Transkript
CongressSelection
E-Zigarette kontrovers diskutiert
Pneumologe und Gesundheitswissenschaftler im Dialog
Elektronische Zigaretten gibt es nicht auf Rezept. Dennoch wird der Grundversorger auch mit dieser Gesundheitsfrage konfrontiert: Soll er nun zur elektronischen Zigarette als weniger gefährliche Alternative zum Rauchen raten oder vielmehr auf etablierte Rauchentwöhnungsstrategien pochen?
S chweizer Pneumologen, vertreten durch Dr. Macé Schuurmans, Universitätsspital Zürich, distanzieren sich derzeit von der Empfehlung zur E-Zigarette. Anders sieht der Genfer Public-Health-Experte Dr. Jean-François Etter die Lage: Nikotinsucht sei eine Realität, und die E-Zigarette als Antwort auf dieses Problem stelle sogar den grössten Fortschritt in der Pneumologie seit Einführung der Antibiotika dar. Diesem für ihn wichtigen Thema hat er ein Buch gewidmet. Kein Wunder, dass es eine hitzige Pro-und-Kontra-Debatte am Pneumologenkongress entfachte. Das wichtigste Ziel sei es, die jährlich 6 Millionen Todesfälle durch Lungenkrebs zu verhindern. Denn wenn Nikotin nicht verbrannt werde, sondern verdampft, wie eben in E-Zigaretten, sei das mit weitaus geringeren gesundheitlichen Auswirkungen verbunden, so Etter. Lungenkarzinome verursache die E-Zigarette nicht. In der Schweiz seien derzeit nikotinhaltige Flüssigkeiten nicht erlaubt, was dazu führe, dass lediglich 0,4 Prozent der Raucher auf E-Zigaretten umstiegen im Vergleich zu 18 Prozent im Vereinigten Königreich.
Schweiz mutiger als die EU? So beurteilt Schuurmans die derzeitige gesetzliche Regelung in der Schweiz im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, in denen «die (nikotinhaltige) E-Zigarette trotz ungenügender wissenschaftlicher Datenlage bezüglich gesundheitlicher Auswirkungen zugelassen ist und sogar medizinisch verwendet wird». Noch haben sich keine Qualitätsnormen für E-Zigaretten durchgesetzt, es existiert keine klare Definition darüber, was eine E-Zigarette ist. Es handelt sich um ein Gerät zur Inhalation von verdampften nikotinhaltigen oder nikotinfreien Substanzen. Die Herstellung ist derzeit nicht standar-
disiert. Eine Gefahr könnte etwa vom Austreten der nikotinhaltigen Flüssigkeit ausgehen, die über die Haut schnell resorbiert wird und bei Kindern schnell toxische Blutspiegel verursacht. In den Geräten werden auch Fette verdampft, die sich in der Lunge anlagern und zu Pneumonien führen können. Bereits nach 10 Minuten Inhalation einer E-Zigarette lässt sich eine Erhöhung des Widerstands in den Atemwegen mittels Spirometrie nachweisen sowie eine Erhöhung des oxidativen Stresses. Hinzu kommt die Gefahr technischer Probleme, die im schlimmsten Fall bis zu einer Explosion reichen können. Dennoch würde Schuurmans «einem aufhörwilligen, stark abhängigen Raucher einen versuchsweisen Gebrauch der E-Zigarette nicht verwehren» (1). Seiner Meinung nach werde we-
18 Pneumologie • Juni 2014
Der Genfer Public-Health-Experte Dr. Jean-Francois Etter prophezeit der E-Zigarette eine grosse Zukunft und warnt vor einer strikten Regulierung.
CongressSelection
gen der Ähnlichkeit der E-Zigarette mit dem abzulegenden Abhängigkeitsverhalten jedoch der Ausstieg eher verzögert und sei daher vermehrt von Rückfällen gekennzeichnet. Auf gesellschaftlicher Ebene führe die E-Zigarette eher dazu, das bereits Erreichte, nämlich dass das Nichtrauchen heute eher die Norm darstelle, wieder zu gefährden. Zudem habe man gezeigt, dass die E-Zigarette junge Menschen zum Konsum verführe; so haben in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen etwa 16 Prozent bereits die E-Zigarette ausprobiert. In der Schweiz ist derzeit der Handel und der Verkauf nikotinhaltiger Flüssigkeiten verboten. Eine Beschaffung für private Zwecke etwa durch Onlineversand ist aber möglich. Diese Regelung könnte sich jedoch im Rahmen der Einführung des neuen Tabakproduktegesetzes demnächst ändern. Die Schweizer Lungenfachgesellschaften empfehlen, am aktuellen Verbot des Verkaufs nikotinhaltiger E-Zigaretten festzuhalten, bis Klarheit über Nutzen und Risiken besteht. Die aktuelle Datenlage sei nämlich diesbezüglich noch ungenügend.
Falsches Signal der Schweizer Pneumologen Für das falsche Signal hält Etter diese Stellungnahme, die auch in einer Pressemitteilung verbreitet wurde. Die Einführung der E-Zigarette habe in Frankreich dazu geführt, dass der
Zigarettenverkauf dramatisch eingebrochen sei. Er hält die (nikotinhaltige) E-Zigarette für die wirksamste Methode, um mit dem Rauchen aufzuhören. Im Gegensatz zu Nikotinpflastern und Nikotinkaugummis führe die Inhalation des verdampften Nikotins zu einem schnellen Dopaminkick, der jenem beim Rauchen am nächsten komme. Man solle sich vom Ideal einer drogenfreien Gesellschaft verabschieden, die Realität sehe so aus, dass viele Menschen nikotinsüchtig seien und jetzt eine (flüssige) Darreichungsform existiere, die ohne Lungenkrebsgefahr genau diese Abhängigkeit bediene. In seinem Buch prophezeit er der E-Zigarette eine grosse Zukunft und warnt vor einer strikten Regulierung oder gar vor einem generellen Verbot.
Anka Stegmeier-Petroianu
Referenzen und weiterführende Literatur: 1. Barben J. et al. Die E-Zigarette. Was erklären wir unseren Patienten. Schweiz Med Forum 2014; 14 (15): 317–320. 2. Stellungnahme zu E-Zigaretten. Schweizerische Ärztezeitung 2014, 95: 6–17. 3. Etter JF. The electronic cigarette: an alternative to tobacco?
Quelle: «Should pulmonologists recommend electronic cigarettes for smoking cessation?» Schweizerische Gesellschaft für Pneumologie, 8. und 9. Mai 2014 in Interlaken.
Kongressimpressionen
Bilder: ASP
Pneumologie • Juni 2014 19