Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Wasser trinken vor der OP
Was heisst hier nüchtern?
Im Allgemeinen wird bis anhin empfohlen, 2 Stunden vor einer Operation auf das Trinken zu verzichten. In vielen Spitälern gelte dieses Verbot sogar bereits 5 bis 6 Stunden zuvor, weil man andernfalls Aspirationen sowie eine mangelnde zeitliche Flexibilität für den Terminplan im OP befürchte, so die Autoren einer Studie aus den Niederlanden. Sie gingen der Frage nach, ob ein weniger strenges Trinkregime machbar wäre. In die Studie einbezogen wurden Patienten, die wegen eines relativ dringenden oder eines elektiven Eingriffs ins Spital kamen. Notfallpatienten (OP innert 8 Stunden), prä-operativ zu intubierende Patienten sowie alle geburtshilflichen Eingriffe wurden ausgeschlossen. Im Lauf der Zeit wurden insgesamt 75 451 Patienten in die Studie eingeschlossen. Für 78 Prozent der Patienten galt die bisherige Standardregelung, für die anderen die liberalere Regelung bezüglich des Trinkens. Allen Patienten war es
untersagt, in den 6 Stunden vor dem Eingriff feste Nahrung zu sich zu nehmen. In der Gruppe mit der herkömmlichen Regelung war das Trinken 2 Stunden vor dem Eingriff tabu; lediglich für die Einnahme einer Tablette erhielten sie 15 bis 60 Minuten vor dem Beginn der Anästhesie einen Schluck Wasser. Patienten mit Gastroparese oder einer früheren Aspiration wurde prinzipiell dieses Standardprotokoll empfohlen. Den Patienten in der Gruppe mit dem liberalen Trinkregime war es hingegen erlaubt, bis zum Eintreffen in den OP-Saal maximal 1 Glas Wasser pro Stunde zu trinken. Die Dauer des prä-operativen Intervalls ohne Trinken sank mit der liberalen Regelung auf durchschnittlich 1 Stunde 20 Minuten. Die Inzidenz von Regurgitationen während der OP stieg von 18 auf 24 pro 10 000 Patienten, diejenige der Aspirationen von 1,7 auf 2,4 pro 10 000 Patienten. Durst vor der OP
hatten mit der liberalen Regelung 37 Prozent der Patienten gegenüber 46 Prozent mit dem Standardprotokoll. Postoperativ waren Übelkeit und Erbrechen mit der liberalen Regelung etwas seltener (9,4% vs. 10,6%), ebenso die Notwendigkeit einer antiemetischen Medikation (9,5% vs. 11%). Eine liberalere Regelung des Trinkens von klaren Flüssigkeiten vor einer Operation sei mit einem akzeptablen Komplikationsrisiko verbunden und angesichts des erhöhten Wohlbefindes der Patienten empfehlenswert, so die Studienautoren. Auf jeden Fall sei aber nun klar, dass man einen Patienten, der innerhalb von 2 Stunden vor einer geplanten Anästhesie bewusst oder aus Versehen klare Flüssigkeit getrunken hat, nicht wieder wegschicken, sondern die OP wie geplant durchführen sollte. RBO s
Marsman M et al.: Association of a Liberal Fasting Policy of Clear Fluids Before Surgery With Fasting Duration and Patient Well-being and Safety. JAMA Surg. 2023;158(3):254-263.
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ARS MEDICI 7 | 2023