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ESC-Kongress 2013: eine Studienübersicht
Vom 31. August bis zum 4. September 2013 versammelten sich in Amsterdam die Kardiologen am Kongress der European Society of Cardiology (ESC). Im Folgenden finden Sie einige interessante neue Studienergebnisse, die im Lauf des Kongresses vorgestellt wurden. Zu den zentralen Themen zählten unter anderem Blutdrucksenkung, Antikoagulation und kardiovaskuläre Outcomes von Diabetesmanagementstrategien.
Koronare Herzkrankheit AQUARIUS: keine Krankheitsverzögerung, dennoch klinischer Nutzen Der Blutdrucksenker Aliskiren brachte keine signifikante Verzögerung der Krankheitsprogression bei KHK-Patienten mit Prähypertonie, allerdings könnten sich andere potenzielle klinische Vorteile zeigen. Zu diesen Ergebnissen kam der AQUARIUS-Trial (Aliskiren Quantitative Atherosclerosis Regression Intravascular Ultrasound Study). AQUARIUS umfasste Patienten mit KHK, Prähypertonie und zwei zusätzlichen kardiovaskulären Risikofaktoren. Die Patienten erhielten täglich entweder Aliskiren 300 mg (n = 305) oder Plazebo (n = 308). Primärer Endpunkt war das prozentuelle Atheromvolumen (PAV), sekundärer Endpunkt das Gesamt-Atheromvolumen (TAV) einer Zielarterie (Ultraschallmessung). Zwar zeigte sich bezüglich dieser Endpunkte kein statistisch signifikanter Unterschied (Senkung des PAV um 0,33 [Aliskiren] bzw. Erhöhung um 0,11% [Plazebo]; Senkung des TAV um jeweils 4,0 bzw. 2,1 mm3). Jedoch kam es in der Verumgruppe zu einer signifikant grösseren Blutdrucksenkung (systolisch -2,9 vs. -0,8 mmHg; p = 0,007, diastolisch -2,0 vs. -0,4 mmHg; p = 0,003). Ausserdem traten unter Aliskiren zudem weniger grosse kardiovaskuläre Ereignisse und weniger nonletale Myokardinfarkte auf. Diese Ergebnisse seien jedoch mit Sorgfalt zu interpretieren, kommentierte der Studienleiter Prof. Dr. Stephen Nicholls vom Royal Adelaide Hospital in Australien. «Die Anzahl der Ereignisse war gering, und der Trial nicht formal für eine Bewertung klinischer Outcomes angelegt.» Weitere, grössere Untersuchungen seien jedenfalls zur besseren Einstufung des optimalen Blutdrucks für KHK-Patienten erforderlich.
AQUARIUS: Effect of the Renin Inhibitor Aliskiren on Progression of Coronary Atherosclerosis, ESC-Kongress, 3. September 2013 in Amsterdam.
Perkutane kardiovaskuläre Intervention (PCI) Einsatz von Prasugrel: besser später Derzeitige Richtlinien empfehlen, Patienten mit Non-STHebungsinfarkten so frühzeitig wie möglich P2Y12-Hemmer vor einer PCI zu verabreichen, zusätzlich zu ASS (ausser bei Kontraindikationen wie exzessivem Blutungsrisiko). Ob das angesichts neuerer, potenterer und zudem viel rascher wirksamer P2Y12-Rezeptor-Antagonisten noch erforderlich ist, untersuchte die ACCOAST-Studie am Beispiel von Prasugrel. Sie zeigte, dass eine frühzeitige Behandlung im Sinne eines «Pretreatment» nicht vorteilhaft ist; Prasugrel sollte erst nach Feststellung der Indikation zur PCI zum Einsatz kommen. Die Hälfte der eingeschlossenen 4000 NSTEMI-Patienten, bei denen in den nächsten 2 bis 48 Stunden eine Koronarangiografie anstand, erhielt eine halbe Dosis Prasugrel (30 mg) kurz vor dem Eingriff und bei Indikation nochmals 30 mg zum Zeitpunkt der PCI. Der anderen Hälfte wurden 60 mg Prasugrel zum Zeitpunkt der PCI verabreicht. Ergebnis: Hinsichtlich Komplikationen wie Myokardinfarkt, Insult oder kardialen Tods waren beide Vorgehensweisen gleichwertig, die frühere Gabe erbrachte keinen Vorteil. Sie zeigte sogar signifikante Nachteile: eine 1,9-fach statistisch signifikant erhöhte Blutungsrate sowie 3- bis 6-fach häufigere schwere und lebensbedrohliche Blutungen, die nicht im Rahmen von Bypassoperationen auftraten. Die Ergebnisse wiesen darauf hin, «dass es keinen Bedarf für eine Vorbehandlung bei NSTEMI-ACS-Patienten zur Prävention ischämischer Komplikationen gibt, während sie auf die PCI warten», kommentierte der Studienleiter Dr. Gilles Montalescot vom Centre Hospitalier Universitaire Pitié-Salpêtrière, Paris. «Prasugrel sollte daher nur nach Feststellung der koronaren Anatomie erwogen werden.»
Pre-Treatment with Prasugrel – More Risk, No Benefit: ACCOAST; ESC-Kongress, 1. September 2013 in Amsterdam.
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Kardiovaskuläre Outcomes bei Diabetes
SAVOR-TIMI-Studie zeigt Sicherheit unter Saxagliptin Nach wie vor ist ungeklärt, ob Antidiabetika tatsächlich das Risiko eines Myokardinfarkts senken oder ob sie das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse sogar erhöhen. Eine grosse internationale Studie untersuchte nun den selektiven Dipeptidylpeptidase-4-(DPP-4-)Hemmer Saxagliptin versus Plazebo bei knapp 16500 Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2, HbA1c-Werten zwischen 6,5 und 12 Prozent sowie etablierter kardiovaskulärer Erkrankung respektive multiplen kardiovaskulären Risikofaktoren. Die Patienten erhielten entweder Saxagliptin oder Plazebo zusätzlich zur antidiabetischen beziehungsweise kardiovaskulären Basistherapie. Der primäre Sicherheitsendpunkt wurde erzielt: Saxagliptin zeigte sich bezüglich der Ereignisrate
(Kombination aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt oder ischämischer Insult) gegenüber Plazebo nicht unterlegen (7,3 vs. 7,2%). Die Blutzuckerkontrolle war unter Saxagliptin besser, der Bedarf für eine zusätzliche Insulintherapie geringer. Allerdings berichteten signifikant mehr Patienten in der Verumgruppe über zumindest ein hypoglykämisches Ereignis (15,3 vs. 13,4%), und es wurden mehr Krankenhausaufenthalte aufgrund von Herzversagen beobachtet (3,5 vs. 2,8%). Diese Erhöhung der stationären Aufnahmen war «unerwartet und muss weiter untersucht werden», kommentieren die Autoren. Insgesamt sei der fehlende Anstieg des Herzinfarktrisikos jedoch «beruhigend», erklärte Dr. Benjamin Scirica von der TIMI Study Group. «Die neutralen Ergebnisse stehen im Widerspruch zu dem in kleineren Studien beobachteten Nutzen von Saxagliptin und unterstreichen die Bedeutung angemessen gepowerter Studien für die umfassende Bewertung der kardiovaskulären Therapieeffekte.»
SAVOR-TIMI 53: Saxagliptin Assessment of Vascular Outcomes Recorded in Patients with Diabetes Mellitus (SAVOR)-TIMI 53 Study, Session 708, ESC-Kongress, 2. September 2013 in Amsterdam.
Hypoglykämie und kardiovaskuläre Ereignisse
ORIGIN-Trial untersucht Zusammnhänge Die Hypoglykämie ist als Nebenwirkung der antidiabetischen Therapie bekannt und soll mit kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität in Verbindung stehen. Ob es sich bei dieser Verbindung um eine kausale Beziehung handelt oder sie auf Faktoren zurückzuführen ist, die mit einer Neigung zu Hypoglykämie zusammenhängen, ist nicht geklärt. Der ORIGIN-Trial (Outcome Reduction with Initial Glargin Intervention) untersuchte zur Analyse dieser Beziehungen Patienten mit gestörter Nüchternglukose, gestörter Glukosetoleranz oder frühem Typ-2-Diabetes und erhöhtem kardiovaskulärem Risiko. Sie erhielten randomisiert basales Insulin glargin titriert auf eine Nüchternplasmaglukose von ≤ 5,3 mmol/l (n = 6264) oder die standardmässige glykämische Betreuung (n = 6273). Als nicht schwere Hypoglykämie galt ein Glukosewert ≤ 3,0 mmol/l; als schwere Hypoglykämie ein Wert ≤ 2,0 mmol/l. Zu den untersuchten Endergebnissen zählten 1) zusammengesetzter Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod oder nonletalem Myokardinfarkt oder Insult; 2) Gesamtmortalität; 3) kardiovaskuläre Mortalität und 4) Tod durch Arrhythmie. Während des 6-jährigen Follow-ups hatten 41,7 Prozent der Glarginpatienten zumindest eine Episode einer nichtschweren Hypoglykämie versus 14,4 Prozent in der Standardgruppe. Die nicht schwere Hypoglykämie zeigte mit keinem der Endpunkte eine signifikante Assoziation. Demgegenüber erhöhte die schwere Hypoglykämie das Risiko für ein primäres Endergebnis (HR 1,59), Mortalität (HR 1,75), kardiovaskulären Tod (HR 1,71) sowie Tod durch Ar-
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rhythmie (HR 1,77), wobei das Risiko dieser Outcomes unter schweren Hypoglykämien in der Standardgruppe 2- bis 3-fach höher war als bei Glarginpatienten.
ORIGIN: Association between Hypoglycemia and Risk of Cardiovascular Events with Titrated Insulin Glargine or Standard Care, Session Nr. 710, ESC-Kongress, 2. September 2013 in Amsterdam.
und sicher erwiesen. Die wahrscheinlichste Erklärung für die in RE-ALIGN beobachteten Ergebnisse sei neben der im Vergleich zu Vorhofflimmern anderen klinischen Situation bei mechanischen Klappen der unterschiedliche Wirkmechanismus zwischen Dabigatran und Warfarin, erläutert Van De Werf, denn «Dabigatran wirkt nur auf Thrombin, Warfarin auf Thrombin und auf andere Gerinnungsfaktoren».
Akute Herzinsuffizienz Nutzen von Serelaxin über alle Subgruppen Die Dyspnoe ist eines der belastendsten Symptome für Patienten mit akuter Herzinsuffizienz (AHF). In der RELAXAHF-Studie verbesserte das vasoaktive Peptidhormon Serelaxin nicht nur die Dyspnoe von AHF-Patienten, sondern führte zudem zu einer Senkung der kardiovaskulären und Gesamtmortalität nach 180 Tagen. Nun zeigte die entsprechende Analyse, dass diese Effekte bei einer Reihe von Subgruppen zwar ähnlich sind, Serelaxin bei manchen Patienten jedoch eine besonders starke Wirkung zeigt: bei Patienten > 75 Jahren, ohne vorherige stationäre Aufnahme wegen AHF, mit Vorhofflimmern, Lymphozyten ≤ 12 Prozent und bei Patienten, die kurz vor Baseline keine ACE-Hemmer oder Aldosteronantagonisten einnahmen. Da die Studie für diese Subgruppenanalyse nicht ausreichend gepowert war, seien diese Ergebnisse als hypothesengenerierend anzusehen, schränken die Autoren ein.
RELAX-AHF: Administration of serelaxin to patients with acute heart failure: are there any differences across RELAX-AHF subgroups? Session Nr. 710, ESC-Kongress, 2. September 2013 in Amsterdam.
Antikoagulation bei künstlichen Herzklappen RE-ALIGN: Dabigatran keine Alternative Das neue orale Antikoagulans Dabigatran hatte in präklinischen Tiermodellen vielversprechende Ergebnisse in der Prävention der Klappenthrombose gezeigt. Doch nun kam es bei Patienten mit künstlichen Herzklappen im REALIGN-Trial im Vergleich zu Warfarin unter Dabigatran zu einer erhöhten Rate thromboembolischer Ereignisse (Insult, Myokardinfarkt, Klappenthrombose) und von Blutungen, berichtete Prof. Dr. Frans Van De Werf von der Universität Leuven, Belgien. Die veröffentlichten Ergebnisse indizierten, dass Dabigatran für Patienten, die nach Implantierung einer künstlichen Herzklappe unter Antikoagulation stehen, keine geeignete Alternative zu Warfarin darstellt. An 39 Zentren in 10 Ländern erhielten Patienten mit Aorten- und/oder Mitralklappenersatz in RE-ALIGN entweder Dabigatran oder Warfarin. Mit Dabigatran war ein höheres Risiko für Insult (5% vs. 0%), Myokardinfarkt (2% vs. 0%) und Klappenthrombose (3% vs. 0%) assoziiert. Die meisten der Ereignisse traten innerhalb einer Woche nach Klappenersatz auf. Dabigatran hat sich in anderen Indikationen als wirksam
Dabigatran Etexilate is Contraindicated in Patients with Mechanical Heart Valves. RE-ALIGN trial; ESC-Kongress, 1. September 2013 in Amsterdam.
Nutzen der Salzeinschränkung Ausmass abhängig von Natriumkonsum, Blutdruck und Alter Aktuelle Richtlinien zum Salzkonsum scheinen davon auszugehen, dass die verminderte Natriumaufnahme bei allen Bevölkerungsgruppen zu einer Blutdrucksenkung führen wird. Die PURE-Sodium-Studie (Prospective Urban Rural Epidemiological) ergab etwas differenziertere Ergebnisse. Das internationale Forscherteam schätzte die 24-StundenNatrium- und Kaliumausscheidung im Harn anhand einer einzigen morgendlichen Nüchternprobe mittels der Kawasaki-Formel, mass die Blutdruckwerte und analysierte die Assoziation zwischen Harnnatriumwerten und Blutdruckwerten. Die Autoren fanden keine Assoziation zwischen der Natriumausscheidung im Harn < 3 g/Tag und Blutdruckwerten; eine schwache bis moderate Assoziation zwischen Natriumausscheidung von 3 bis 5 g/Tag und Blutdruckwerten und eine starke Assoziation zwischen Natriumausscheidung > 5 g/Tag und Blutdruckwerten. Zudem zeigte sich eine stärkere Assoziation zwischen hoher Natriumausscheidung und Blutdruck bei Teilnehmern mit Hypertonie als bei solchen ohne Hypertonie sowie bei Personen ≥ 55 Jahre, verglichen mit Jüngeren. «Diese Befunde sollten neue Richtlinien bezüglich des Salzkonsums beeinflussen», kommentierte der Studienleiter Dr. Andrew Mente vom Population Health Research Institute in Hamilton, Kanada.
PURE-Sodium: Heterogeneity in the associations of urinary sodium and potassium with blood pressure: The PURE sodium study, Session Nr. 711, ESC-Kongress, 4. September 2013 in Amsterdam.
Lydia Unger-Hunt
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