Transkript
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Vom Labor in die Praxis
Ein neuer Biomarker für die Herzinfarktdiagnostik, markante Unterschiede im Diabetesmanagement bei Männern und Frauen – an der gemeinsamen Fachtagung von Kardiologen, Herz- und Thoraxchirurgen stellten Schweizer Wissenschaftler die Ergebnisse aktueller Forschungsprojekte vor. Vier davon haben wir zusammengefasst.
Infarkt und Diabetes: Frauen profitieren am wenigsten von den Verbesserungen
Diabetes mellitus ist ein wichtiger Risikofaktor des akuten Koronarsyndroms und beeinflusst dessen Verlauf ungünstig. Ob es in den vergangenen Jahren bei Diabetikern mit einem ST-Hebungsinfarkt (STEMI) einen Trend hin zu einem besseren oder schlechteren Outcome gegeben hat, darüber ist nur wenig bekannt. Marco Roffi vom Universitätsspital Genf und Kollegen untersuchten diese Frage anhand des nationalen AMIS-PlusRegisters (1). Die retrospektive Analyse schloss die Daten von 3565 Diabetikern (2412 Männer, 1153 Frauen) ein und verglich diese mit Nichtdiabetikern, die ebenfalls zwischen 1997 und 2010 aufgrund eines STEMI registriert worden waren. Primärer Endpunkt der Studie war die Todesfallrate während des anschliessenden Spitalaufenthalts. Darüber hinaus wurden genderspezifische Trends bei den Outcomes sowie die Einhaltung evidenzbasierter Therapieempfehlungen ermittelt. Die Analyse ergab eine Abnahme der Todesfälle bei Diabetikern von 19,9 Prozent im Jahr 1997 auf 9,0 Prozent im Jahr 2010. Ein ähnlicher Trend zeigte sich auch bei den ernsthaften kardiovaskulären Komplikationen. Von dieser Entwicklung profitierten vor allem die Männer, wie die genderspezifische Analyse zeigte. Trotz der bedeutenden Reduktion von Todesfällen starben während des Spitalaufenthalts zweimal mehr Diabetiker als Nichtdiabetiker (12,1 vs. 6,1%). Das Vorliegen einer Diabeteserkrankung erwies sich als unabhängiger Prädiktor für die Mortalität (OR 1,23; p = 0,022). Ein bedeutender unabhängiger Prädiktor für die In-Hospital-Mortality bei Diabetikern war das Geschlecht (OR 1,45; p = 0,015). Mit einem Anteil von 16,6 Prozent versus 10,2 Prozent (p < 0,001) starben signifikant mehr Frauen als Männer mit Diabetes. Obwohl die Analyse zeigte, dass im Verlauf immer häufiger evidenzbasierte Therapien verordnet wurden, betraf
das häufiger Nichtdiabetiker. Erneut fiel auf, dass Frauen mit Diabetes am wenigsten von dieser Entwicklung profitierten.
hFABP – ein früher Biomarker für die Diagnose des Herzinfarkts
«Time is muscle», heisst es beim Herzinfarkt, und so ist man weiter auf der Suche nach frühen Biomarkern mit einer hohen diagnostischen Validität. In einer Studie von Brigitte Walz, Luzerner Kantonsspital, und Kollegen erwies sich das «heart-type fatty acid binding protein» (hFABP) als vielversprechend. Das kleine zytoplasmatische Protein ist verantwortlich für den intrazellulären Transport von Fettsäuren und wird bei einer Ischämie von den Myokardzellen freigesetzt. Um die Reaktion von hFABP zu untersuchen, wurde bei 319 Personen mit typischen Zeichen eines Myokardinfarkts (≤ 4 Std.) zum Zeitpunkt der Hospitalisation sowie 3 und 6 Stunden danach eine Blutentnahme durchgeführt. Zusätzlich wurden die Standardparameter Myoglobin, hs-TNT, CK, CK-MB und so weiter untersucht. Der primäre Endpunkt der Studie zeigte bei 178 Patienten einen Myokardinfarkt (STEMI oder NSTEMI). Die übrigen 141 Patienten hatten keinen Myokardinfarkt und zählten zur Kontrollgruppe. Wie der Vergleich von hs-TNT und hFABP zeigte, reagierten beide Marker ähnlich auf eine Myokardischämie. Allerdings war hFABP bereits sehr früh nach dem Ereignis nachweisbar und wies verglichen mit hs-TNT eine höhere Sensitivität auf. Wie die Autoren der Studie schreiben, hat die Bestimmung von hFABP innerhalb der ersten drei Stunden Vorteile gegenüber hs-TNT. Die Bestimmung des Biomarkers könnte sich zukünftig für Notfallstationen oder Arztpraxen anbieten. Zum einen wegen der frühzeitigen Diagnose, aber auch weil diese mit einem kleinen Gerät und innert zirka 15 Minuten durchgeführt werden kann.
24 Kardiologie SGK/ESH 2013
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*3-fache Kombination gerinnungswirksamer Substanzen
Abbildung: Häufigkeit von Schlaganfällen in Abhängigkeit von der Behandlung.
Sinkende Zahl von Schlaganfällen nach akutem Koronarsyndrom
Der Schlaganfall ist eine gefürchtete Komplikation des akuten Koronarsyndroms (ACS). Mit der Frage, wie sich die Inzidenz thrombotisch und hämorrhagisch bedingter Schlaganfälle bei Patienten, die infolge eines akuten Koronarsyndroms hospitalisiert wurden, in den letzten 15 Jahren verändert hat, beschäftigten sich Wissenschaftler des AMIS-Plus-Registers um Dragana Radovanovic. Zum Zeitpunkt der Analyse umfasst das AMIS-PlusRegister rund 39 000 Patienten aus 81 Spitälern. Davon hatten 0,9 Prozent (355) einen Schlaganfall erlitten. Wie die Auswertung der Baselinecharakteristiken zeigte, waren mehr Männer als Frauen von einem Schlaganfall betroffen. Gesamthaft gesehen waren die Schlaganfallpatienten kränker: Sie hatten häufiger kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Diabetes mellitus und Hypertonie und wiesen eine höhere Inzidenz an ST-Hebungsinfarkten (STEMI) auf. Die Schlaganfallpatienten waren seltener mit gerinnungswirksamen Medikamenten (ASS, Thienopyridine, Heparin) behandelt worden und wiesen eine niedrigere Zahl an interventionellen Eingriffen (PCI) auf. Dagegen wurde häufiger eine Thrombolyse durchgeführt als bei Patienten ohne zerebrovaskuläre Ereignisse. Wie die Ergebnisse der Auswertung zeigten, konnte die Schlaganfallrate bei hospitalisierten ACS-Patienten in der Zeit zwischen 1997 und 2012 von 1,5 Prozent auf zirka 0,6 Prozent reduziert werden (Abbildung). «Diese Entwicklung dürfte entscheidend durch die seit dem Jahrtausendwechsel zunehmend eingesetzte PCI beeinflusst worden sein», sagte Prof. Dr. Paul Erne. Diese habe in der Infarkttherapie zu dem entscheidenden Durchbruch geführt, sodass man die Lyse aufgegeben habe. Limitiert wird die Aussagekraft der Studie vor allem durch die fehlende Differenzierung zwischen thrombotisch und hämorrhagisch bedingten Schlaganfällen sowie fehlende Angaben zum Zeitpunkt des Schlaganfalls.
Radialis- versus Femoraliszugang bei der PCI
Studien haben gezeigt, dass die Häufigkeit von Blutungskomplikationen gesenkt werden konnte, wenn für koronare Interventionen (PCI) die Arteria radialis gewählt wurde. Das Zürcher Stadtspital Triemli führt PCI seit dem Frühjahr 2011 über die Arteria radialis durch. Zu Beginn wurde der Zugang lediglich bei elektiven Eingriffen gewählt. «Heute erhalten schätzungsweise 70 Prozent der Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom (ACS) die PCI über den Radialiszugang», so Ivano Reho, Oberarzt an der Klinik für Kardiologie. Die Erfahrungen mit 285 ACS-Patienten, die sich zwischen Januar und Dezember 2012 einer PCI via Arteria radialis unterzogen, sind vielversprechend. Die Patienten waren Teil einer Serie von insgesamt 789 ACS-Patienten, von denen 504 über den üblichen transfemoralen Zugang behandelt wurden. Diese waren verglichen mit den Patienten der Radialisgruppe älter und litten häufiger an einer Mehrgefässerkrankung. Was das periprozedurale Geschehen betraf, so erhielten die Patienten der Femoralisgruppe häufiger Glykoprotein IIa/IIIb verabreicht. Sonst gab es keine wesentlichen Unterschiede. Die Analyse der Blutungskomplikationen zeigte, dass in der Femoralisgruppe insgesamt häufiger Blutungen aufgetreten waren (14,1 vs. 5,3%). Dabei handelte es sich vor allem um leichte Blutungen (BARC [Bleeding Academic Research Consortium-Kriterien] 2; 9,9 vs. 4,2%). Grössere Blutungen mit einem Hb-Abfall ≥ 5 g/dl (BARC 3b) traten in beiden Gruppen selten auf (2,6 vs. 1,1%). Zudem kam es in der Gruppe mit radialem Zugang zu deutlich weniger Blutungen an der Punktionsstelle (3,9 vs. 10,5%). In einer separaten Analyse der STEMI-Patienten (n = 428) zeigte sich, dass die gesamte Behandlungsdauer und die Dauer der Intervention in der Radialisgruppe wesentlich kürzer waren. Die Door-to-Ballon-Zeit unterschied sich in den Gruppen nicht. Einschränkend muss festgehalten werden, dass auch in dieser Analyse die Patienten, die über den transfemoralen Zugang behandelt wurden, älter waren und eine ausgeprägte Koronarinsuffizienz aufwiesen.
Regina Scharf
Referenzen: 1. Roffi M et al. Gender-related mortality trends among diabetic patients with ST-segment elevation myocardial infarction: insights from a nationwide registry 1997–2010. European Heart Journal: Acute Cardiovascular Care 2048872613490382, first published on June 3, 2013.
Quelle: Gemeinsame Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaften für Kardiologie (SGK) sowie Herz- und thorakale Gefässchirurgie (SGHC), 12. bis 14. Juni 2013, Palazzo dei congressi, Lugano.
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