of high blood pressure in adults: report from the panel members appointed to the Eighth Joint National Committee (JNC 8); JAMA 2014; 311: 507–520. 4. Rydén L et al.: ESC Guidelines on diabetes, pre-diabetes, and cardiovascular diseases developed in collaboration with the EASD: the Task Force on diabetes, pre-diabetes, and cardiovascular diseases of the European Society of Cardiology (ESC) and developed in collaboration with the European Association for the Study of Diabetes (EASD); Eur Heart J 2013; 34: 3035–3087. 5. 2013 ESC guidelines on the management of stable coronary artery disease; European Heart Journal 2013; 34: 2949–3003.
Quelle: «Guidelines ESC: Diabetes, hypertension, stable CAD, preoperative assessement», SGK/SGHC-Jahreskongress 2014, 11. bis 13. Juni 2014 in Interlaken.
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