Transkript
ARZT UND RECHT
Die juristische Perspektive
Gilt das Berufsgeheimnis auch unter Arztkollegen?
Wenn Sie beim Feierabendbier Ihren Arztkollegen von Ihrem Berufsalltag, insbesondere von Ihren Patienten berichten, lauern bereits mehrere juristische Fallgruben. Denn das Berufsgeheimnis geht viel weiter, als manch einem bewusst ist. Schon die simple Feststellung, man hätte Promi XY bei sich in Behandlung, ist verboten – auch ohne Angabe des Behandlungsgrunds.
Art. 321, Strafgesetzbuch (StGB) regelt die Verletzung des Berufsgeheimnisses wie folgt: «Geistliche, Rechtsanwälte, Verteidiger, Notare, nach Obligationenrecht zur Verschwiegenheit verpflichtete Revisoren, Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Hebammen sowie ihre Hilfspersonen, die ein Geheimnis offenbaren, das ihnen infolge ihres Berufes anvertraut worden ist, oder das sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben, werden, auf Antrag, (…) bestraft.» Die Liste der Berufe, die einem strafrechtlich geschützten Berufsgeheimnis unterliegen, ist seit Erlass des StGB im Jahr 1937 zwar länger geworden, inhaltlich hat sich an den oben wiedergegebenen grundlegenden Bestimmungen zum Berufsgeheimnis nichts geändert. Wesentlich ist am strafrechtlich geschützten Berufsgeheimnis der Umstand, dass das Berufsgeheimnis nicht nur aufgrund einer persönlichen, in der Regel vertraglichen Verpflichtung besteht, wie dies regelmässig in allen möglichen Dienstleistungsverhältnissen der Fall ist, sondern vom Staat angeordnet und seine Verletzung auch durch den Staat sanktioniert wird.
Was umfasst das Berufsgeheimnis konkret?
Alle Ärztinnen und Ärzte wissen grundsätzlich, dass sie der ärztlichen Schweigepflicht beziehungsweise dem ärztlichen Berufsgeheimnis unterliegen. Wissen aber auch alle Ärztinnen und Ärzte, was dieses Berufsgeheimnis konkret umfasst und wie weit es geschützt ist? Mir scheint, dass es doch beim einen oder der anderen mindestens teilweise am Bewusstsein mangelt, was es bedeutet, einem Berufsgeheimnis zu unterliegen und was es bedeuten kann, wenn man dieses verletzt. Die grosse Mehrzahl der dem Arztgeheimnis unterstehenden Ärzte sowie deren Hilfspersonen geht sehr sorgfältig mit dem
Berufsgeheimnis um. Sie achtet peinlichst genau darauf, dieses weder absichtlich noch fahrlässig zu verletzen. Trotzdem habe ich es schon erlebt, dass gestandene Ärzte das Berufsgeheimnis verletzt haben, offensichtlich ohne sich Rechenschaft über die Rechtswidrigkeit ihres Tuns abzulegen, respektive ohne sich dessen bewusst zu sein. Anhand von Bespielen sollen in der aktuellen sowie in späteren Ausgaben von ARS MEDICI einige Hinweise darauf gegeben werden, wo bezüglich des Arztgeheimnisses mögliche Stolpersteine liegen. Beim nachstehend geschilderten – selbstverständlich fiktiven – Sachverhalt (s. Kasten nächste Seite) geht es zunächst darum, festzustellen, welche Tatsachen grundsätzlich Gegenstand des ärztlichen Berufsgeheimnisses sind und ob es auch Grenzen des Berufsgeheimnisses gibt. Es wäre allerdings vermessen, im vorgegebenen Rahmen das Thema Berufsgeheimnis umfassend abhandeln zu wollen. Es sollen deshalb hier nur einige wenige Aspekte beleuchtet und einige Hinweise gegeben werden. In diesem Beispiel stellt sich zunächst die Frage, welche Informationen Gegenstand des Berufsgeheimnisses sein können. Konkret, ob die Information, dass ein Patient sich von einem bestimmten Arzt behandeln lässt oder die Information über die beruflichen Absichten des Patienten unter den Schutz des Berufsgeheimnisses fallen oder nicht.
Wo schnappt die Falle zu?
Unter einem Geheimnis im Sinne des Berufsgeheimnisses versteht man eine Tatsache, die lediglich einem beschränkten Personenkreis bekannt ist und an deren Geheimhaltung ein Geheimnisherr (hier Herr D.) ein berechtigtes Interesse hat.
Die Serie «Die juristische Perspektive» wird von Dr. iur. Beat Schmidli, Advokat, langjähriger Partner in einem Advokaturbüro in Basel, seit 2014 Präsident Strafgericht, Jugendgericht und Zwangsmassnahmengericht Kanton Basel-Landschaft, verfasst. Die Serie beleuchtet verschiedene Situationen, in die ein Arzt im Rahmen seiner Tätigkeit geraten kann.
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Der Fall: Eine Gruppe von Ärztinnen und Ärzten unterhält sich an einem Apéro angeregt über Gott und die Welt. Dabei kommen neben Alltagsthemen wie Kindererziehung und Wetter auch Begebenheiten aus dem beruflichen Umfeld beziehungsweise dem Berufsalltag der anwesenden Mediziner zur Sprache. Anwesend ist auch ein Arzt, der erst vor kurzer Zeit in die Gegend gezogen ist und der sich freut, dass er in seinem neuen beruflichen Umfeld von den Kollegen so freundlich aufgenommen wurde. Um der rege geführten Diskussion auch etwas vermeintlich Interessantes beifügen zu können und wohl auch um sein Ansehen bei den Kolleginnen und Kollegen zu mehren, erzählt er, dass kürzlich Herr D. bei ihm in der Praxis aufgetaucht sei und sich von ihm habe behandeln lassen. Herr D. ist ein bekannter, aber auch umstrittener Schriftsteller, dessen Bücher die meisten der Anwesenden kennen. Herr D., erzählt er, habe ihm anlässlich seiner Konsultation von seinem neusten schriftstellerischen Projekt erzählt. Da Herr D. ihn gebeten habe, diese Informationen für sich zu behalten, könne er leider hier nichts Konkretes berichten. Einer der anwesenden Berufskollegen macht ihn darauf aufmerksam, dass er der Meinung sei, dass er schon mit der Preisgabe der Information, dass ein Arzt-Patient-Verhältnis bestehe, ebenso wie den Informationen über die privaten Absichten des Patienten, das ärztliche Berufsgeheimnis verletze. Der betroffene Arzt ist jedoch der Meinung, dass dies nicht der Fall sei. Er gibt zu bedenken, dass weder der Umstand, dass Herr D. von ihm behandelt wird, noch die Informationen über die schriftstellerischen Absichten etwas mit der gestellten Diagnose und der gewählten Therapie zu tun haben. Ausserdem würden die anwesenden Ärzte ja ihrerseits dem ärztlichen Berufsgeheimnis unterstehen und es könne deshalb von einer Verletzung des Berufsgeheimnisses nicht die Rede sein. Schliesslich handle es sich bei Herrn D. um eine bekannte Persönlichkeit, die immer wieder in der Öffentlichkeit auftritt und dabei auch mehr oder weniger intime Informationen zu ihrer Person preisgibt. Es bestehe ausserdem bezüglich Herrn D. ein öffentliches Interesse an seiner Person, welches die Weitergabe von Informationen, die nicht als höchstpersönlich einzustufen sind, durchaus zu rechtfertigen vermag.
Man stellt damit also fest, dass auch Tatsachen Geheimnisse sein können, die auf den ersten Blick wenig oder gar nichts mit einer medizinischen Behandlung zu tun haben. Es kommt lediglich darauf an, ob es sich erstens um eine unbekannte Tatsache handelt und zweitens, was der Geheimnisherr bezogen auf die Information beabsichtigt. Es kommt also darauf an, ob er damit einverstanden ist, dass Dritte die jeweiligen Informationen besitzen. Diese Feststellung bedeutet wiederum, dass sehr viele unterschiedliche Tatsachen unter das
Arztgeheimnis fallen können, wie beispielsweise der Umstand, dass ein bestimmter Patient bei einem bestimmten Arzt in Behandlung ist. Auch die berufliche Situation des Patienten, beispielsweise wenn dieser seine Stelle verloren hat, kann, soweit diese Tatsache nicht allgemein bekannt ist und der Patient sie auch geheim behalten möchte, unter das Berufsgeheimnis fallen. Für den Arzt, der sicher vermeiden will, mit den einschlägigen Vorschriften des Strafgesetzbuchs in Konflikt zu geraten, bedeutet dies, dass es wichtig ist, sich immer im Klaren darüber zu sein, dass auch vermeintlich unwichtige Tatsachen geschützte Geheimnisse sein können. Es ist deshalb ratsam, vorsichtig und zurückhaltend zu sein bei der Weitergabe von Informationen über seine Patienten. Grundsätzlich kann (fast) jede Weitergabe von Information, wenn sie ohne Einverständnis des Geheimnisherrn erfolgt, eine Verletzung des Arztgeheimnisses sein. Unbehelflich ist im Übrigen auch der Hinweis des Arztes, die anwesenden Personen unterstünden ja ihrerseits dem ärztlichen Berufsgeheimnis. Dies ist in der vorliegenden Konstellation eben gerade nicht der Fall. Ihnen wird nicht ein Geheimnis anvertraut und sie haben das Geheimnis auch nicht in Ausübung ihres Berufs wahrgenommen. Es kommt nicht darauf an, wer Empfänger einer Information ist, sondern darauf, wer Absender der Information ist und ob dieser Absender im Einverständnis mit dem Geheimnisherrn handelt.
Und bei Prominenten?
Ebenfalls nicht zulässig ist, dass der Arzt sich darauf beruft, Herr D. sei quasi eine Person von öffentlichem Interesse und er müsse sich mehr gefallen lassen als ein durchschnittlicher Zeitgenosse. Dieses Argument ist zwar nicht völlig aus der Luft gegriffen, es ist aber sicher so, dass auch Schriftsteller, Skistars und Politikerinnen einen Anspruch auf Beachtung ihrer Persönlichkeitsrechte haben. Dazu gehört auch, dass das ärztliche Berufsgeheimnis respektiert und lediglich zurückhaltend über den medizinischen Zustand eines prominenten Patienten informiert wird. Aus dem Umstand, dass die Verletzung des Berufsgeheimnisses nur auf Antrag des Verletzten bestraft wird, kann sodann abgeleitet werden, dass auf die Geltendmachung des Berufsgeheimnisses verzichtet werden kann. Der Verzicht auf einen Strafantrag führt also zur Straflosigkeit. Näheres zur Frage, wann davon ausgegangen werden kann, der Geheimnisherr sei mit der Geheimnisverletzung einverstanden, folgt in der nächsten juristischen Perspektive. s
Dr. iur. Beat Schmidli
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