Transkript
CongressSelection
Abgesang der alten Antikoagulanzien
Interview mit Prof. Dr. Bernhard Meier, Bern
Durchaus kontrovers diskutiert werden einige der Themen des ESC-Kongresses, die Prof. Dr. Bernhard Meier, Direktor und Chefarzt der Universitätsklinik für Kardiologie, Inselspital Bern, im Gespräch anspricht: vom «zu frühen» Einsatz der Statine beim akuten Koronarsyndrom über «überflüssige, aber nach wie vor empfohlene» Gerinnungshemmer bis hin zur «Fehlentwicklung» der absorbierbaren Stents.
C ongressSelection: Herr Prof. Meier, welche Kongressthemen waren für Sie von besonderer Bedeutung? Prof. Dr. Bernhard Meier: Fangen wir bei den Statinen an und der Frage, ob man bei einem akuten Koronarsyndrom vorneweg ein Statin verabreichen soll. In der Literatur wird das zwar so empfohlen, ich sehe das allerdings anders – bei diesem akuten Krankheitsbild gibt es Wichtigeres zu erledigen. Nach einem Infarkt sollte man hingegen Statine möglichst frühzeitig geben, falls der Patient
noch keines einnimmt, wobei hoch dosierte besser wirken als niedrig dosierte.
Was sagen die Daten zum Einsatz von
Statinen gegen Demenz?
Ich bin überzeugt davon, Statine eigent-
lich allen nützen können, provokativ ge-
sagt: Statine sollte man schon mit der
Babyflasche geben. Dann könnten Men-
schen deutlich älter und unter anderem
Bernhard Meier
aufgrund der geringeren Demenzrate auch bei besserer Gesundheit älter wer-
den. Statine verlangsamen die Gefässalterung, was die
mentale Leistung erhält und weniger Leute an Gefässer-
krankungen sterben lässt. Im Prinzip sollte man sich das
gesellschaftlich leisten und Statine dem Trinkwasser bei-
geben – das würde auch geschehen, wenn es sich um Vi-
tamine handelte. Aber man darf hoffen: Kürzlich konnte
ein pflanzliches Statin nachgewiesen werden; wenn die
Firma den Zulassungsprozess gut durchläuft und die An-
erkennung als pflanzliches Substrat erhält, dann käme
eine breite Primärprävention womöglich zum Fliegen.
Und wie sieht es mit der Sekundärprävention aus? Statine zeigen hier eine besonders positive Wirkung. Die Gefässe bleiben besser offen, weniger Gehirnzellen sterben ab –, nur ist es eben extrem schwierig, das zu unter-
suchen. Man müsste Studien 10 bis 20 Jahre laufen lassen, was keine Firma macht. Insgesamt sind Statine über jeden Zweifel erhaben, sie werden kaum durch etwas Besseres ersetzt werden.
Was ja bei bestimmten Gerinnungshemmern gerade in der Diskussion ist ... Stimmt, wir können hier wohl den Abgesang der alten Antikoagulanzien anstimmen. Derzeit wird je nach Richtlinien immer noch die Triple-Therapie – also Vitamin-K-Antagonist, ASS und Clopidogrel – bei koronarem Stent und Vorhofflimmern empfohlen. Davon rate ich entschieden ab: Die Blutungsgefahr ist erheblich, der Schutzbedarf hingegen ist nicht so gross wie ursprünglich angenommen. Weder Vorhofflimmern noch die modernen Stents sind derart thrombogen, dass sie eine Dreifach-Antikoagulation rechtfertigen. Man kann ASS wohl weglassen. Und braucht es bei Stents wirklich noch die duale Antikoagulation mit Clopidogrel und ASS? Prasugrel oder Ticagrelor sind alleine potenter als diese beiden zusammen. Ich persönlich empfehle seit 1 Jahr nur noch einen der neuen Plättchenhemmer ohne ASS; aus meiner zugegeben kleinen persönlichen Erfahrung kann ich damit nur Vorteile erkennen. In ein paar Jahren wird man unter Umständen generell überlegen, ob man einen guten Plättchenhemmer, einen Xa- oder einen IIa-Hemmer einsetzt, ungeachtet der Grunderkrankung.
Wie sieht es mit Heparin aus? Heparin wird als Dauertherapie ebenfalls aus den Traktanden fallen. Das niedermolekulare (NM) Heparin war im Prinzip nie besser als das unfraktionierte, nur einfacher einzusetzen. Bislang war das NM-Heparin Goldstandard als Alternative oder zusammen mit Vitamin-K-Antagonisten in Übergangszeiten. Bei den neuen Antikoagulanzien ist eine Heparinbegleitung bei Ein- oder Ausleitung nicht mehr nötig – Heparin hat hier also keinen Platz mehr.
4 Kardiologie ESC 2013
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Wahrscheinlich wird Heparin noch in der Blutverdünnung von Herz-Lungen-Maschinen, bei Kunstherzen oder in der Dialyse überleben, weil da die Handhabung einfacher ist. In einigen Jahren wird man Vitamin-K-Antagonisten, Heparin und ASS zur Langzeit-Blutverdünnung endgültig verlassen haben.
Thema Stents: Was gibt es zu den neuen absorbierbaren Stents zu sagen? Im interventionellen Bereich gelten absorbierbare Stents vielerorts als Durchbruch. Ich bin aber kein Anhänger und wir verwenden sie daher auch nicht. Der Grund, warum diese Stents eingesetzt werden, ist ein Problem, das um 2006 aufgebauscht wurde, nämlich das der späten StentThrombose. Man hat damals erkannt, dass es unter Drugeluting-Stents ab dem 2. Jahr vermehrt zu diesem Problem kommt. Dieses Problem ist aber mittlerweile durch bessere Stents gelöst worden. Die Drug-eluting-Stents der zweiten oder dritten Generation sind davon nicht mehr betroffen. Ausserdem wurde über eine gestörte Vasomotion berichtet – sicher ist die gestentete Gefässstrecke steif und distal davon kann die Vasomotion gestört sein. Das ist indes klinisch irrelevant. Da hört man nun wirklich die Flöhe husten. Chirurgen haben diesbezüglich auch gerne kolportiert, dass sie wegen Stents nicht mehr gescheit operieren können, aber ich kenne keinen Patienten, bei dem dies wirklich der Fall gewesen war. Die neuen absorbierbaren Stents sind vergleichbar mit einem Stent vor 20 Jahren: Der Implantationsaufwand ist grösser und aufwendiger als bei modernen Metallstents. Der derzeit erhältliche absorbierbare Stent wird auch in den ersten 2 bis 3 Jahren kaum absorbiert. Selbst dort, wo eine Absorption stattgefunden hat, verbleibt eine Narbe. Es ist eine Illusion, zu glauben, man hätte nachher
wieder ein normales Gefäss. Das Gefäss war ja schon vorher nicht normal. Da viele die absorbierbaren Stents für eine tolle Sache halten, wird das Thema noch lange kontrovers diskutiert werden. Ich kann nicht ausschliessen, dass sich diese gewissermassen unnötige Entwicklung sogar als Standard etabliert. So was kommt in der Medizin immer mal wieder vor.
Auch beim Thema Diabetes haben sich einige Erwartungen nicht erfüllt … So ist es. Die Studien SAVOR-TIMI 53 und EXAMINE haben zwar ihren Zweck erfüllt und die Nichtunterlegenheit bezüglich Blutzuckersenkung und Verbesserung des HbA1cWerts von Saxagliptin beziehungsweise Alogliptin versus der Standardbehandlung gezeigt, damit ist auch die Zulassung durch die FDA erreicht. Aber aus früheren Untersuchungen hatte man eigentlich eine deutliche Senkung der kardiovaskulären Ereignisse erwartet, und dieses Ziel wurde klar verfehlt. Beruhigend wiederum war das Fehlen von Warnzeichen für Pankreatitis oder Tumorgenese; ausserdem wurde eine Verminderung der Albuminurie beobachtet, und da dies das erste Zeichen einer Nierenschädigung ist, weiss man nun, dass diesbezüglich ein gewisser protektiver Effekt gegeben ist. Auch gab es zwar nicht weniger, aber auch nicht mehr Hospitalisierungen aufgrund einer Hypoglykämie. Man muss abwarten, ob und mit welchen Ergebnissen diese Studien noch weiterverfolgt werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Christine Mücke.
Foto: Mü
Das Quizformat hat seinen Weg nun auch an den ESC-Jahreskongress gefunden: Das Schweizer Team hat im Quiz der Nationen alles gegeben.
ESC 2013 Kardiologie
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