Transkript
KARDIOLOGIE
Herzinsuffizienztherapie
Wird die Auswurffraktion für SGLT2-Hemmer irrelevant?
Nachdem der SGLT2-Hemmer Empagliflozin im letzten Jahr mit der EMPEROR-PRESERVE-Studie bei der bis dahin als nicht behandelbar geltenden Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion (HFpEF) eine gute Wirkung gezeigt hatte, konnte nun Dapagliflozin mit der am ESC-Kongress präsentierten DELIVER-Studie diesen Beweis ebenfalls erbingen, auch für Patienten mit einer leicht reduzierten Auswurffraktion. Somit sind beide SGLT2-Hemmer bei mehreren Formen der Herzinsuffizienz einsetzbar.
Von den SGLT2-Hemmern ist bekannt, dass sie die kardiovaskuläre Mortalität und Morbidität bei Patienten mit Diabetes, chronischer Niereninsuffizienz und mit Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF) senken. Mit der an diesem Kongress präsentierten, doppelblind randomisierten, plazebokontrollierten und multizentrischen DELIVER-Studie wurde nun untersucht, ob das auch für Herzinsuffizienzpatienten mit einer leicht reduzierten (HFmrEF) oder mit einer erhaltenen Auswurffraktion (HFpEF) zutrifft. Dazu wurden 6263 hospitalisierte und nicht hospitalisierte Herzinsuffizienzpatienten mit einer Auswurffraktion > 40 Prozent rekrutiert (im Durchschnitt 54%), sie waren durchschnittlich 72 Jahre alt und zu 44 Prozent weiblich. Die Teilnehmer erhielten während median 2,3 Jahren zusätzlich zu ihrer Therapie Dapagliflozin 10 mg oder Plazebo, berichtete Studienleiter Prof. Scott Solomon, Brigham and Women’s Hospital Harvard Medical School, Boston, am ESC-Kongress in Barcelona. Als primärer Endpunkt galt die Kombination aus kardiovaskulärem Tod und Verschlechterung der Herzinsuffizienz. Nach Studienende zeigte sich folgendes Bild: Bei den Patienten in der Dapagliflozingruppe ereignete sich der primäre Endpunkt bei 16,4 Prozent, in der Plazebogruppe bei 19,5 Prozent. Das bedeutet eine signifikante Reduktion um 18 Prozent unter Dapagliflozin (Hazard Ratio [HR]: 0,82; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,73–0,92; p < 0,001). Beide Teilendpunkte, kardiovaskulärer Tod und Herzinsuffizienzverschlechterung, waren bei einzelner Betrachtung um 12 beziehungsweise 21 Prozent reduziert. Die wichtigsten sekundären Endpunkte wie herzinsuffizienzbedingte Hospitalisierung/kardiovaskulärer Tod und die Krankheitslast, gemessen anhand des KCCQ-Total-Symptom-Scores (KCCQ: Kansas City Cardiomyopathy Questionnaire), waren unter dem SGLT2-Hemmer im Vergleich zu Plazebo ebenfalls reduziert. Die beobachtete Reduktion des primären Endpunkts war bei Patienten mit einer Auswurffraktion sowohl über als auch unter 60 Prozent ähnlich konsistent, ebenso bei jenen, die erst kürzlich hospitalisiert gewesen waren (1). Weil die Studie in die Zeit der weltweiten SARS-CoV-2-Pandemie fiel, wurden als Subgruppe auch Patienten vordefi- niert, die sich während der Studie mit SARS-CoV-2 infiziert hatten. 589 Teilnehmer erkrankten an COVID-19, 155 von ihnen starben daran. Bei der Analyse habe sich gezeigt, dass die Infektion auf keinen der definierten Endpunkte einen Einfluss gehabt habe, so Solomon. Schwere Nebenwirkungen oder solche, die zum Therapieabbruch führten, waren in der Dapagliflozin- und in der Plazebogruppe nicht signifikant unterschiedlich (Dapagliflozin: 43,5 bzw. 5,8%; Plazebo: 45,5 bzw. 5,8%). Unter Einbezug der früheren Daten aus der DAPA-HF-Studie, die einen Nutzen bei Patienten mit HFrEF (≥ 40%) gezeigt hat (2), bedeuten die Resultate der DELIVER-Studie, dass Dapagliflozin für alle Formen der Herzinsuffizienz einen Nutzen bringt, ungeachtet der Auswurffraktion (3). Resultate rütteln an Klassifikation Gemäss Diskutantin Prof. Theresa McDonagh, King’s Col- lege, London (UK), waren die Studienpopulation und die primären Endpunkte der DELIVER- und der EMPEROR- Preserved-Studien (Empagliflozin) ähnlich, so wie es auch die daraus resultierenden Risikoreduktionen sind (18 bzw. 21%). Die Resultate beider Studien würden zweifellos in die nächs- ten ESC-Guidelines einfliessen und vermutlich in eine 1A- Empfehlung münden. Darüber hinaus heizten die Ergebnisse dieser 2 Studien die bereits geführte Kontroverse darüber an, ob die Klassifikation der Herzinsuffizienz nach Auswurffrak- tion in dieser Form noch Gültigkeit habe. Vielleicht sollte auch die Entität HFpEF durch HFnEF (normal) ersetzt wer- den, was die Frage aufwerfe, ob dann die Auswurffraktion ab 60 Prozent als normal gelten solle. Die beiden SGLT2-Hem- mer hätten jedenfalls die Evidenz geliefert, dass sie ungeachtet der Auswurffraktion genauso wie ACE-Hemmer, Betablo- cker, Mineralokortikoidrezeptorantagonisten bei allen For- men der Herzinsuffizienz einen Nutzen brächten. s Valérie Herzog Quelle: «Hotline 4». Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC), 26. bis 29. August 2022 in Barcelona. ARS MEDICI DOSSIER IV | 2023 11 KARDIOLOGIE Referenzen: 1. Solomon SD et al.: Dapagliflozin in heart failure with mildly reduced or preserved ejection fraction. N Engl J Med. 2022;10.1056/ NEJMoa2206286. 2. McMurray JJV et al.: Dapagliflozin in patients with heart failure and reduced ejection fraction. N Engl J Med. 2019;381:1995-2008. 3. Rossing P et al.: Dapagliflozin and new-onset type 2 diabetes in patients with chronic kidney disease or heart failure: pooled analysis of the DAPACKD and DAPA-HF trials. Lancet Diabetes Endocrinol. 2022;10(1):24-34. 12 ARS MEDICI DOSSIER IV | 2023