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27. SCHWEIZERISCHE TAGUNG FÜR PHYTOTHERAPIE, BADEN, 22. NOVEMBER 2012
Der Harnwegsinfekt: Möglichkeiten der Phytotherapie
Bernhard Uehleke
Als Harnwegsinfekt (Urinary Tract Infection, UTI) bezeichnet man eine durch Bakterien verursachte Entzündung im Bereich der ableitenden Harnwege. Im häufigsten und einfachsten Fall handelt es sich um eine (akute) Zystitis. Fieber und Flankenschmerz sind Anzeichen einer Nierenbeteiligung (Nierenbeckenentzündung), sie gehören nicht mehr zu den Merkmalen einer unkomplizierten UTI. Ärztlicherseits ist dann eine gezielte antibiotische Therapie einzuleiten. Häufig treten UTIs wiederholt auf, wobei eine vorbeugende Therapie wünschenswert ist. Antibiotika sollten wegen der zunehmenden Resistenzprobleme dafür wesentlich seltener in Erwägung gezogen werden als das derzeit der Fall ist. Phytotherapeutika wären eine wünschenswerte Alternative beziehungsweise Ergänzung.
Bärentraubenblätter
Bärentraubenblätter (Arctostaphylus uvaursi) sind in der Vergangenheit als Desinfiziens zur Behandlung der akuten Zystitis von der Kommission E monografiert worden. Dabei bezog man sich unter anderem auf entzündungshemmende Eigenschaften. Fur die Wirksamkeit schien eine Harnalkalisierung notwendig zu sein. Allerdings werden mittlerweile Notwendigkeit und Sinn einer Harnalkalisierung kontrovers beziehungsweise ablehnend disku-
tiert. In diesem Zusammenhang wurde diese E-Monografie zurückgezogen. Die meisten Hersteller entfernten daraufhin Bärentraubenblätter aus Kombinationspräparaten (zumeist Nieren-Blasen-Tees mit Bärentraubenblättern in Kombination mit Aquaretika). Die Absatzzahlen etlicher solcher Kombinationen stiegen danach an. Möglicherweise wirkte in der Wahrnehmung der Patienten die alleinige Durchspülungstherapie mit den Aquaretika allein nicht erkennbar schlechter, wahrscheinlich spielte auch der erheblich bessere Geschmack der Tees ohne die bitteren Bärentraubenblätter eine Rolle. Zu Bärentraubenblättern liegen weiterhin nur ältere klinische Daten vor. Zudem wird die für eine Rezidivprophylaxe relevante Langzeitsicherheit kontrovers diskutiert.
Cranberries
Cranberries (Vaccinium macrocarpon) sind vor allem in Nordamerika schon lange im Gebrauch – allerdings als Lebensmittel. Cranberries verringern die Adhäsion von Bakterien an uroepitheliale Zellen. Die Forschungssituation ist weitaus umfangreicher als die der Bärentraubenblätter. Zur Akutbehandlung von UTIs liegen keine kontrollierten Studien vor. Aktuell steht das dritte Update des Cochrane-Reviews zur vorbeugenden Wirkung gegen UTIs zur Verfügung, mit 14 neuen Studien im Vergleich zur Fassung von 2008 (Jepson et al. 2012). Insgesamt wurden in die Auswertung 24 Studien mit 4473 Teilnehmern eingeschlossen (mit unterschiedlichen Zubereitungen wie Saft, Tabletten, Kapseln, teils mit Pulver, teils mit Extrakten und unterschiedlichen Dosierungen). Im Vergleich zu Plazebo, Wasser oder keiner Behandlung reduzierten die Cranberryprodukte nicht signifikant die Häufigkeit von UTIs, und zwar weder insgesamt (Risk Ratio [RR] 0,86; 95%-KI 0,71–1,04) noch
für eine der folgenden Untergruppen: Frauen mit häufigen UTIs (RR 0,74; 95%-KI 0,42–1,31); ältere Menschen (RR 0,75; 95%KI 0,39–1,44); Schwangere (RR 1,04; 95%-KI 0,97–1,17); Kinder mit häufigen UTIs (RR 0,48; 95%-KI 0,19–1,22); Krebspatienten (RR 1,15; 95%-KI 0,75–1,77); Menschen mit neuropathischer Blase oder Rückenmarksverletzung (RR 0,95; 95%-KI 0,75–1,20). Die Wirksamkeit von Cranberries war nicht signifikant verschieden gegenüber Antibiotika für Frauen (RR 1,31; 95%-KI 0,85–2,02) und Kinder (RR 0,69; 95%-KI 0,32–1,51). Es ergab sich kein signifikanter Unterschied bezüglich der gastrointestinalen unerwünschten Wirkungen zwischen Cranberries im Vergleich zu Plazebo oder keiner Behandlung (RR 0,83; 95%-KI 0,31–2,27). Demnach kann der mögliche präventive Stellenwert von Cranberries (alle Zubereitungen gemeinsam betrachtet) noch nicht als geklärt angesehen werden.
Wirkung noch unklar
Ein Review von Wang et al. (2012) schloss eine Studie von Barbosa-Sesnik (2011) aus, die keine Wirksamkeit von Cranberries bei Frauen mit häufigen UTIs zeigte (erheblich niedrigere Keimzahl als Kriterium für eine UTI). Die Autoren weisen darauf hin, dass in nicht kontrollierten Studien die Ergebnisse besser waren. Frauen im jüngeren Alter und mit rekurrierenden UTIs profitieren eher, und der Saft scheint wirkungsvoller als feste orale Formen zu sein. Eine mehrmals täglich eingenommene Dosis scheint gegenüber einer Einmalgabe vorteilhaft zu sein. Der Saft kann aber gastrointestinale Nebenwirkungen auslösen. Eine neuere, in den Reviews noch nicht berücksichtigte Studie von Bonetta et al. (2011) zeigte demgegenüber eine relevante und signifikante Senkung der Infektrate durch einen hochdosierten Extrakt (200 mg täglich mit 30% Procyanidinen) der in ma-
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gensaftresistent befilmten Tabletten bei Patienten unter Bestrahlung infolge ProstataAdenoms. In einer weiteren, allerdings recht kleinen Studie konnte bei Kindern mit neurogener Blase ein Vorteil durch Extrakttabletten gezeigt werden (Mutlu und Ekinci, 2012). Insgesamt erscheint derzeit die Datenlage sehr inkongruent, möglicherweise aufgrund der sehr unterschiedlichen Zubereitungen und Dosierungen – aber auch aufgrund der höchst unterschiedlichen Patientengruppen und Studiendesigns.
Kombination
Ein Kombinationsprodukt aus Rettichwurzel (Armoraciae rusticanae radix) 80 mg und Nasturtium (Tropaeoli majoris herba) 200 mg zeigte in vitro additive antimikrobielle Wirkungen, die auf verschiedene Isothiocyanate (Senföle) aus diesen beiden Pflanzen zuruckgeführt wurden. Eine kontrollierte Studie zeigte bei Patienten mit rekurrierender UTI unter der Behandlung von 2 x 2 Tabletten Angocin Anti-Infekt über 90 Tage eine signifikant niedrigere ReInfektrate nach erfolgter Antibiotikatherapie des letzten Infektes (Albrecht et al. 2007). Hohe Abbruchquoten verringern die Aussagekraft dieser Studie.
Durchspülung
Eine Durchspülungstherapie hat sich in
einer älteren Studie als recht wirksam bei
der Behandlung der akuten Zystitis ge-
zeigt. Inwieweit hierzu pflanzliche Aquare-
tika beitragen oder man die Zunahme des
Urinflusses durch reichliche Flüssigkeits-
zufuhr genauso erreichen kann, ist nicht
eindeutig geklärt. Experimentelle Untersu-
chungen weisen auf potenziell therapeu-
tisch relevante Wirkungen von Aquaretika
hin. Eine Dehydration wird immerhin als
Risikofaktor fur rezidivierende UTIs ge-
nannt.
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Anschrift des Referenten: Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Bernhard Uehleke Hochschule für Gesundheit und Sport Vulkanstrasse 1 D-10367 Berlin Bernhard.Uehleke@my-campus-berlin.com
Literatur:
Albrecht U, Goos KH, Schneider B. A randomised, double-blind, placebo-controlled trial of a herbal medicinal product containing Tropaeoli majoris herba (Nasturtium) and Armoraciae rusticanae radix (Horseradish) for the prophylactic treatment of patients with chronically recurrent lower urinary tract infections. Current Medical Research and Opinion® Vol. 23, No. 10, 2007, 2415–2422.
Bonetta A, Di Pierro F. Enteric-coated, highly standardized cranberry extract reduces risk of UTIs and urinary symptoms during radiotherapy for prostate carcinoma. Cancer Management and Research 2012: 4 281–286.
Jepson RG, Williams G, Craig JC: Cranberries for preventing urinary tract infections. Cochrane Database Syst Rev. 2012 Oct 17; 10.
Mutlu H, Ekinci Z. Urinary tract infection prophylaxis in children with neurogenic bladder with cranberry capsules: randomized controlled trial. ISRN Pediatr. 2012; 317280. Epub 2012 Jul 1.
Saeterda I, Underland V, Nilsen ES. Cranberries for preventing urinary tract infections. Altern Ther Health Med. 2012; 18(2): 9–10.
Wang CH, Fang CC, Chen NC, Liu SS, Yu PH, Wu TY et al. Cranberry-containing products for prevention of urinary tract infections in susceptible populations: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Archives of Internal Medicine 2012; 172(13): 988–96.
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