Transkript
Editorial
Findige PR-Strategen und Hormonproduzenten erfanden im Windschatten des einstigen HormonHypes für menopausale Frauen eine analoge «Krankheit» für die Männer. Klingende Namen, wie zum Beispiel Climacterium virile, Andropause oder «partial androgen deficiency in the aging male», kurz PADAM, sollten den Weg für die Testosterontherapie als vermeintlichen Jungbrunnen für alternde Männer ebnen. Doch die hormonellen Wechseljahre des Mannes gibt es nicht. Bei im Durchschnitt gerade einmal 2 von 100 Männern im Alter zwischen 40 und 79 Jahren konnten Endokrinologen in einer vor zwei Wochen im «New England Journal of Medicine» publizierten Studie eindeutig Androgenmangelbedingte «Wechseljahrsbeschwerden» finden. Bei
übrig, die die Studienautoren nur dann als männliche «Wechseljahressymptome» gelten liessen, sofern diese mit einem Testosteronspiegel unter 11 nmol/l verknüpft waren: seltene morgendliche Erektionen, seltene sexuelle Gedanken und Erektionsprobleme. Dergleichen fand sich aber nur bei den eingangs erwähnten 2 Prozent der Studienteilnehmer.
Nur für Frauen: Wechseljahre
den Männern zwischen 50 und 60, denen man gemeinhin eine besondere Anfälligkeit für alle Spielarten der Midlife-Crisis unterstellt, waren es gar nur 0,6 Prozent. Für die meisten Männer dürfte Testosteron also wohl kaum das richtige Mittel gegen Alterswehwehchen oder mit dem Alter zunehmende, ernstere Beschwerden sein. In der Studie beantworteten über 3000 Männer umfangreiche Fragebögen zu Sexualleben, körperlicher Fitness und psychischer Befindlichkeit. Ihr Testosteronwert wurde bestimmt. Vermeintlich typisch für Androgenmangel geltende Symptome wie rasche Ermüdbarkeit, Antriebsschwäche oder depressive Verstimmungen erwiesen sich als statistische Nieten: Sie traten unabhängig davon auf, ob der Testosteronspiegel normal oder niedrig war. Nur bei 9 von 32 vermeintlich typisch männlichen Wechseljahrssymptomen fanden sich minimale statistische Korrelationen – zu schwach, um als Argument für die Existenz hormoneller Wechseljahre des Mannes oder gar eine Testosterontherapie zu taugen. Am Ende blieben 3 Symptome
Möglicherweise läuten Studien wie diese den Anfang vom Ende der Hormontherapie alternder Männer ein. Und falls man trotz allem vom Begriff der «Wechseljahre des Mannes» partout nicht lassen will, setzt sich vielleicht auch bei den Männern allmählich die Einsicht durch, dass Wechseljahre keine Krankheit sind. Wie schnell das gehen kann, sieht man bei den Frauen: Es ist noch keine zehn Jahre her, dass die Wechseljahre der Frau vielerorts als Krankheit definiert wurden, welche es hormonell auszumerzen galt. Statements wie «eine Hormonersatzbehandlung bedeutet eine Zurückversetzung der Frau in ihren Naturzustand» und ähnlicher Unsinn waren keine Seltenheit. Derartiges würde heutzutage wohl keiner mehr zu vertreten wagen.
Renate Bonifer
Wu FCW et al.: Identification of Late-Onset Hypogonadism in Middle-Aged and Elderly Men. N Engl J Med 2010; online first: doi:10.1056/NEJMoa0911101
ARS MEDICI 14 ■ 2010 545