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Neue Studien zur rheumatoiden Arthritis
EULAR: Was tut sich bei den Biologika?
Obwohl neue niedermolekulare Wirkstoffe immer stärker in die Rheumatologie drängen, beherrschen die «klassischen Biologika» nach wie vor die wissenschaftliche Diskussion. Am diesjährigen EULAR-Kongress wurden wieder viele neue Studienergebnisse, darunter viele Fünfjahresdaten, zu verschiedenen Zytokin- beziehungsweise Rezeptorblockern vorgestellt. Eine kleine Auswahl.
Ä ltere Rheumatologen wie Prof. Dr. Gerd-Rüdiger Burmester von der Humboldt-Universität Berlin erinnern gerne daran, wie das war, damals in den Siebzigerjahren, als viele Rheumapatienten noch im Rollstuhl in die Ambulanzen geschoben wurden. Als den Ärzten nur wenige wirkungsvolle Werkzeuge zur Verfügung standen, um in das entzündliche Geschehen in den Gelenken wirklich eingreifen zu können. Seitdem hat sich viel verändert. Denn mit dem intensiven Einsatz von Methotrexat, Glukokortikoiden, Kombinationstherapien und den Biologika kann der Krankheitsverlauf nicht nur abgebremst werden – nicht wenige Patienten können in Remission und in den Arbeitsprozess zurückgebracht werden. Welchen Anteil die Biologika an diesen Veränderungen haben, so Burmester, ist nicht einfach abzuschätzen. Einen Versuch, um das zu quantifizieren, unternahmen nun schwedische Wissenschafter um Dr. Mathilda Björk, die zwei Kohorten von Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) aus den Jahren 1996 bis 1998 und 2005 bis 2008 miteinander verglichen (1). Dabei betrug der krankheitsbedingte Arbeitsausfall der Patienten in der Vorbiologikaphase 54 Prozent, während er sich zehn Jahre später mit 28 Prozent nahezu halbiert hatte. Trotz dieses deutlichen Rückgangs könne noch mehr gegen die nach wie vor hohen Krankenstände getan werden, so die Wissenschafterin.
Abatacept versus Adalimumab: ähnliche Wirksamkeit
Neue Zweijahresdaten wurden zu einem der wenigen und deshalb umso interessanteren Head-to-Head-Vergleich zweier Biologika vorgelegt (2): In der AMPLE-Studie wurden 646 methotrexatresistente Patienten mit schwerer aktiver rheumatoider Arthritis entweder mit Abatacept SC (ABA) oder Adalimumab SC (ADA) zusätzlich zur MTXBasistherapie behandelt. Nach zwei Jahren waren noch 79 Prozent (252 von 318) der ABA-Patienten und 75 Prozent (245 von 328) der ADA-Patienten dabei. Wie schon nach Ende des ersten Studienjahres, als 64,8 Prozent
(ABA) beziehungsweise 63,4 Prozent
(ADA) der Patienten eine mindestens 20-
prozentige Besserung im Vergleich zum
Ausgangswert (ACR 20) erreichten, wa-
ren klinische Effektivität und Inhibition
der radiografischen Progression der bei-
den Patientengruppen auch nach 24 Mo-
naten sehr ähnlich (ACR20: ABA 59,7%
vs. ADA 60,1%). Auch ein Stopp der ra-
diografischen Progression wurde in beiden Studienarmen in ähnlichem Umfang erreicht (ABA 85% vs. ADA 84%). Das ist
Gerd-Rüdiger Burmester
bemerkenswert, da beide Biologika völlig unterschiedli-
che Wirkmechanismen besitzen – Adalimumab (Humira®)
ist ein TNF-α-Inhibitor und Abatacept (Orencia®) ein T-Zell-
Modulator. Auch hinsichtlich unerwünschter, ernsthafter
Nebenwirkungen (13,8 vs. 16,5%) waren beide Gruppen
vergleichbar. Während im Abataceptarm mehr autoimmun
bedingte Nebenwirkungen (3,8 vs. 1,8%) zu verzeichnen
waren, zeigten sich Reaktionen an der Injektionsstelle
stärker in der Adalimumabgruppe (3,5 vs. 9,5%). In Letz-
terer wurde auch eine höhere Abbrecherrate aufgrund von
Nebenwirkungen registriert (3,5 vs. 9,5%).
Höhere MTX-Dosierung – niedrigere Krankheitsaktivität
Können RA-Patienten, die mit einer Kombination aus Methotrexat (MTX) und einem Biologikum versorgt werden, aus Gründen der Verträglichkeit auch mit niedrigeren Methotrexatdosierungen auskommen? In Madrid präsentierte Burmester die Ergebnisse der CONCERTO-Studie (3). Danach wurden vier Gruppen mit je knapp 100 Patienten mit früher rheumatoider Arthritis mit Adalimumab in Standarddosis (40 mg) und zusätzlich MTX in unterschiedlichen Dosierungen versorgt (zweiwöchentlich 5 bis 20 mg). Nach 26 Wochen erreichten 43 Prozent der Patienten mit 2,5 mg und 60 Prozent mit 20 mg MTX eine niedrige Krankheitsaktivität (DAS28 < 3,2). Auch komplette DAS28-
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Paul Emery
Remissionen wurden mit höheren MTXDosierungen signifikant häufiger erreicht. Gleichzeitig bestätigten andere Aktivitätsscores sowie die radiologische Progression diese Tendenz. Dagegen machten Dosierungen von 10 oder 20 mg MTX kaum einen Unterschied. Von den Patienten selbst werde all das kaum wahrgenommen, berichtete Prof. Dr. Fleischmann aus Dallas, USA. So offenbarten sich die Zufriedenheit mit der Kombinationsbehandlung und die Compliance unabhängig von der jeweiligen Dosierung. Auch MTX-abhängige unerwünschte Nebenwirkungen traten in allen MTX-Dosierungen in Kombination mit Adalimumab selten auf (4).
Fünfjahresdaten vorgestellt
In Madrid wurden die Fünfjahresergeb-
nisse verschiedener Biologika vorge-
Edward Keystone
stellt, darunter auch die vom genannten GO-Programm. Ursprünglich hatte man
darin 444 Patienten mit moderater bis
schwerer RA in die GO-FORWARD-Studie randomisiert (5).
Nach der fünfjährigen Behandlung zeigten 77 Prozent der
mit dem TNF-alpha-Hemmer Golimumab (GLM, Simponi®)
plus Methotrexat behandelten Teilnehmer eine mindes-
tens 20-prozentige Symptomverbesserung (ACR20) und 54 Prozent eine mindestens 50-prozentige Verbesserung (ACR50). Auch die Krankheitsaktivität und physische Funktion zeigten sich bei 89 beziehungsweise 74 Prozent der mit Golimumab (50 mg) plus MTX Behandelten um mindestens 0,25 Punkte verbessert. Gleichzeitig wiesen 59 Prozent der GLM-Patienten im Vergleich zur Baseline keine radiografische Progression auf. In der GO-BEFORE-Studie befanden sich von den ursprünglich 637 MTX-naiven RA-Patienten, die durchgehend mit einer Kombination aus GLM und MTX behandelt worden waren, nach fünf Jahren immer noch 66 Prozent in der Studie (6). Ein nach den Worten von Studienleiter Prof. Dr. Paul Emery aus London «hoher Wert». Während es sich bei GO-FORWARD und GO-BEFORE ursprünglich um randomisierte Zulassungsstudien handelte, stammten die Resultate der am EULAR-Kongress ebenfalls vorgestellten GO-MORE-Studie aus einer kurzzeitigen Anwendungsbeobachtung – dies jedoch mit mehr als 3200 Patienten unter «real life»-Bedingungen (7). Die Teilnehmer litten zu 29 Prozent unter moderater und zu 71 Prozent unter schwerer aktiver rheumatoider Arthritis. Auch hier zeigten sich durch eine einmal monatliche Golimumabinjektion nach einem halben Jahr verschiedene Parameter verbessert. Allerdings erreichten deutlich mehr Patienten mit einer niedrigen oder moderaten RA-Ausgangssituation eine Remission (DAS28: 63 bzw. 43%) als Patienten mit einer von vornherein starken Krankheitsaktivität (DAS28: 19%).
Kein Einfluss auf Schwangerschaft
Schon am vergangenen EULAR-Kongress in Berlin wurde eine Studie vorgestellt, in der die Fruchtbarkeit der Männer während einer Therapie mit Certolizumab (Cimzia®) unter die Lupe genommen worden war. Der Vergleich zu unbehandelten Männern zeigte dabei in der Samenqualität keinerlei Unterschiede. In Madrid wurde nun eine internationale Analyse präsentiert, in der man – unter Schweizer Beteiligung – den potenziellen Einfluss des Medikaments auf schwangere Frauen beziehungsweise deren Babys untersucht hatte (12). Die Teilnehmerinnen litten entweder an Morbus Crohn oder rheumatoider Arthritis. Während der Schwangerschaften (n = 139) wurden die werdenden Mütter mit dem rekombinanten, humanisierten Fab-Fragment Certolizumab behandelt. 74 Prozent der Frauen hatten eine Lebendgeburt (Median 38 Wochen), 15 Prozent eine Fehlgeburt, und 11 Prozent unterzogen sich einem freiwilligen Schwangerschaftsabbruch. Von den 103 Lebendgeborenen wiesen 2 (1,4%) angeborene Störungen auf (Durchschnitt USA: 3,3%). Ein Säugling verstarb kurz nach der Geburt, was jedoch nicht mit der CZP-Behandlung in Zusammenhang stand. Die Fehlgeburten standen nicht mit der Schwere der Krankheitsaktivität in Verbindung. Zum Vergleich: Für die amerikanische Durchschnittsbevölkerung werden 64 Prozent Lebendgeburten, 17 Prozent Fehlgeburten und 19 Prozent Schwangerschaftsabbrüche angegeben. Zwar hätten die mit dem Anti-TNF behandelten Frauen damit eine normale Quote, trotzdem seien weitere Untersuchungen zur Sicherheit des Medikaments während Schwangerschaften erforderlich, so Dr. Megan E. Clowse aus Durham/USA.
TNF-alpha-Hemmung auch bei älteren Patienten sicher
Etwa ein Drittel aller Patienten mit rheumatoider Arthritis sind über 65 Jahre. Trotzdem ist das Wissen über die Sicherheit von Therapien mit Biologika begrenzt. Eine italienische Arbeitsgruppe verglich daher in einer prospektiven Studie die langfristige Verträglichkeit einer Therapie mit Etanercept anhand einer Gruppe von über 65-jährigen (n = 52) mit einer Gruppe von unter 65-jährigen (n = 31) RA-Patienten (8). Die Ergebnisse der Fünfjahresuntersuchung zeigten hinsichtlich des Auftretens unerwünschter Nebenwirkungen keine Unterschiede zwischen den Altersgruppen. Als häufigste Begleiterscheinungen der Anti-TNF-Behandlung traten Infektionen des Urogenitaltraktes und der oberen Atemwege auf, wobei zwischen den Altersgruppen keine Unterschiede zu verzeichnen waren. Auch schwere Nebenwirkungen traten in beiden Gruppen vergleichbar auf. Ebenfalls keine Korrelation war festzustellen zwischen dem Zeitpunkt des ersten Auftretens eines unerwünschten Effektes und dem Alter. Schliesslich war auch die Retentionsquote in beiden Gruppen nach fünf Jahren mit 64,7 Prozent (< 65 Jahre) und 63,0 Prozent (≥ 65 Jahre) sehr ähnlich. Damit, so Alfredomaria Lurati vom Fornaroli Hospital in Magenta bei Mailand, sei eine TNF-α-Hemmung mit Etanercept bei älteren Patienten sicher.
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Krankheitsaktivität messen
ACR20, ACR50 und ACR70: Kriterien des American College of Rheumatology (ACR), die in Studien eine mindestens 20, 50- beziehungsweise 70-prozentige Besserung der rheumatoiden Arthritis definieren. Analog hat das ACR pädiatrische Kriterien formuliert (ACRPed20, ACRPed50, ACR Ped70).
CDAI: Clinical Disease Activity Index, zusammengesetzt aus den Indizes für die Zahl der druckdolenten beziehungsweise geschwollenen Gelenke sowie dem Patienten- und dem Untersucherassessment. Ein CDAI ≤ 2,8 entspricht einer Remission, ≤ 10 einer geringen, ≤ 22 einer mittleren und > 22 einer hohen Krankheitsaktivität.
DAS28: Disease Activity Score, Mass für die Krankheitsaktivität, definiert anhand der Funktion von 28 Gelenken. Beim DAS28 ESR wird zusätzlich die Blutsenkungsgeschwindigkeit (erythrocyte sedimentation rate, ESR) berücksichtigt, beim DAS28 CRP die Konzentration des C-reaktiven Proteins. Werte von 0 bis 2,6 entsprechen einer sehr niedrigen Krankheitsaktivität, bei welcher der Patient die Krankheit praktisch nicht mehr spürt. Bis 3,2 spricht man von einer niedrigen, von 3,2 bis 5,1 von einer mittleren und über 5,1 von einer hohen Krankheitsaktivität.
HAQ: Health Assessment Questionnaire, ein Fragebogen, der klärt, inwiefern alltägliche Tätigkeiten, wie zum Beispiel Greifen, Anziehen usw., möglich sind. In Studien gilt eine Abnahme des HAQ um 0,5 Einheiten als klinisch relevant.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam im Übrigen auch eine Analyse des deutschen Biologikaregisters RABBIT mit knapp 7000 RA-Patienten, davon ein Viertel älter als 65 Jahre. Ausser dem in allen Altersgruppen sowieso erhöhten Infektionsrisiko unter Biologika gebe es keine Hinweise darauf, dass die Therapie mit TNF-Inhibitoren beziehungsweise mit Rituximab hinsichtlich unerwünschter Nebenwirkungen «im Alter besondere Probleme aufweist», so die Forscher. Gefahr droht dagegen von einer Dauermedikation mit Glukokortikoiden (mindestens 10 mg/Tag): Das Risiko für die Entwicklung einer Sepsis ist bei über 70-Jährigen im Vergleich zu unter 50-Jährigen um das 10-Fache erhöht.
Mit Monotherapie in Remission
Kann man auf Methotrexat verzichten, ohne die Wirksamkeit einer Therapie mit Biologika zu gefährden? «Man kann», sagen die internationalen Forscher um Prof. Dr. Edward Keystone aus Kanada – allerdings nur bei moderater RA-Erkrankung. In ihrer CAMEO-Studie wurden 258 Patienten mit schwerer oder moderater RA ein halbes Jahr mit Etanercept (ETN, Enbrel®) plus MTX behandelt und danach entweder weiterhin auf die Kombinationstherapie oder die ETN-Monotherapie randomisiert (9). Ergebnis: Während Patienten mit initial schwerer RA ohne MTX nach
einem Jahr zumeist schlechtere DAS28-Ergebnisse aufwiesen, blieb ein relativ grosser Teil der Patienten mit moderater Erkrankung auch ohne MTX in stabilem DAS28 oder Remission. Daher sei es «bei einem relativ grossen Teil» der weniger stark Erkrankten möglich, auf MTX zu verzichten, so der amerikanische Experte. Auch der gegen den Interleukin-6-Rezeptor gerichtete Antikörper Tocilizumab (Actemra®) wurde in den vergangenen Jahren einer umfangreichen Untersuchung unterzogen: In einem internationalen Programm von 5 Phase-IIIStudien mit über 4200 Patienten aus 41 Ländern wurde die Substanz «auf Herz und Nieren» geprüft (10). Auch hier eine der zentralen Fragen, neben Wirksamkeit und Verträglichkeit: Wie hält sich der Antikörper in Monotherapie? In der AMBITION-Studie hatten die Teilnehmer vor Studienbeginn entweder überhaupt keinen Kontakt zu MTX gehabt oder waren in den vorhergehenden 6 Monaten nicht damit behandelt worden. In der jetzt vorgestellten Post-hoc-Analyse wurden 43 Prozent der RA-Patienten (n = 104) zusätzlich zu Tocilizumab (TCZ) mit Basistherapeutika wie MTX und 57 Prozent (n = 139) mit einer TCZ-Monotherapie behandelt (10). Von Letzteren blieben zwei Drittel bis zum Ende der Studie nach 240 Wochen bei der Monotherapie. Interessanterweise nahm in dieser Gruppe die Anzahl der Patienten, die eine Remission erreichten, mit der Zeit weiter zu oder blieb konstant. Insgesamt 66,7 Prozent der Monotherapiepatienten befanden sich nach 240 Wochen in Remission (DAS28-Score < 2,6). Zudem nahm die Krankheitsaktivität (Anzahl geschwollener Gelenke, SJC-Score und Anzahl schmerzender Gelenke, TJC-Score) bis zur Woche 240 ebenfalls weiter ab oder blieb konstant (Beginn der Studie: 19,0 SJC und 32,5 TJC, Studienende nach 240 Wochen: 1,8 SJC und 3,8 TJC). Und wie hält sich ein solches Medikament (nicht unter standardisierten Studienbedingungen) im «richtigen» klinischen Alltag? Burmester ging dieser Frage in Zusammenarbeit mit 174 Rheumatologiezentren in Deutschland in einer prospektiven Beobachtungsstudie nach (ROUTINE) (11). Von den 850 untersuchten RA-Patienten erhielten 60 Prozent TCZ in Kombinations- und 40 Prozent in Monotherapie. Der DAS28 der Teilnehmer wurde während des einjährigen Studienzeitraumes im Durchschnitt von 5,5 auf 2,6 gedrückt. Eine «gute EULAR-Response» wurde von 62 Prozent erreicht, eine DAS-Remission von 55 Prozent. 35 Prozent brachen die Studie vorzeitig ab, 7 Prozent wegen Unverträglichkeit. Schwere akute Infektionen stellten sich bei 7,2 Prozent der Patienten ein. Insgesamt sei das Auftreten der Nebenwirkungen im zu erwartenden Bereich, so Burmester. Mit der hohen Effektivität der Behandlung habe sich TCZ damit auch unter «real-life»-Bedingungen bewährt. Klaus Duffner Literatur unter www.rosenfluh.ch 10 Rheumatologie EULAR 2013