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Systemischer Lupus erythematodes: der Weg zur Diagnose
FORTBILDUNG
Wenn man von einer Erkrankung sagt, dass sie alle Organsysteme betreffen kann, fordert das unser ärztliches Vorstellungsvermögen heraus und kann eine Diagnose schwierig machen. Grundsätzlich kann sich ein systemischer Lupus erythematodes (SLE) sehr unterschiedlich präsentieren. Zum Glück ist die Realität aber meist nicht gar so kompliziert. Das lernt man auch aus der Entwicklung der neuen Klassifikationskriterien.
Martin Aringer
Für die Diagnose eines SLE sind die Klassifikationskriterien der European League Against Rheumatism (EULAR) und des American College of Rheumatology (ACR) (1) nicht gedacht. Viele Elemente helfen dennoch im Diagnoseprozess. Was passiert beim SLE überhaupt? Im Wesentlichen sind alle Manifestationen die Folge von Autoantikörpern (2). Zum Teil wirken diese Antikörper direkt auf Zellen. Das gilt zum Beispiel für die Coombs-positive hämolytische Anämie, bei der die Autoantikörperbeladung zur Zerstörung der Erythrozyten führt. Der Grossteil der Manifestationen ist aber Folge von Immunkomplexen, Aggregaten aus Autoantikörpern und Autoantigenen, die zur Komplementaktivierung, zur Bindung durch Abwehrzellen über Fc-Rezeptoren und über die Produktion von Zytokinen letztlich zur Entzündung führen. Beispiele dafür sind Immunkomplexe aus doppelsträngiger DNA (dsDNA) und Anti-dsDNA-Antikörpern an der Basalmembran der Glomeruli, die zur proliferativen Lupusnephritis führen, und Ro-Anti-Ro-Immunkomplexe (Ro: Robert-Antigen) an der Basalmembran der Haut als Ursache girlandenförmiger Rötungen der Haut (subakut kutaner Lupus erythematodes).
Symptome
Wenn SLE-Patienten über ihre Symptome zum Zeitpunkt der SLE-Diagnose und kurz davor Auskunft geben, werden viele relativ unspezifische Allgemeinsymptome genannt. Im Rah-
MERKSÄTZE
� Ein Grossteil der Manifestationen des SLE ist Folge von Immunkomplexen.
� Die Symptome sind zu Beginn oft unspezifisch.
� Typisch für SLE sind Fieber, Hautausschläge, Alopezie, Schleimhautulzera und Gelenkschwellungen.
men der Entwicklung der EULAR/ACR-Kriterien haben sich 339 SLE-Patientinnen und Patienten aus der Lupus-Erythematodes-Selbsthilfegemeinschaft e.V. in Deutschland über ihre Quartalszeitschrift «Schmetterling» anonym an einer Fragebogenstudie beteiligt (3). Fast 90 Prozent berichteten über eine bleischwere Müdigkeit (Fatigue), die am ehesten an das erinnert, was wir fast alle kurz vor Ausbruch einer Grippe kennen, und über schmerzende Gelenke (Arthralgien) – noch
Tabelle 1:
Steckbrief des systemischen Lupus erythematodes (SLE)
Häufigkeit Typisches Alter Genetik Blutbild Urin Entzündungswerte Organbeteiligung Suchtest Komplement Antikörper
1/1000 Frauen und 1/10 000 Männer junge Frauen im gebärfähigen Alter Konkordanz eineiige Zwillinge 25%, nur bei Kleinkindern oft monogenetisch alle Werte können zu niedrig sein: Leukopenie, Thrombopenie, Anämie Proteinurie (Harnstreifen, Protein/ Kreatinin im Spot-Urin) führend BSG meist hoch, CRP meist nicht hoch (Zeichen für bakterielle Infektionen!) sehr vielfältig antinukleäre Antikörper (ANA) – CAVE: nicht spezifisch! (Gesunde bis 20%) C3, C4 gegen dsDNA, Sm, U1RNP, Ro, La, Cardiolipin, β2-Glykoprotein-I
BSG: Blutsenkungsgeschwindigkeit, CRP: C-reaktives Protein, dsDNA: doppelsträngige DNA, Sm: Smith-Antigen, U1RNP: «small nuclear ribonucleoprotein U1 subunit 70», Ro Robert-Antigen, La Lane-Antigen
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Tabelle 2:
EULAR/ACR-Kriterien* zur Klassifikation des systemischen Lupus erythematodes (SLE)
Klinische Domäne Niere Serositis Gelenke Mukokutan ZNS Blut Allgemein
Kriterium (Gewicht)
%
Lupusnephritis (ISN/RPS) Klasse III/IV (10) 22
Lupusnephritis Klasse II/V (8)
10
Proteinurie > 0,5 g/Tag (4)
33
akute Perikarditis (6)
5
Erguss (5)
16
Gelenkbeteiligung (6)
72
Schmetterlingserythem, akut kutaner LE (6)
3
subakut kutaner LE (4)
11
diskoider LE (4)
8
orale Ulzera (2)
27
Alopezie (2)
36
epileptische Anfälle (5)
5
Psychose (3)
2
Delirium (2)
0,4
Autoimmunhämolyse (4)
4
Thrombopenie (4)
16
Leukopenie (3)
48
unerklärtes Fieber (2)
15
Immunologische Domäne SLE-spezifische Autoantikörper Komplement Antiphospholipidantikörper
Anti-Sm (6) Anti-dsDNA (6) C3 oder C4 vermindert C3 und C4 vermindert Anti-Cardiolipin (2) Anti-β2-Glykoprotein-1 (2) Lupusantikoagulans (2)
24 76 46 72 26
EULAR: European League Against Rheumatism, ACR: American College of Rheumatology, ISN: International Society of Nephrology, RPS: Renal Pathology Society, Sm: Smith-Antigen, dsDNA: doppelsträngige DNA, LE: Lupus erythematodes * Die EULAR/ACR-Kriterien beinhalten 7 klinische und 3 immunologische Domänen, die hier mit den dazugehörenden Einzelkriterien und deren Sensitivität (Prävalenz unter SLE-Patienten) dargestellt sind. Für die Klassifikation sind (jemals) positive antinukleäre Antikörper (ANA) und mindestens 10 Kriterien erforderlich. Gezählt werden nur Kriterien, für die es keine wahrscheinlichere Erklärung als den SLE gibt – und aus jeder Domäne darf nur das höchstgewichtete nachweisbare Kriterium gerechnet werden.
ein Symptom, das an Virusinfekte erinnert. Drei Viertel hatten Myalgien, und etwa die Hälfte hatte Fieber. Im Gegensatz zum Virusinfekt halten diese Symptome aber an. Dazu kamen
Tabelle 3:
Seltene Manifestationen von systemischem Lupus erythematodes (SLE)
Organsystem Haut Neurologisch Gastrointestinal Herz Lunge Urogenitalsystem
Seltene Manifestationen Lupus tumidus, Chilblain-Lupus, bullöser Lupus, Lupuspannikulitis periphere und kraniale Neuropathie, Myelitis, Chorea, Demenz, Koma Autoimmunhepatitis, Lupuspankreatitis, Darmvaskulitis Lupusmyokarditis, Libman-Sacks-Endokarditis (bei Antiphospholipidsyndrom) Lupuspneumonitis, interstitielle Lungenbeteiligung, pulmonalarterielle Hypertonie (PAH) interstitielle Zystitis
bei fast zwei Dritteln Hautausschläge, bei fast der Hälfte Haarverlust, bei einem Drittel Beinödeme und bei etwa einem Viertel atemabhängige Thoraxschmerzen. Wenn man die Manifestationen ärztlich objektiviert und Patienten mit frühem SLE mit einer Kontrollgruppe mit anderen, dem SLE ähnlich sehenden Erkrankungen vergleicht, wird klarer, welche Symptome tatsächlich SLE-typisch sind. In der Früh-SLE-Kohorte der EULAR/ACR-Kriterien (4) waren das nicht die Fatigue und auch nicht die Arthralgien, wohl aber Fieber, SLE-Hautausschläge, nicht vernarbende Alopezie und Schleimhautulzera, geschwollene Gelenke (Arthritis) sowie Rippenfell- und Herzbeutelentzündung.
Klassifikation
Die EULAR/ACR-Kriterien für den SLE beinhalten insgesamt 7 klinische Domänen (Tabelle 2) mit bis zu 5 Einzelkriterien pro Domäne. Dabei zählt auch die Hämatologie als klinische Domäne. Für die Klassifikation sind (jemals) positive antinukleäre Antikörper (ANA) als Eingangskriterium erforderlich, die eine sehr hohe Sensitivität (99,5%) haben, aber nicht spezifisch sind (Spezifität: 19,4%). Ist das erfüllt und ein klinisches Kriterium positiv, reichen für die Klassifikation 10
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Punkte, wobei aber aus jeder Domäne nur 1 Kriterium (das mit der höchsten Punktzahl) gezählt werden darf. Für die Klassifikation ist ein Grundsatz entscheidend: Kein Kriterium darf gewertet werden, wenn es dafür eine wahrscheinlichere Erklärung als den SLE gibt. Fieber wird nur gewertet, wenn eine Infektion weitestgehend ausgeschlossen wurde (und das C-reaktive Protein [CRP] nicht deutlich erhöht ist). Die Arthritis zählt nicht, wenn gleichzeitig die AntiCCP-Antikörper (CCP: zyklisches citrulliniertes Peptid) der doch viel häufigeren rheumatoiden Arthritis nachweisbar sind. Und in vielen Fällen wird zum Beispiel eine Rosazea als Schmetterlingserythem fehlgedeutet. Die Prozentsätze in Tabelle 2 geben die Häufigkeit (Sensitivität) an, wie sie sich aus der kombinierten Entwicklungs- und Validierungskohorte der SLE-Kriterien mit fast 1200 SLEPatientinnen und Patienten errechnet (5). Häufig sind die Gelenk-, die Haut- und Schleimhautbeteiligung sowie die Leukopenie. Ziemlich genau ein Drittel aller SLE-Patientinnen und Patienten hat eine Lupusnephritis. Selten, wenn auch wichtig, sind die Manifestationen im Zentralnervensystem (ZNS) (Tabelle 1). Neben den Kriterienmanifestationen gibt es noch eine grosse Zahl seltener Formen der Organbeteiligung (Tabelle 3), sowohl in den Kriteriendomänen (Haut, ZNS) als auch parenchymatös in Herz und Lunge und in anderen Organsystemen. Eine weitere Frage wurde im Rahmen der Entwicklung der EULAR/ACR-Kriterien erstmals gestellt: Hängen manche der Kriterien typischerweise zusammen? Gibt es so etwas wie verschiedene SLE-Schubladen? Das wurde in der Früh-SLEStudie und den Eurolupus-Daten im Detail untersucht (6). Das Ergebnis war sehr interessant: Zwar gab es innerhalb der Organdomänen Assoziationen, also zum Beispiel zwischen verschiedenen Haut- und Schleimhautmanifestationen und verschiedenen hämatologischen Manifestationen; das hat zur Wiedereinführung der Domänen geführt und zur oben erwähnten Regel, dass aus 1 Domäne nur 1 Kriterium gezählt werden darf. Über die Domänen hinaus gab es hingegen keine signifikanten Zusammenhänge. Das heisst, dass das Spektrum bei jedem einzelnen SLE-Patienten individuell ist.
Wie abklären?
Was bedeutet das jetzt für den rationalen Umgang mit einer insgesamt doch seltenen Erkrankung? Aus meiner Sicht sollte daran gedacht werden, wenn zumindest 1 der typischen kli-
nischen SLE-Manifestationen vorliegt (Tabelle 1) und es dafür keine wahrscheinlichere Erklärung gibt. Nur dann sollten als Suchtest die ANA bestimmt werden. Sind diese klar positiv, sind weitere Schritte sinnvoll, auf jeden Fall Differenzialblutbild und Urinstreifen (einfacher Test auf Proteinurie) und dann die Antikörpersubtypisierung und die Messung der Serumkomplementkomponenten C3 und C4. Die im Akronym SAV3E zusammenfassbaren Basismassnahmen bei SLE beinhalten Sonnenschutz, Antimalariamittel (Hydroxychloroquin), Vitamin D, Ergänzen der Schutzimpfungen und Kontrolle vaskulärer Risikofaktoren – sowie die Evaluation der Organbeteiligung (7). Nur relevante Organbeteiligungen müssen darüber hinaus behandelt werden. s
Prof. Dr. Martin Aringer Bereich Rheumatologie, Medizinische Klinik und Poliklinik III und UniversitätsCentrum für Autoimmun- und Rheumatische Erkrankungen (UCARE) Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus an der TU Dresden Fetscherstraße 74 D-01307 Dresden E-Mail: martin.aringer@uniklinikum-dresden.de
Interessenlage: Der Autor hat keine Interessenkonflikte deklariert.
Dieser Artikel erschien erstmals in «doctors today» 8/22. Die leicht bearbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
Literatur: 1. Aringer M et al.: 2019 European League Against Rheumatism/American
College of Rheumatology classification criteria for systemic lupus erythematosus. Ann Rheum Dis. 2019;78:1151-1159. 2. Aringer M et al.: Immunpathogenese des systemischen Lupus erythematodes. Z Rheumatol. 2022 May 13; doi: 10.1007/s00393-022-01214-4. 3. Leuchten N et al.: Early symptoms of systemic lupus erythematosus (SLE) recalled by 339 SLE patients. Lupus. 2018;27:1431-1436. 4. Mosca M et al.: Brief Report: How Do Patients With Newly Diagnosed Systemic Lupus Erythematosus Present? A Multicenter Cohort of Early Systemic Lupus Erythematosus to Inform the Development of New Classification Criteria. Arthritis Rheumatol. 2019;71:91-98. 5. Aringer M et al.: European League Against Rheumatism (EULAR)/American College of Rheumatology (ACR) SLE classification criteria item performance. Ann Rheum Dis. 2021;80(6):775-781. 6. Touma Z et al.: Associations Between Classification Criteria Items in Systemic Lupus Erythematosus. Arthritis Care Res (Hoboken). 2020;72(12):1820-1826. 7. Aringer M, Schneider M: [Systemic lupus erythematosus]. Internist (Berl). 2021;62:385-396.
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