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Zervixvorsorgeprogramm auf dem Prüfstand
Schweizer Sicht und Datenlage
Erst Mitte der Fünfzigerjahre hat man damit begonnen, den PAP-Test systematisch für das Gebärmutterhalskrebsscreening einzusetzen. Rückblickend gelte dieser Abstrichtest als erfolgreichste Präventionsmassnahme in der ganzen Humanmedizin, erklärte Professor Dr. Siegfried Heinzl, Basel. Allerdings könnten noch bedeutend mehr Frauen von dieser einfachen Vorsorgeuntersuchung profitieren, wenn es gelingen würde, die Teilnahmerate zu erhöhen. Dass der regelmässige Abstrich die Morbidität und die Mortalität aufgrund eines Zervixkarzinoms erheblich senkt, haben grosse Registerstudien zeigen können.
In einigen nordeuropäischen Ländern liess sich die Inzidenz des Zervixkarzinoms zwischen 1956 und 1960 sowie zwischen 1983 und 1987 mindestens halbieren. In Dänemark sank die Rate von 30/100 000 auf 16/100 000, in Schweden von 18 auf 9/100 000, und in Finnland sogar von 14 auf 4/100 000, wie der Gynäkologe sagte. Diese beachtlichen Erfolge dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass man bei Weitem noch nicht das erreicht hat, was machbar wäre. Weshalb? Weil die «falschen» Frauen regelmässig zur Vorsorge kommen, und weil bei diesen zu häufig ein Abstrich gemacht wird. Jene Frauen, bei denen ein sehr hohes Krebsrisiko besteht, sind in den Screeningprogrammen unterrepräsentiert – das sind die älteren und die sehr alten Frauen und solche mit niedrigem sozioökonomischem Status. Damit
Plädoyer für ein organisiertes Vorsorgeprogramm
Als Ziele nannte Baldauf die Senkung der Morbidität und Mortalität beim Zervixkarzinom. Da mit dem nationalen Vorsorgeprogramm in Frankreich lediglich 56,6 Prozent der Frauen zwischen 25 und 65 Jahren erreicht wurden, etablierte man im Rahmen des Gesundheitsplans der Region Elsass ein verbessertes Zervixscreening (EVE). Frauen (25–65 Jahre) ohne Abstrich in den zurückliegenden drei Jahren und Frauen mit niedrigem Einkommen oder Migrationshintergrund erhalten eine persönliche Einladung, um beim Arzt ihrer Wahl einen Abstrich vornehmen zu lassen. Die Erfolge können sich sehen lassen. Bereits fünf Jahre nach dem Start des EVE-Programms wurde eine Teilnahmerate von 86,1 Prozent erreicht. Die Mehrkosten der organisierten Früherkennung (1.20 Euro pro Frau) zahlen sich aus, denn die Mortalität aufgrund des Zervixkarzinoms liess sich um 19,5 Prozent senken. Darüber hinaus ist der Vorsorgeabstrich die unumgängliche Grundvoraussetzung für den gezielten Einsatz des HPV-Tests.
ein Screening nutzbringend ist, müssen sich mindestens 80 Prozent der potenziellen Betroffenen beteiligen.
Hohe Rate an Screeningversäumnissen beim Zervixkarzinom
Heinzl verwies auf eine Serie von Studien, in welche Frauen mit invasivem Zervixkarzinom eingeschlossen worden waren, deren Screeninganamnese man analysiert hatte. Bei deutlich mehr als der Hälfte dieser Krebspatientinnen war kein Vorsorgeabstrich gemacht worden. Die Rate der Frauen, welche die Vorsorge vernachlässigt hatten, lag in den sechs zitierten Studien zwischen 56 und 87 Prozent. In seinem Gastreferat bestätigte Professor Dr. JeanJacques Baldauf, Strassburg, dass die fehlende Früherkennung weltweit die häufigste Ursache für das Zervixkarzinom darstellte. Er schilderte die Erfolgsgeschichte eines organisierten Vorsorgeprogramms in der Region Elsass (Kasten).
Lässt sich das Zervixscreening durch den HPV-Test optimieren?
Nachdem der kausale Zusammenhang zwischen einer HPV-Infektion und dem Zervixkarzinom erkannt worden war, wurden molekulare Tests für die wichtigsten HPV-Typen entwickelt. Man dürfe jedoch nicht übersehen, so Baldauf, dass die Persistenz einer Infektion mit onkogenen HPV zwar einen notwendigen, nicht aber ausreichenden Faktor darstelle. Denn weniger als 3 Prozent der mit HPV16 infizierten Frauen entwickeln ein Zervixkarzinom. Aufgrund der hohen viralen Clearance sind bereits nach 10 bis 14 Monaten rund 90 Prozent der Viren eliminiert. Der hohen Sensitivität (> 95%) stehe jedoch eine geringe Spezifität von 10 Prozent gegenüber, sagte Heinzl. Nur bei
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1 von 10 Frauen mit positivem Testresultat besteht auch eine Dysplasie oder ein Karzinom. Das relativiert den Stellenwert des HPV-Tests. Fazit: Der HPV-Test erlaubt einen sehr verlässlichen Virusnachweis, ist aber ein ungeeigneter Krebstest. Darüber hinaus zeigte die überwältigende Mehrheit der Frauen in Studien sehr starke Vorbehalte gegenüber dem HPV-Test: • die HPV-Diagnose war abschreckend • zusätzliche Sorgen, weil eine sexuell übertragbare
Krankheit festgestellt wurde • Auswirkungen auf die Beziehung • Angst vor einer Stigmatisierung. Dementsprechend gross ist die Zurückhaltung in europäischen Ländern und in den USA, wenn es um konkrete Empfehlungen zum Zervixscreening geht. Der Grat zwischen Schaden und Nutzen ist dementsprechend schmal.
Das Schweizer Modell
Für eine gynäkologische Vorsorgeuntersuchung inklusive Abstrich (alle 3 Jahre) werden die Kosten übernommen, wenn die Resultate von zwei vorangegangenen Kontrollen in jährlichem Abstand unauffällig waren. Häufigere Kontrollen können in begründeten Fällen und bei entspre-
chendem Risikoverhalten angebracht sein. Abschliessend wies Heinzl noch auf eine Reihe von schweizspezifischen Besonderheiten hin, die man im Auge behalten müsse: • geringe Inzidenz des Zervixkarzinoms (5,7/100 000) • Screening und weitere Abklärungen werden in erster
Linie von Gynäkologen vorgenommen • sehr hohes Qualitätsniveau der zytologischen Diagnostik • kantonal organisiertes Gesundheitswesen • Röstigraben steht für unterschiedliche Mentalitäten • grundsätzliche Vorbehalte gegenüber einer staatlichen
Einmischung in private Belange. Schätzungen gehen davon aus, dass die Teilnahmerate an der gynäkologischen Vorsorge zwischen 50 und 70 Prozent (Stadt) sowie zwischen 30 und 50 Prozent (ländliche Regionen) liegt. Und auch hier muss daran gedacht werden, dass Frauen mit erhöhtem Risiko zu selten und andere eher zu häufig kontrolliert werden.
Renate Weber
Gastreferat: «Wie können wir das Screening des Zervixkarzinoms verbessern? Durch systematisches Screening? Durch Bestimmung des HPV?», Jean-Jacques Baldauf. «Soll das Vorsorgeprogramm der Zervix geändert werden? Betrachtungen aus Schweizer Sicht», Siegfried Heinzl, SGGG-Jahresversammlung, 27. Juni 2013, in Lugano.
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