Transkript
CongressSelection
Diagnostik und Therapie der Endometriose lassen zu wünschen übrig
Schmerzmanagement im Fokus
Von einer Endometriose sind zwischen 2 und 4 Prozent der Frauen im reproduktionsfähigen Alter betroffen, und wenn man Zahlen aus Deutschland auf Schweizer Verhältnisse «herunterrechnet», muss man von 4000 Neuerkrankungen jährlich ausgehen. Wie wichtig ganzheitliche Konzepte in der Therapie sind, erläuterte PD Dr. Brigitte Leeners, Zürich, im Rahmen der Jahresversammlung. Bei chronischen Schmerzsyndromen, zu denen man die Endometriose zählen muss, sollten im Management die körperlichen und psychosomatischen Aspekte gleichermassen berücksichtigt werden.
Die Endometriose macht vor allem deshalb erhebliche Probleme, weil sie – nach primär erfolgreicher Intervention – durch eine hohe Rezidivrate gekennzeichnet ist und weil bei bis zu 20 Prozent der Frauen mit Infertilität eine Endometriose diagnostiziert wird. Beides zusammen sind keine günstigen Voraussetzungen für durchgreifende Erfolge bei der Kontrolle von Endometrioseschmerzen. Zwar sind einige Risikofaktoren bekannt, doch erklären sie nur einen kleinen Teil der Prävalenz: So scheinen grosse, sehr schlanke Frauen und solche mit früh einsetzender Menstruation und verkürzten Zyklen eher betroffen zu sein, und auch der ethnische Hintergrund (asiatisch, weiss, schwarz) und möglicherweise der Alkoholund Koffeinkonsum könnten eine Rolle spielen. Als protektive Faktoren gelten regelmässige sportliche Aktivitäten und eventuell auch Nikotin, wobei Letzteres aufgrund bekannter gesundheitsschädlicher Wirkungen keine Behandlungsoption darstellt.
Interaktion zwischen Psyche und Soma
Leeners veranschaulichte das komplexe Zusammenspiel zwischen körperlichen und psychischen Aspekten der Endometriose anhand einer Grafik (siehe Abbildung). Diese macht deutlich, dass auf der somatischen Seite Schwellungen und mechanische Reize, Einblutungen in umliegendes Gewebe, Vernarbungen und Elastizitätsverlust sowie Entzündungsprozesse die Unterbauchschmerzen aufrechterhalten. Als psychische Komponenten sind kognitive Fehlinterpretationen, Einstellung und Erwartungshaltung im Hinblick auf die Schmerzen, Stress, Angst, Depression, Schuldgefühle und sozialer Rückzug zu berücksichtigen. Eine Vielzahl psychischer Faktoren, die die Schmerzwahrnehmung beeinflussen, kommt ins Spiel. Da sich diese
Schmerzattacken über Jahre hinweg wie-
derholen, entwickelt sich ein Gefühl der
Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins.
Das Vertrauen in den eigenen Körper
geht zunehmend verloren. Die psy-
chische Befindlichkeit gerät in eine Ne-
gativspirale, bei der sich Schmerzwahr-
nehmung, -bewertung und -erwartung
abwechseln; typisch sind sozialer Rück-
zug und zunehmend limitierte Freizeitaktivitäten. Beides unterstützt die (uner-
Brigitte Leeners
wünschte) Fokussierung auf den
Schmerz. Diese Erkenntnisse unterstreichen den hohen
Stellenwert der Körperpsychotherapie bei diesen Patien-
tinnen: Die Frauen können lernen, dem Schmerz gegen-
zusteuern, individuelle Ressourcen zu mobilisieren und
dysfunktionale Verhaltensweisen zu ändern.
Zürcher Studie zur Lebensqualität
Gängige Klassifikationssysteme erfassen Lokalisation, Infiltrationstiefe, Grösse in Zentimeter, Cul-de-SacObliteration, Adhäsionen und Farbe der Läsion mit einem Punktesystem (z.B. ASRM-Klassifikation der American Society for Reproductive Medicine). Das bildet die Basis für die Stadieneinteilung in die Grade I–IV (leicht, mild, mit-
Take-Home-Messages
• Die frühe Diagnosestellung ist bei Endometriose von grösster Bedeutung.
• Bei dieser Erkrankung hat sich der ganzheitliche, biopsychosoziale Therapieansatz bewährt: – mit ausführlicher Anamnese – mit sorgfältiger, umfassender Diagnostik – mit individuell massgeschneiderter Therapie, die den somatischen und psychischen Aspekten gerecht wird.
SGGG 2013 Gynäkologie 33
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Schwellungsneigung der Endometrioseläsionen
mechanischer Druck
Blutung in das umgebende Gewebe
S O M A
Sekretion von Entzündungsmediatoren
Verwachsungen und Vernarbungen vermindern die Gewebe-
elastizität
körperliche Anspannung
dysfunktionales Verhalten
zentrale Hypersensitivität
subjektive Schmerzschwelle
P verstärkte WahrS nehmung unangeneh-
mer Körper-
Y sensationen C kognitive Fehl-
interpretationen
H E Einstellung/Erwar-
tungshaltung im Hinblick auf die
Schmerzkontrolle
Angst, Stress depressive Reaktion,
sozialer Rückzug
Körperliche Ursachen
Schmerzwahrnehmung
Unterbauchschmerzen
Abbildung: Unterbauchschmerzen – komplexes Zusammenspiel psychischer und somatischer Komponenten (nach Leeners 2013).
Endometriose: das Beschwerdebild
• Schmerzen unterschiedlicher Ausprägung repräsentieren eines der Kernsymptome der Endometriose, wobei die Beschwerdeintensität keineswegs immer mit dem Schweregrad der Endometriose korreliert. Jeweils 70 Prozent der Betroffenen klagen über eine sekundäre Dysmenorrhö und über Unterbauchschmerzen, bei 40 Prozent besteht eine vom Menstruationszyklus unabhängige Dyspareunie. Und seltener werden Dysurie und schmerzhafte Defäkationen angegeben.
• Sterilität (20 Prozent) • Zyklusanomalie mit Hypermenorrhö und Menorrhagie • Müdigkeit/Erschöpfung
Die späte Diagnosestellung (nach 7 bis 10 Jahren) stellt einen weiteren Belastungsfaktor dar. Eine Reihe von psychosozialen Stressoren rundet das Bild ab: Viele Frauen fühlen sich nicht ernst genommen, weil die Beschwerden bagatellisiert werden oder weil der Arzt die somatische Komponente verneint und ausschliesslich psychische Probleme verantwortlich macht.
(nach Leeners, 2013)
Doxycyclin als Schutz vor Endometriose?
An der Klinik für Gynäkologie des USZ wurde eine Studie durchgeführt, die zeigen sollte, ob die Invasivität von Endometriosezellen durch Doxycyclinbehandlung herabgesetzt werden kann. Bekannt war, dass einerseits Matrixmetalloproteinasen (MMP) für die Adhäsions- und Infiltrationsfähigkeit von Endometriosezellen eine Rolle spielen und andererseits bei Frauen mit Endometriose erhöhte MMP-Spiegel in Serum und Peritonealflüssigkeit gemessen werden können. Die In-vitro-Behandlung von Endometriosezellen mit Doxycyclin verminderte die MMP-2-Aktivität und setzte die Invasivität herab. Bei Frauen mit infiltrierender Endometriose, die auf gängige Therapien nicht ansprechen, könnte Doxycyclin als Option diskutiert werden.
Samartzis, EP et al., FM IV/43, SGGG Jahreskongress 2013
telschwer und schwer). Allerdings besteht nur eine schwache Korrelation zwischen dem Stadium und der Schmerzintensität, so die Kritik von Leeners. Auch über die körperlichen, seelischen und sozialen Folgen der Endometriose existierten bisher keine evidenzbasierten Daten. Vor diesem Hintergrund wurde unter Leitung von Leeners die Zürcher Studie zur Lebensqualität bei Endometriose initiiert. Kliniken in der Schweiz, in Deutschland und Österreich beteiligen sich an der fragebogenbasierten Studie, die verschiedenste Komponenten der Lebensqualität bei Frauen mit Endometriose erhebt und mit den Befragungsresultaten von gesunden Frauen, Frauen mit anderen Erkrankungen und Frauen mit chronischen Schmerzen ohne Endometriose vergleicht.
Vorläufige Resultate der Studie
Derzeit liegen die Daten von 306 Frauen mit Endometriose vor, von denen die Mehrzahl ein Stadium III oder IV aufweist. Bei der Dauer der Schmerzen (von < 1 Jahr bis > 20 Jahre) gab es kaum stadienabhängige Unterschiede. Bei der Mehrzahl bestanden die Probleme seit über 10 Jahren. Auch bei der Häufigkeit der Schmerzattacken (von Dauerzustand bis ein paarmal im Jahr) zeichneten sich keine nennenswerten Differenzen zwischen den einzelnen Endometriosestadien ab. Die meisten Frauen gaben an, mehrmals pro Woche beziehungsweise Monat unter Unterbauchschmerzen zu leiden. Ausserdem bestätigte auch diese Studie, dass das Stadium der Endometriose nicht mit der Schmerzintensität korreliert. Die Schmerzen zeigten – wiederum unabhängig vom Stadium – nur geringe Auswirkungen auf Schlaf und Beziehungsqualität, während Alltagsaktivitäten, Sexualität, sportliche Betätigung und Stimmung deutlich in Mitleidenschaft gezogen waren. Welche Erklärung bietet sich für diese fehlende Korrelation zwischen Schmerzintensität und Stadium der Endometriose an? Haben die diagnostischen Kriterien versagt, oder liegt es an der individuell unterschiedlichen Schmerzwahrnehmung? Leeners verwies auf genetische Einflüsse, die für verschiedene chronische Schmerzsyndrome aufgezeigt werden konnten, beispielsweise für die Fibromyalgie, das Reizdarmsyndrom oder die interstitielle Zystitis. Darüber hinaus könnte die unter Stress erhöhte Ausschüttung von Katecholaminen und Prostaglandin E2 den Schmerz modulieren.
Was denken die Betroffenen?
Knapp 40 Prozent der Befragten sind überzeugt, dass sie in der Lage sind, den Schmerz in den Griff zu bekommen. Ein Drittel erwartet, dass sich die Schmerzbelastung künftig verringern wird, und fast die Hälfte hatte bereits psychosomatische Unterstützung erhalten.
Renate Weber
Quelle: 7. Hauptthema/SAPGG – Nichts als Schmerz – Chronische Unterleibsschmerzen zwischen Soma und Psyche. SGGG-Jahresversammlung 2013, 29. Juni 2013, in Lugano.
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