Transkript
MEDIEN ■ MODEN ■ MEDIZIN
JAMA-Studie stellt Richtlinien infrage
Diabetiker mit KHK: schadet eine zu aggressive Blutdrucksenkung?
Seit einigen Jahren gilt die Devise: je niedriger der Blutdruck, desto besser für den Diabetiker. Weltweit fordern die verschiedenen Fachgesellschaften in ihren Richtlinien eine Blutdrucksenkung unter 130/80 mmHg, um das Risiko kardiovaskulärer Spätkomplikationen zu minimieren. Der systolische Blutdruck kann, so die allgemeine Auffassung, ohne Weiteres bis auf 110 mmHg gesenkt werden. Inzwischen legen mehrere Studien die Vermutung nahe, dass diese ambitionierten Vorgaben über das Ziel hinausschiessen, jedenfalls bei Diabetikern, die bereits eine koronare Herzkrankheit (KHK) entwickelt haben. Nach einer gerade im US-amerikanischen Ärzteblatt «JAMA» (2010; 304: 61–68) publizierten Studie steigt die Mortalität bei aggressiver Blutdrucksenkung sogar an. Eine Arbeitsgruppe um Rhonda CooperDeHoff von der Universität von Florida in Gainesville hatte die Daten der International Verapamil SR-Trandolapril Study (INVEST)
neu ausgewertet. An der Blutdruckstudie nahmen zwischen 2000 und 2003 mehr als 22 000 KHK-Patienten mit Bluthochdruck teil, darunter auch 6400 Diabetiker. Ziel der Studie war, zwei medikamentöse blutdrucksenkende Strategien zu vergleichen. In der aktuellen Studie ging es den Autoren allerdings um die Frage, wie sich die erzielte Blutdrucksenkung auf die Sterblichkeit auswirkte. Dabei zeigte sich, dass die Einstellung auf systolische Blutdruckwerte von 130 bis 140 mmHg («usual control») nicht schlechter abschnitt als die aggressive Einstellung auf Werte unter 130 mmHg («tight control»). Der primäre Studienendpunkt – ein Composite aus Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall – trat bei 12,7 respektive 12,6 Prozent praktisch gleich häufig ein. Die Sterblichkeit fiel unter der aggressiven Blutdrucksenkung sogar etwas höher aus (11,0 vs. 10,2 Prozent). Der Unterschied verfehlte aber das Signifikanzniveau. Die Autoren recherchierten nun für die Zeit nach
dem Studienende in den US-amerikani-
schen Sterberegistern. Von den Patienten
unter aggressiver Blutdrucksenkung waren
bis August 2008 22,8 Prozent gestorben, im
«usual-control»-Arm waren es nur 21,8 Pro-
zent – ein kleiner, aber zumindest statis-
tisch signifikanter Unterschied.
Allerdings handelt es sich, im Gegensatz zur
originalen randomisierten INVEST-Studie, bei
dieser Sekundäranalyse um eine Beobach-
tungsstudie, die anfällig gegenüber Bias ist
und somit zurückhaltend interpretiert wer-
den muss. Gleichwohl sehen die «JAMA»-
Autoren in ihren Ergebnissen zumindest
einen deutlichen Hinweis darauf, dass eine
übermässige Blutdrucksenkung bei Diabe-
tikern mit KHK keinen Zusatznutzen ein-
bringt. Bei Diabetikern ohne KHK gilt eine
Blutdrucksenkung auf unter 130 mmHg da-
gegen als evidenzbasiert.
■
U.B.
Negativstudie
Glucosamin: bei Rückenschmerzen nicht besser als Plazebo
Glucosamin ist bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen und lumbaler Wirbelgelenkarthrose nicht wirksamer als Plazebo. Das zeigt eine randomisierte klinische Studie, die Anfang Juli im «JAMA» (2010; 304: 45–52) publiziert wurde. Glucosamine sind ein Baustein für die Synthese von Proteoglykanen, die unter anderem Bestandteil der extrazellulären Matrix des Gelenkknorpels sind. Sie haben zudem gewisse antiinflammatorische Eigenschaften. Von der European League against Rheumatism (EULAR) werden sie als Chondroprotektiva zum Beispiel bei Kniegelenkarthrose empfohlen, eine Cochrane-Review aus dem Jahr 2008 bescheinigte ihnen aber nur eine geringe Wirksamkeit. Inzwischen werden Glucosamine immer häufiger auch
von Patienten mit chronischen Rückenschmerzen angewendet. Rückenschmerzen können bekanntlich auch durch arthrotische Wirbelsäulenveränderungen verursacht werden. Hingegen kann von einer nachgewiesenen Wirkung von Glucosamin bislang nicht die Rede sein, wie jetzt eine Studie von Philip Wilkens von der Universität Oslo bestätigt: 250 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen nahmen sechs Monate lang täglich 1500 mg Glucosamin oder ein Plazebo ein. Primärer Endpunkt waren Verbesserungen im Roland Morris Disability Questionnaire (RMDQ), einem anerkannten Fragebogen zur Erfassung chronischer Rückenschmerzen. Der RMDG-Score fiel durch die GlucosaminTherapie von 9,2 auf 5,0 Punkte, was auch
sechs Monate nach Studienende noch Be-
stand hatte. Allerdings wurde praktisch die
gleiche Wirkung auch durch Gabe eines
Plazebos erzielt. Auch in den sekundären
Endpunkten Schmerzintensität in Ruhe und
Bewegung sowie Lebensqualität konnte
sich das Verum nicht vom Plazebo abset-
zen. Nach Auffassung der Studienautoren
gibt es derzeit keinen triftigen Grund, Glu-
cosamin bei Patienten mit Rückenschmer-
zen zu verordnen. Auch der Editorialist
Andrew Avins vom Northern California
Kaiser-Permanent in Oakland nannte die
Ergebnisse enttäuschend und bemängelte
die unzureichende Forschungsaktivität auf
dem Gebiet der chronischen Rückenschmer-
zen (JAMA 2010; 304: 93–94).
■
U.B.
580 ARS MEDICI 15 ■ 2010