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Gastro-Update: Neue Ansätze und Substanzen
Dreht sich alles um die Darmflora?
Dass viele gastroenterologische Erkrankungen mit einer gestörten Darmflora einhergehen, scheint heute gesichert. Ein neuer Ansatz, eben dieses Mikrobiom zu verändern, liegt in der aufwändigen Transplantation von Donorstuhl. Ob Patienten mit einer Colitis ulcerosa, einer Clostridium-difficile-Infektion oder sogar Übergewichtige vom Stuhl gesunder Spender profitieren könnten, wird derzeit in verschiedenen Studien geprüft. Aber auch die Rolle der Darmflora beim Reizdarm und aktuelle Therapieansätze beim Obstipationstyp der Erkrankung waren Thema.
Über eine kleine, aber medienwirksame Studie mit insgesamt 46 Patienten, die unter einer Clostridium difficile-Diarrhö litten, berichtete Professor Dr. Michael Fried vom Universitätsspital Zürich (1). Clostridiumdifficile ist in bis zu 20 Prozent Auslöser einer solchen Antibiotika-assoziierten Diarrhö, die auf dem Boden der Zerstörung der physiologischen Darmflora durch Antibiotika entsteht. Warum also nicht die Milliarden nützlicher Darmbakterien mittels Stuhlspende zurückholen? (2). Holländischen Wissenschaftlern war es gelungen, im Anschluss an eine 4-tägige Behandlung mit Vancomycin durch eine duo-
denale Infusion (per Nasensonde) von Donorstuhl einen Grossteil der Patienten mit einer rezidivierenden Clostridium-difficile-Infektion zu heilen. Die Therapie schlug bereits nach der ersten Infusion bei 81 Prozent der Patienten an. Im Vergleich dazu war die alleinige Vancomycinbehandlung über 14 Tage nur bei 31 Prozent der Patienten von Erfolg gekrönt. Die Studie wurde aufgrund dieser Differenz vorzeitig abgebrochen. «Auch bei Colitiden ist eine Veränderung der mikrobiellen Kolonisation des Darms möglich, allerdings unter enormem Aufwand», resümierte der Experte.
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Auch beim Reizdarmsyndrom könnte eine krankhaft veränderte Darmflora eine grössere Rolle spielen als bisher angenommen. Ein Mangel an Laktobazillen sowie ein gestörtes Verhältnis von aeroben zu anaeroben Organismen wurden in diesem Zusammenhang beschrieben.
Darmflora beim Reizdarm
Beim Reizdarmsyndrom tragen unterschiedliche Mechanismen zu Pathogenese und Symptomen bei. Eine gestörte gastrointestinale Motilität und Sekretion gilt als gesichert. Es liegt sowohl eine neurologische Störung innerhalb des enterischen Nervensystems vor als auch eine gestörte Interaktion zwischen Verdauungstrakt und Gehirn. Serotonin ist als Schlüsselbotenstoff an beiden Prozessen beteiligt. Weiterhin sind neben molekularen und zellulären Veränderungen auf Schleimhautebene Störungen übergeordneter Regulationssysteme und eine erhöhte Prävalenz psychischer Komorbiditäten mit der Krankheit assoziiert. Neue Erklärungsmodelle machen Veränderungen im Darmmilieu für die Vorgänge beim Reizdarmsyndrom verantwortlich. Eine Hypothese basiert auf der Annahme einer Überbesiedlung des Dünndarms, die in einer pathologischen Darmflora resultiert, berichtete Fried.
Nach einer infektiösen Kolitis droht der Reizdarm
Eine Überwucherung des Darms mit Bakterien wird bei etwa 60 Prozent aller Reizdarmpatienten angenommen. Im Dünndarm von Reizdarmpatienten sei zudem eine Dysbakterie, eine Besiedlung mit coliformen Bakterien nachgewiesen worden. Das Potenzial, Symptome durch einen Eingriff in die Zusammensetzung der Darmflora, etwa durch Antibiotika oder Prokinetika, zu lindern, spricht für diese Hypothese. Rifaximin, ein nicht resorbierbares Antibiotikum, reduziert anhaltend Reizdarmsymptome bei Patienten ohne Obstipation.* In einer Studie mit 1217 Patienten wiesen diejenigen, die über einen Zeitraum von 2 Wochen das Antibiotikum in einer Dosierung von 550 mg 3-mal täglich eingenommen hatten, in den darauffolgenden 2 Monaten signifikant weniger Blähungen, abdominelle Schmerzen und wässrige Stühle auf als Patienten der Plazebogruppe (3).
Take-Home-Messages
• Viel versprechende Therapieoptionen beim Reizdarm vom Obstipationstyp: Lubiproston, Prucaloprid, Linaclotid.
• Ein Reizdarm entsteht häufig auf dem Boden einer infektiösen Kolitis.
• Das Antibiotikum Rifaximin ist bei ausgewählten Patienten wirksam.
• Stuhltransplantation: Neuer Ansatz bei verschiedenen gastroenterologischen Erkrankungen liegt in der Rekonstitution einer gesunden Darmflora (1, 2).
Das postinfektiöse Reizdarmsyndrom, bei dem Patienten nach einer Gastroenteritis-Episode erst ein Reizdarmsymptome entwickeln, lässt sich ebenfalls mit einer Störung in der Zusammensetzung der Darmflora erklären.
Obstipationstyp: Intestinale Sekretion fördern
Beim Reizdarm vom Obstipationstyp konzentrieren sich Therapieansätze derzeit auf die Stimulation der intestinalen Sekretion. Ein Beispiel ist die erfolgreiche Behandlung mit dem selektiven Chloridkanal-Aktivator Lubiproston. In 2 über 12 Wochen andauernden Studien mit über 1000 meist weiblichen Patienten wurde bei mit Lubiproston-behandelten Patienten eine signifikante Besserung von Reizdarmbeschwerden erzielt. Stickstoffmonoxid reguliert die Motilität der glatten Muskulatur in allen Geweben und die gastrointestinale Sekretion. NO aktiviert dazu direkt die intrazelluläre lösliche Guanylatzyklase C. Ein Analogon dieses Membranproteins, Linaclotid, fördert ebenfalls die gastrointestinale Sekretion und hemmt die Flüssigkeitsresorption im Dickdarm. Linaclotid beschleunigt den Kolontransit innerhalb von 48 Stunden nach Einnahme und verbessert dosisabhängig die Stuhlkonsistenz. Das zeigte eine über 12 Wochen laufende plazebokontrollierte Studie mit 1276 Patienten (4). Das Prokinetikum Prucaloprid stellt eine weitere Option in der Behandlung der Obstipation dar. Als Serotonin-4-Agonist stimuliert es selektiv die 5-HT4-Rezeptoren an den intramuralen Nervenfasern und triggert somit über die Freisetzung von Acetylcholin den peristaltischen Reflex und die Kolonmotilität (5).
*in der Schweiz nicht im Handel
Anka Stegmeier-Petroianu
Referenzen: 1. Van Nood E et al. Duodenal infusion of feces for recurrent Clostridium difficile. N Engl J Med 2013; 368 (5): 407–415. 2. Vrieze A et al. Fecal transplant: A safe and sustainable clinical therapy for restoring intestinal microbial balance in human disease? Best Pract Res Clin Gastroenterol. 2013; 27 (1): 127–137. 3. Pimentel M et al. Rifaximin therapy for patients with irritable bowel syndrome without constipation. N Engl J Med 2011; 364 (1): 22–32. 4. Lembo AJ et al. Two randomized trials of linaclotide for chronic constipation. N Engl J Med 2011; 365 (6): 527–536.5. Camilleri M et al. A placebo-controlled trial of prucalopride for severe chronic constipation. N Engl J Med 2008; 358 (22): 2344–2354.
Quelle: Update Gastroenterologie. Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin, SGIM-Kongress vom 29. bis 31. Mai 2013 in Basel.
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