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Ernährung bei Diabetes: Nicht alle Kohlenhydrate sind gleich
Dass Typ-2-Diabetes etwas mit Ernährung zu tun hat, ist bekannt und naheliegend. Komplizierter wird es allerdings, wenn es um konkrete Empfehlungen geht. Was sollen Patienten, die an einem Diabetes erkrankt sind, essen, und wovon sollten sie besser die Finger lassen?
W ie kompliziert die Sachlage ist, zeigt – so Prof. Dr. Jim Mann, Leiter der Abteilung Human Nutrition an der University of Otago in Neuseeland – eine einfache Google-Suche. Diese brächte Ergebnisse, die mehr zur Verwirrung als zur Klarheit beitrügen. Mann: «Es heisst zum Beispiel, Diabetiker sollen viel stärkehaltiges Gemüse essen, aber keine Nahrungsmittel mit hohem glykämischem Index. Das ist nicht ganz einfach, denn praktisch alle stärkehaltigen Nahrungsmittel haben – mit wenigen Ausnahmen – einen hohen glykämischen Index.» An Ernährungsempfehlungen, die auf der besten verfügbaren Evidenz basieren, arbeitet ein Team der Europäischen Diabetesgesellschaft (EASD), deren aktuelle Empfehlungen aus dem Jahr 2004 stammen (1). Ein Update wird fällig und befindet sich gegenwärtig in Vorbereitung. Mann: «Ich denke, dass die Empfehlungen der EASD im Hinblick auf Kohlenhydrate nicht allzu überholt sind.»
Empfehlungen zu den Kohlenhydraten Konkret besagen diese, dass der Kohlenhydratanteil an der Nahrung zwischen 45 und 60 Prozent liegen soll, was Platz für Individualisierung lässt. Diese Empfehlung bringt es jedoch nur auf einen Evidenzgrad von C. Für den gewissermassen «klassischen» Typ-2-Diabetiker mit einem metabolischen Syndrom, also hohen Triglyzeriden, hohem LDL und niedrigem HDL empfiehlt Mann innerhalb dieser Bandbreite, «auf der niedrigen Seite» zu bleiben. Die kohlenhydratreichen Nahrungsmittel sollten einen niedrigen glykämischen Index aufweisen und mit ausreichend Ballaststoffen kombiniert werden. Das gilt besonders dann, wenn die Zusammensetzung der Kost in Richtung des oberen Endes der Kohlenhydratempfehlung tendiert. Die aktuelle Empfehlung der EASD lautet: täglich mindestens 40 Gramm Ballaststoffe (die Hälfte davon löslich) sowohl für Typ-1- als auch für Typ-2Diabetiker. Um das zu erreichen, werden mindestens vier Portionen Hülsenfrüchte und fünf Portionen ballaststoffreiches Obst oder Gemüse pro Woche empfohlen. Vor allem Cerealien sollten Vollkornprodukte sein und ausreichend Ballaststoffe enthalten.
An die Ballaststoffe denken Die Empfehlung für den reichlichen Konsum von Ballaststoffen ist eine der wenigen Ernährungsempfehlungen mit hohem Evidenzgrad (A für Typ-2-Diabetes). Die günstigen Auswirkungen ballaststoffreicher Diät auf Plasmaglukose, Lipide und Insulinspiegel wurden bereits in den frühen Achtzigerjahren nachgewiesen. Mann betont jedoch, dass sich Ballaststoffe nicht nur auf die glykämische Kontrolle, sondern auch auf die Plasmalipide (und hier vor allem die postprandialen) auswirken. Eine relativ rezente Studie verglich in einer Population von Typ-2-Diabetikern die Wirkung einer kohlenhydrat- und ballaststoffreichen Kost im Vergleich zu einer «low carb»-Diät mit hohem Gehalt an einfach ungesättigten Fettsäuren und fand bei hohem Ballaststoffkonsum physiologischere Zuckerund Lipidprofile sowie niedrigere postprandiale Insulinspiegel (2). Mittlerweile wurden die Vorzüge ballaststoffreicher Kost auf das HbA1c auch in einer Metaanalyse bestätigt (3). Insbesondere lösliche Ballaststoffe zeigen einen vorteilhaften Effekt auf das postprandiale Zuckerund Lipidprofil und dürften sich günstig auf das kardiovaskuläre Risiko und die Mortalität auch von Typ-1-Diabetikern auswirken (4). Ein schwierigeres Thema ist der glykämische Index (GI). Grundsätzlich sollte dieser bei Nahrungsmitteln mit hohem Kohlenhydratanteil niedrig sein. Allerdings ist der GI – so Mann – eine unzuverlässige Grösse, weil er sich je nach Zubereitung und auch nach patientenbezogenen Faktoren ändern kann. Darüber hinaus liefert der GI alleine wenig Information über ein Nahrungsmittel. Beispielsweise haben Kichererbsen und Nutella einen vergleichbaren glykämischen Index, sonst aber kaum Gemeinsamkeiten. Mann: «Betrachtet man die zahlreichen Metaanalysen und Cochrane-Reviews, die es mittlerweile zu diesem Thema gibt, findet man durchweg Vorteile für Nahrungsmittel mit niedrigem glykämischem Index. Allerdings muss man betonen, dass selbst in guten Studien Kontrollen, hinsichtlich von Störfaktoren wie zum Beispiel eines unterschiedlichen Ballaststoffanteils, schwierig durchzuführen sind.»
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Probanden die kohlenhydratreichen Nahrungsmittel in geriebenem Zustand konsumierte. Dieses Zerstören der Struktur wirkte sich deutlich ungünstig auf das Zuckerprofil der Studienpatienten aus (6). Das zeige, so Mann, wie vorsichtig mit dem Begriff des glykämischen Index umgegangen werden müsse. Ein gutes Beispiel für die Folgen der Bearbeitung von Nahrungsmitteln sei weisser Reis, dessen Konsum immer mehr mit Typ-2-Diabetes in Verbindung gebracht werde (7).
Abbildung: Auch beim Vollkornbrot muss man genau hinsehen, nicht alles, was so aussieht, ist auch tatsächlich vollwertig.
Studien nur schwer vergleichbar Aus diesem Grund seien auch Studien, die zwischen «low carb»- und «high carb»-Diäten verglichen, mit Vorsicht zu geniessen. Dabei wurden in kleineren Arbeiten erhebliche Vorteile kohlenhydratarmer Kost gesehen. Auch eine Metaanalyse bestätigt mittlerweile die Vorteile einer «low carb»-Diät auf HbA1c, postprandialen Zucker, postprandiales Insulin, Triglyzeride und HDL-Cholesterin (5). Mann bleibt skeptisch und betont, dass man zunächst grundsätzlich zwischen Diäten zur Gewichtsreduktion und einer dauerhaften, gewichtskontrollierenden Ernährung unterscheiden müsse. In der Bewertung von Vergleichsstudien sei sehr genau darauf zu achten, dass in den beiden Armen auch der Ballaststoffanteil der Kost vergleichbar bleibe. Wenn im «high carb»-Arm solcher Studien zu wenig Ballaststoffe und Nahrungsmittel mit hohem glykämischem Index gegessen werden, dürfe man sich nicht wundern, wenn sich diese Kost ungünstig auf die glykämische Kontrolle auswirke. Darüber hinaus mehren sich auch die Anzeichen, dass sich die Effekte fett- und kohlenhydratarmer Diäten auf längere Sicht angleichen, solange die Gewichtskontrolle gewahrt bleibt.
Lebensmittel genau ansehen Wichtig sei nicht zuletzt ein genauer Blick auf die empfohlenen Nahrungsmittel. Brot, das aussehe wie Vollkorn, habe in Wirklichkeit nicht selten einen glykämischen Index «wie einen Sack Glukose». Ähnliches gilt für Cerealien, bei denen in der Praxis schwer auszumachen ist, wie viel Ballaststoff sie tatsächlich enthalten. Herstellerangaben seien, so Mann, durchaus nicht in allen Fällen hilfreich. Welche Auswirkungen die Verarbeitung haben kann, zeigte bereits 1999 eine finnische Studie, die zwei kohlenhydrat- und ballaststoffreiche Diäten verglich. Der einzige Unterschied bestand darin, dass eine Gruppe von
Empfehlungen sollen einfacher werden Unter dieser Studienlage wird gegenwärtig an den kommenden Guidelines der EASD zur Ernährung bei Diabetes gearbeitet. Mann: «Ich möchte der Arbeitsgruppe nicht vorgreifen, aber wir werden die Empfehlungen vereinfachen und die Rolle natürlicher, nicht synthetischer und nicht bearbeiteter Ballaststoffe betonen. Für künstliche Ballaststoffe fehlt hingegen derzeit jegliche Evidenz. Die Empfehlung für Kohlenhydrate wird zwischen 40 und 60 Prozent liegen, wobei auf die wichtigen Unterschiede zwischen den verschiedenen Typen von Brot, Pasta und Cerealien hingewiesen werden muss. Eine stärkehaltige Diät muss nicht unbedingt gut sein.»
Reno Barth
Literatur: 1. Mann JI et al. Evidence-based nutritional approaches to the treatment and prevention of diabetes mellitus. Nutr Metab Cardiovasc Dis. 2004; 14: 373–394. 2. De Natale C et al. Effects of a plant-based high-carbohydrate/highfiber diet versus high-monounsaturated fat/low-carbohydrate diet on postprandial lipids in type 2 diabetic patients. Diabetes Care. 2009; 32(12): 2168–2173. 3. Post RE et al. Dietary Fiber for the Treatment of Type 2 Diabetes Mellitus: A Meta-Analysis. J Am Board Fam Med. 2012; 25(1): 16–23. 4. Schoenaker DA et al. Dietary saturated fat and fibre and risk of cardiovascular disease and all-cause mortality among type 1 diabetic datients: the EURODIAB Prospective Complications Study. Diabetologia. 2012; 55(8): 2132–2141. 5. Kodama S et al. Influence of fat and carbohydrate proportions on the metabolic profile in patients with type 2 diabetes: a meta-analysis.Diabetes Care. 2009; 32(5): 959–965. 6. Järvi AE et al. Improved glycemic control and lipid profile and normalized fibrinolytic activity on a low-glycemic index diet in type 2 diabetic patients. Diabetes Care. 1999; 22(1): 10–18. 7. Hu EA et al. White rice consumption and risk of type 2 diabetes: meta-analysis and systematic review. BMJ. 2012; 344: e1454
Quelle: «Nutritional epidemiology», wissenschaftliche Sitzung im Rahmen des 49. Jahreskongresses der EASD vom 23. bis zum 27. September in Barcelona.
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