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Prostatakarzinom: Kastrationsresistenz ist nicht das Ende der Therapie
Kastrationsresistenz bedeutet heute längst nicht mehr das Ende der Behandlung eines fortgeschrittenen Prostatakarzinoms. Sowohl Chemotherapie als auch neue hormonelle Therapien haben sich in Studien als wirksam erwiesen. Zu zahlreichen speziellen Fragestellungen fehlen jedoch nach wie vor die Daten.
Die Androgendeprivation als Basis der Therapie beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom ist sehr erfolgreich im Hinauszögern der Tumorprogression, Verhindern von Komplikationen und Vermeiden von Symptomen. Leider stösst diese Strategie nach einer gewissen Zeit an ihre Grenzen. Nach längerer Androgendeprivation erreicht das Prostatakarzinom die Phase der Kastrationsresistenz, wodurch es unter auch in Abwesenheit von Testosteron zur Tumorprogression kommt. Dazu stehen dem Tumor sowohl ligandenabhängige als auch ligandenunabhängige Pathways zur Verfügung.
Ansatzpunkt für neue Substanzen «Was alle diese Pathways gemeinsam haben, ist, dass sie den Androgenrezeptor nützen, der auch in der Kastrationsresistenz der Motor der Tumorprogression bleibt. So war es möglich, eine Reihe neuer Medikamente zu entwickeln, die hier ansetzen. Diese können eingeteilt werden in Substanzen, die die Androgenspiegel noch weiter absenken, und solche, die direkt in den Signalweg des Androgenrezeptors eingreifen», erklärt Prof. Dr. Karl Pummer von der Medizin Universität Graz. Klinisch verfügbar und relevant sind heute neben der Chemotherapie der Testosteron-Biosynthese-Inhibitor Abirateron, ein selektiver CYP17-Inhibitor, der die androgene Steroidsynthese hemmt und so die ligandengesteuerte Androgenrezeptorstimulation verhindert (1), sowie Enzalutamid, ein neuartiges Antiandrogen, das an drei Stellen direkt in den Signalpathway des Androgenrezeptors eingreift. Enzalutamid blockiert die nukleäre Translokation des Androgenrezeptors, blockiert die Bindung von Androgenen an den Androgenrezeptor und behindert die Bindung des Rezeptors an die DNA, was die Modulation der Gen-Expression verhindert (2, 3).
Chemotherapie und Alpharadin als weitere Optionen Die Chemotherapie als weitere Option in der Phase der Kastrationsresistenz verlängert ebenfalls nachweislich das Leben der Patienten. Dabei wirken die Taxane auch zusätzlich inhibierend auf den Androgenrezeptor, indem sie dessen nukleäre Translokation blockieren. Das Radiopharmazeutikum Alpharadin auf Basis des Alphastrahlers Radium-223 ist verfügbar für die Behandlung von Knochenmetastasen. Alpharadin verhält sich chemisch wie Kalzium und wird entsprechend bevorzugt in Knochen und
hier besonders in osteoblastische Knochenmetastasen eingebaut. Die hochenergetische Alpha-Strahlung hat nur eine sehr kurze Reichweite von weniger als einem Zehntelmillimeter. Eine weitere Möglichkeit sind die Second-Line-Hormontherapien, von denen einige (z.B. Flutamid) jedoch nur in kleinen Studien untersucht wurden (4).
Neue Daten zur Second-Line-Hormontherapie Seit kurzem besteht die Möglichkeit, den Patienten auch vor einer Chemotherapie eine Second-Line-Hormontherapie zukommen zu lassen. Dafür in Frage kommen Abirateron in Kombination mit Prednison, sowie Enzalutamid. Abirateron wurde in diesem Setting in der Studie COU-AA-302 untersucht und brachte im Vergleich zu Plazebo eine signifikante Verlängerung des progressionsfreien Intervalls (16,5 vs. 8,3 Monate, HR 0,53; 96%-KI: 0,45–0,62). Zum Ende der Studie nach 27 Monaten waren noch mehr als 60 Prozent der Patienten in der Abirateron-Gruppe am Leben (5). Dies sei insofern bemerkenswert, als man noch vor wenigen Jahren im Stadium der Kastrationsresistenz mit einem medianen Überleben von lediglich rund einem Jahr rechnen musste. Eine Schwierigkeit läge, so Prof. Dr. Bertrand Tombal von der Katholischen Universität Leuven, jedoch in der Notwendigkeit, Abirateron mit Steroiden zu kombinieren, deren Nebenwirkungen gerade bei längerem Überleben zum Problem werden können. Der Einsatz von Enzalutamid in einem Pre-Chemo-Setting wurde in der PREVAIL-Studie untersucht, die nach einer Interimanalyse abgebrochen wurde, weil sich bereits signifikante Vorteile für Enzalutamid sowohl hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens als auch des Gesamtüberlebens gezeigt hatten. Die Ergebnisse der Studie wurden von Tombal im Rahmen des EAU 2014 in Stockholm präsentiert. In die randomisierte, plazebokontrollierte Doppelblindstudie waren 1717 asymptomatische oder leicht symptomatische chemotherapienaive mCRPC-Patienten eingeschlossen. Sie erhielten, randomisiert im Verhältnis 1:1 Enzalutamid 160 mg/Tag oder Plazebo. Primäre Endpunkte waren das Gesamtüberleben sowie das progressionsfreie Überleben. Die Studie wurde in 16 EU-Ländern durchgeführt. Nach 540 Todesfällen wurde eine Interimsanalyse durchgeführt, die einen signifikanten Vorteil für Enzalutamid im Sinne einer Reduktion der Mortalität um 29 Prozent zeigte (OS: HR 0,71; 95%-KI: 0,59–0,83; p < 0,0001). Die Analyse hinsichtlich der beiden primären Endpunkte zeigte eine Risikoreduktion von 81 Pro-
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zent für Gesamtüberleben und progressionsfreies Überleben (6). Dieses Ergebnis sei, so Tombal, insofern erstaunlich, als rund 70 Prozent der Plazebopatienten eine weitere lebensverlängernde Therapie erhalten hatten. Tombal: «Wir dachten nicht, dass in einem derartigen Setting ein signifikanter Überlebensvorteil für Enzalutamid erreicht werden könnte. Dennoch ist es so gekommen.»
Auch alte Patienten profitieren von den neuen Therapien Studiendaten zeigen, dass die Option der Chemotherapie besonders bei alten Patienten nur wenig zum Einsatz kommt (7). Dies wird versäumt, obwohl Alter per se keine Einschränkung im Hinblick auf die Eignung zu einer Chemotherapie bedeutet. Laut aktuellen Empfehlungen sei bei älteren Patienten für keine der im metastasierten, kastrationsresistenten Setting eingesetzten Substanzen eine Dosisreduktion erforderlich, wie Prof. Dr. Antonio Alcaraz, Leiter der urologischen Abteilung am Hospital Clínic de Barcelona, betont. Dies gelte sowohl für die hormonellen Therapien als auch für Alpharadin, Docetaxel und Cabazitaxel. Allerdings handle es sich bei alten Patienten auch nicht selten um multimorbide Patienten. Damit ändert sich das Bild. Evidenzbasierte Empfehlungen fehlen jedoch weitgehend. Hilfreich sind Subgruppenanalysen der verfügbaren Studien. Diese können bei der Auswahl geeigneter Therapien für den individuellen Patienten helfen. So zeigt zum Beispiel die Studie COU-AA-302 durch alle Altersgruppen einen konstanten Vorteil für Abirateron plus Prednison im Vergleich zu Prednison alleine (8). Zuvor war in COU-AA-301 gezeigt worden, dass Abirateron auch bei Patienten nach Chemotherapie seine Wirksamkeit durch alle Altersgruppen behält (9), wobei der Vorteil nach einer Chemo signifikant, nach zwei Chemotherapien jedoch knapp nicht mehr signifikant ist. Beinahe exakt das gleiche Bild ergab sich für Enzalutamid, das ebenfalls unabhängig vom Alter wirkt, nach mindestens zwei Chemotherapien im Vergleich zu Plazebo aber nur noch einen numerischen Vorteil zeigt. Alcaraz weist darauf hin, dass die Signifikanz für den Vorteil von Enzalutamid im Vergleich zu Plazebo auch bei Patienten mit viszeralen Metastasen knapp verfehlt wurde (10). Grundsätzlich sollte, wenn immer möglich, bei Patienten mit schlechtem Performancestatus zunächst die Komorbidität behandelt und dann die onkologische Therapie – hormonell oder Chemo – begonnen werden. Ein entsprechender Algorithmus wurde kürzlich publiziert (11). Allerdings sind die Daten, woraus solche Empfehlungen gewonnen werden können, deutlich limitiert. In einem Review zur Behandlung von Prostatakarzinompatienten mit ECOG Performancestatus 2 im kastrationsresistenten Setting wurden durch alle Studien insgesamt nur 290 Patienten identifiziert, die jedoch durchaus von einer Therapie profitierten (12). Zu anderen wichtigen Fragen, wie etwa der Dosierung der genannten Therapien bei eingeschränkter Nierenfunktion, fehlen die Daten vollständig.
Wenig Daten für die First Line des kastrationsresistenten Prostatakarzinoms Prof. Dr. Silke Gillessen von der Klinik für Onkologie/Hämatologie am Kantonsspital St. Gallen weist auch auf die dünne Datenlage zur Therapiewahl in der First Line beim kastrationsresistenten Prostatakarzinom hin. Für keine der verfügbaren Therapien gibt es Daten aus Phase-III-Studien zur Behandlung von Patienten ohne Metastasen. Die Daten aus den
verschiedenen Studien zur metastasierten Situation sind aufgrund des unterschiedlichen Designs der verschiedenen Studien schwer vergleichbar. Daten zur Secondline gibt es nur nach Docetaxel. Alle anderen denkbaren Sequenzen wurden bislang nicht prospektiv untersucht. Laut den verfügbaren Studien dürfte die Vortherapie mit Docetaxel die Wirksamkeit sowohl von Abirateron als auch von Enzalutamid reduzieren. Umgekehrt ist nach einer Therapie mit Abirateron auch die Wirksamkeit von Docetaxel eingeschränkt (13). Ein Hoffnungsträger in der Zweitlinie könnte Cabazitaxel sein, das sich sowohl nach Abirateron als auch nach Docetaxel als wirksam erwiesen und keine unerwarteten Toxizitäten gezeigt hat (14, 15).
Reno Barth
Literatur: 1. Ryan CJ, Tindall DJ. Androgen receptor rediscovered: the new biology and targeting the androgen receptor therapeutically. J Clin Oncol. 2011; 29 (27): 3651–3658. 2. Tran C et al. Development of a second-generation antiandrogen for treatment of advanced prostate cancer. Science 2009; 324: 787–790. 3. Hu R et al. Molecular processes leading to aberrant androgen receptor signaling and castration resistance in prostate cancer. Expert Rev Endocrinol Metab 2010; 5: 753–764. 4. Lodde M et al. Salvage therapy with bicalutamide 150 mg in nonmetastatic castration-resistant prostate cancer. Urology. 2010; 76 (5): 1189–1193. 5. Ryan JC et al. Abiraterone in metastatic prostate cancer. N Engl J Med. 2013; 368 (15): 1458–1459. 6. Tombal B et al. Enzalutamide in men with chemotherapy-naïve metastatic castration resistant prostate cancer (MCRPC): Primary and European regional results of the phase 3 prevail study. EAU 2014, oral presentation. 7. Lissbrant IF et al. Population-based study on use of chemotherapy in men with castration resistant prostate cancer. Acta Oncol. 2013; 52 (8): 1593–1601. 8. Rathkopf DE et al. Updated Interim Efficacy Analysis and Long-term Safety of Abiraterone Acetate in Metastatic Castration-resistant Prostate Cancer Patients Without Prior Chemotherapy (COU-AA-302). Eur Urol. 2014 Mar 6. [Epub ahead of print] 9. Fizazi K et al. Abiraterone acetate for treatment of metastatic castration-resistant prostate cancer: final overall survival analysis of the COU-AA-301 randomised, double-blind, placebo-controlled phase 3 study. Lancet Oncol. 2012; 13 (10): 983–992. 10. Scher HI et al. Increased survival with enzalutamide in prostate cancer after chemotherapy. N Engl J Med. 2012; 367 (13): 1187–1197. 11. Merseburger AS. Perspectives on treatment of metastatic castration-resistant prostate cancer. Oncologist. 2013; 18 (5): 558–567. 12. Iacovelli R et al. Are post-docetaxel treatments effective in patients with castration-resistant prostate cancer and performance of 2? A meta-analysis of published trials. Prostate Cancer Prostatic Dis. 2013; 16 (4): 323–327. 13. Mezynski J. Antitumour activity of docetaxel following treatment with the CYP17A1 inhibitor abiraterone: clinical evidence for crossresistance? Ann Oncol. 2012; 23 (11): 2943–2947. 14. Pezaro CJ. Activity of cabazitaxel in castration-resistant prostate cancer progressing after docetaxel and next-generation endocrine agents. Eur. Urol. doi: 10.1016/j.eururo.2013.11.044. 15. Wissing MD et al. Cabazitaxel in patients with metastatic castration-resistant prostate cancer: results of a compassionate use program in the Netherlands. Clin Genitourin Cancer. 2013; 11 (3): 238–250.
Quellen: Satellitensymposien «Redefining clinical practice in CRPC: New options, new thinking, new decisions» (gesponsert von Astellas) und «Using novel therapies in the real world management of patients with mCRPC» (gesponsert von Janssen) sowie Hot Line Session am 15. April. Alles im Rahmen des 29. Jahreskongresses der European Association of Urology, 11. bis 15. April 2014 in Stockholm.
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