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Rosenbergstrasse 115
So ungewöhnlich ist es nun auch wieder nicht, dass jemand in fortgeschrittenem Karrierestadium noch einer Partei beitritt, um sein Palmarès um eine weitere Trophäe in Form einer politischen Position zu erweitern. Man kennt sie, die erfolgreichen Schauspieler, Schriftsteller oder Sportler, mit denen auf einmal der Ehrgeiz durchgeht und die bald darauf in einem kantonalen oder einem nationalen Parlament enden. Natürlich gibt es auch den umgekehrten Weg: ein cleverer Parteipräsident kommt auf die Idee, Prominente zum Nutzen der Partei einzusetzen. Im Fall des Jacques de Haller dürfte es eher der eigene Ehrgeiz gewesen sein, der ihn gegen Ende seiner Amtszeit als Präsident der FMH dazu bewog, einer Partei beizutreten. Dass es im traditionell linken Genf die SP ist, der man sich anvertraut, ist verständlich. Der Sitz auf der Nationalratsliste ist ihm jedenfalls sicher. Und schliesslich gibt es ohnehin zu wenig Ärzte in den Schweizer Parlamenten. Ob JdH Präsident der FMH geworden wäre, wenn er seinerzeit bereits SP-Mitglied gewesen wäre – who knows?
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Dass der Präsident der FMH Mitglied einer Partei wird, die nicht gerade als unternehmerfreundlich, sondern eher als Vertreterin der Staatsangestellten und Funktionäre gilt, ist vermutlich kein Zufall. Noch vor wenigen Jahren wäre das undenkbar gewesen. Aber das Selbstverständnis der Ärzte scheint sich zu wandeln. Noch möchten die meisten ihren Status als selbständige Kleinunternehmer nicht preisgeben, aber die jüngeren scheinen kein Problem damit zu haben, gleichzeitig den Schutz des Staates (oder einer andern Institution) mit sicheren Löhnen und Pensionen in Anspruch zu nehmen. «Linksrutsch bei den Ärzten» titelt die NZZ. Nun denn, tempora mutantur et nos …
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Und so stellt sich denn die dringende und spannende Frage, wer in Kürze (beziehungsweise schlauerweise erst nach den Nationalratswahlen im Herbst 2011) der nächste FMH-Präsident (oder die nächste Präsidentin) wird. Ein Vertreter oder eine Vertreterin der eher unternehmerischen, gewerblich orientierten oder einer oder eine eines eher etatistisch orientierten Gesundheitswesens? Je nachdem, vielleicht ist es tatsächlich langsam Zeit für eine Standesorganisation der frei praktizierenden Ärzte (siehe unser Interview mit Kollege Lukas Guidon in AM 13/2010)!
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Aber nicht nur Ärzte sind vor Inkonsequenz nicht gefeit. Wenns nach dem Volkswagenkonzern geht, sollen in Deutschland nicht nur Solaranlagen – auf Kosten der Steuerzahler, wie denn sonst? – mit Subventionen gefördert werden, auch der Absatz von Elektroautos soll mit staatlichen Kaufsanreizen angekurbelt werden. Die USA und Frankreich machen es schliesslich vor. Wenigstens hat die deutsche Regierung vorderhand kein Gehör für solche Ansinnen.
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Zitat Philip Roth: «Menschen gehen kaputt. Das Altwerden ist auch nicht gerade förderlich.»
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Jedes Jahr kommt in der Schweiz rund ein halbes Dutzend Menschen durch Angriffe von aggressiven …, nein nicht Kampfhunden, sondern Kühen und Stieren zu Tode. Der BLICK hat das Thema entdeckt, verzichtet allerdings vorderhand auf eine Petition zum Verbot
von Kühen oder zumindest auf die Forderung nach einer Leinenpflicht. Aber generell ist klar: Es fehlt einfach die gesetzliche Grundlage zur Verhinderung solcher Vorkommnisse: ein nationales Rindviehgesetz.
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Hanfbauer Rappaz ist zuhause, zwar mit Fussfesseln, aber wenigstens zuhause. Als Gegenleistung hat er seinen Hungerstreik abgebrochen. Das war ein spannendes Pokerspiel mit dem höchsten aller Einsätze: dem eigenen Leben. Der Bluff hat sich für Rappaz gelohnt. Warum? Weils kein richtiger Bluff war. Sein «All-in» hatte den gewünschten Effekt. Der Schlaumeier ahnte, dass der Staat es kaum wagen würde nachzuziehen; im «mainpot» lagen als Gewinn ein Tod und ein Karriereende – wenig erstrebenswert für die zuständige Regierungsrätin. Sie hätte das Spiel mit Sicherheit gewinnen können – und trotzdem alles verloren. Nein, Rappaz hatte nicht die geringste Lust zu sterben – insofern war die Beurteilung der Inselspital-Ärzte völlig falsch –, aber deren Weigerung, ihn zwangszuernähren, hat ihm überhaupt erst den Sieg ermöglicht. Damit konnte er nicht rechnen. Das war sein Risiko. Es hätte schief gehen können, aber Poker ist nun mal eine Mischung aus Glück und Können. Insofern: Chapeau!
Richard Altorfer
ARS MEDICI 15 ■ 2010 581