Transkript
FORUM
Von der gegenwärtigen Verdienstverlustspirale dringend Abstand nehmen!
Offener Brief an Bundesrat Didier Burkhalter
Sehr geehrter Herr Bundesrat Burkhalter
Ich bin als Grundversorger in einer Vorortgemeinde von Zürich seit 32 Jahren tätig. Ich stelle fest, dass trotz Bekenntnissen aus dem Bundeshaus dem Grundversorger je länger, je mehr Hürden, sei dies in Administration oder Verdienst, auferlegt werden. So wurden seit der Einführung des TarmedTarifs beispielsweise die kleine Physiotherapie in der Grundversorgerpraxis aus dem Tarif gestrichen, ab 1. Januar 2010 eine zusätzliche Medikamentenmehrwertsteuer eingeführt sowie die Analysenliste zweimalig revidiert, sodass das Grundversorgerlabor nicht mehr kostendeckend ist. Trotz des bekannten Allgemeinmedizinermangels, der in den kommenden Jahren durch die Altersstruktur der Allgemeinmediziner noch massiv zunehmen wird, kommen keine erbaulichen Signale aus Bern, die diesen Mangel beheben wollen. Mit dem Wissen, dass wir Grundversorger 80 Prozent der Erkrankungsfälle direkt in unseren Praxen behandeln können und dies zu einem kleinen Teil der gesamten Gesundheitskosten, lässt mich das an den politisch gestellten oder noch zu stellenden Weichen sehr zweifeln. Immer wieder liest und hört man von anderen Berufszweigen, dass diese mit besten Fachkräften zu besetzen seien, um den Fortbestand des Berufszweigs zu sichern. Anscheinend werden diese Fakten bei der Erhaltung der Grundversorgung in den Wind geschlagen, ansonsten wir nicht dauernd mit Verdiensteinbussen erneut gebeutelt würden. Anlässlich eines Managed-Care-Symposiums in Zürich vom 17. Juni 2010 sagten Sie, ich zitiere: «Die Grundversorger können mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen einen wertvollen Beitrag im Gesundheitswesen leisten.» In diesem Sinne erlauben Sie mir folgende Äusserungen: 1. Mir ist absolut unverständlich, weshalb mit der Methode «Auf Teufel komm raus» die Krankenkassenprämien durch Verdiensteinbussen bei den Grundversorgern — bis zu
deren Untergang — gesenkt werden. Gleichzeitig wird aber vom Bundesrat über eine einheitliche neue Mehrwertsteuer gesprochen, die im Gesundheitswesen auch neu greifen soll und dadurch, nach dem Krankenkassenverband Santésuisse, die Krankenkassenprämien um satte 3 Prozent ansteigen lässt. Anscheinend spielt es bei neuen Steuern keine Rolle, wie sich dies auf die Krankenkassenprämien auswirkt, denn diese sollen spezifisch nur durch die Akteure, nämlich die Ärzte, durch Minderleistungen gesenkt werden; dies bei gleichbleibender Versorgungsqualität!? 2. Mir ist unverständlich, weshalb wir Ärzte seit Jahren den Krankenkassen eine elektronische Rechnung in unseren Trustzentren gesamtschweizerisch zur Verfügung stellen, diese aber von den Krankenkassen, bis auf Visana und Groupe Mutuel, nicht abgeholt werden und dadurch unnötig hohe Verwaltungskosten verursachen, die schlussendlich wieder Prämiengelder aufbrauchen. So weiss ich konkret, dass Helsana alle Hardcopy-Rechnungen einscannen lässt, was eine Unmenge von Arbeitsstunden benötigt, um eine elektronische Rechnung für die weitere Verarbeitung zu erhalten. Der CEO der Helsana, Herr Manser, sagte vor einigen Monaten in einem Interview des «Tages-Anzeigers», dass durch die fehlende elektronische Übermittlung der Rechnungen an die Krankenkassen 200 Millionen Franken verloren gehen; natürlich mit der infamen Behauptung, die Ärzte würden keine XML-Rechnungen erstellen. Leider ist dem nicht so, es liegen Tausende von Rechnungen im elektronischen XML-Format in den Trustzentren bereit, nur holen sie die Krankenkassen dort nicht ab. Um Prämiengelder zu sparen, müssten die Krankenkassen verpflichtet werden, diese in den Trustzentren, wie beim Tarmed-Vertragsabschluss geplant, abzuholen. Eigentlich sollten die Parlamentarier, die ein Doppelmandat als Verwaltungsrat bei einer Krankenkasse innehaben, von diesem Mangel bestens Kenntnis haben und diesem Administrationsleerlauf Abhilfe schaffen.
3. Im Jahr 2012 werden in den Spitälern Fallpauschalen eingeführt. Dadurch werden zwangsläufig Patienten frühzeitiger als heute aus den Spitälern entlassen. Eine intensivere, poststationäre, ambulante Nachbetreuung wird die Folge sein. Dies bedeutet mehr ambulante Arztkonsultationen und mehr Spitexbetreuung. Unweigerlich werden sodann diese ambulanten Kosten steigen. Keinesfalls darf dann von einer Mengenausweitung im ambulanten Sektor gesprochen werden mit der Folge einer Reduktion des Tarmed-Taxpunktwerts. Dies würde bei einer Mehrleistung der Grundversorger wieder zu einer Reduktion des Verdienstes führen.
Fazit
Ein drohender Hausärztemangel kann nicht
mit neuen Betriebsformen wie Managed Care
oder neu geschaffenen Hochschulinstituten
für Allgemeinmedizin aufgefangen werden;
dies ist eine echte politische Illusion. Die Rea-
lität, den Beruf des Hausarztes zu fördern, ist,
sein Fachgebiet durch finanzielle bessere An-
reize zu stärken und von der gegenwärtigen
Verdienstverlustspirale dringend Abstand zu
nehmen. Den Akteuren, den Ärzten im Ge-
sundheitswesen nur mit Vorwürfen über Kos-
tensteigerungen zu begegnen, zeigt, dass
durch dieses anhaltende politische Mobbing
kaum Ärzte für den Beruf des Grundversor-
gers gefunden werden.
■
Mit freundlichen Grüssen, hochachtungsvoll
Dr. med. Hans F. Baumann Facharzt FMH für Allgemeinmedizin Notarzt Flugmediziner DAFF/JAA/Vertrauensarzt BAZL Dietlikonerstrasse 12 8303 Bassersdorf Tel.: 044-836 75 22 E-Mail: dr.hfbaumann@bluewin.ch
586 ARS MEDICI 15 ■ 2010