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EDITORIAL
2022 wurde in den für den Index berücksichtigten Ländern mehr als eine halbe Million neuer Fälle diagnostiziert, rund 200 000 bei Patienten unter 20 Jahren. Median waren die Betroffenen zu Beginn der Erkrankung 29 Jahre alt. Ihre Lebenserwartung hängt stark davon ab, in welchem Teil der Welt sie leben: Wird bei einem 10-jährigen Kind ein Typ-1-Diabetes entdeckt, so ist die mittlere Lebenserwartung in einem Wohlstandsland mit 65 Jahren 5-mal so hoch wie bei einem 10-Jährigen aus einem einkommensschwachen Land.
Überleben ist eine Frage des Geldes
Für Menschen, die an einem Diabetes mellitus Typ 1 leiden, sieht die Welt heute ganz anders aus als noch vor 100 Jahren. Sind die Betroffenen früher innerhalb von Monaten verstorben, können sie heute dank der Verfügbarkeit von Insulin weiterleben.
Wie häufig diese Erkrankung eigentlich ist, kann erst seit Kurzem genauer beziffert werden. Bis anhin bezogen sich die Angaben im Atlas der International Diabetes Federation auf Schätzungen bei Kindern und Jugendlichen. Erst die Entwicklung des Typ-1-Diabetes-Index durch Gregory et al. ermöglicht nun eine umfassende Einschätzung. Demnach lebten 2022 weltweit etwa 8,75 Millionen Menschen mit einem Diabetes mellitus Typ 1, und nur schätzungsweise 1,5 Millionen davon waren jünger als 20 Jahre (1).
Die Autoren des Index haben sich mit der globalen Krankheitslast des Diabetes mellitus Typ 1 beschäftigt. Mithilfe einer Modellrechnung und künstlicher Intelligenz ermittelten sie Prävalenz und Inzidenz in 201 Ländern, ebenso die damit einhergehende Mortalität respektive Lebenserwartung (2). Alles in allem prognostizieren die Forscher bis 2040 rund doppelt so viele Fälle, nämlich einen Anstieg auf bis zu 17,4 Millionen Betroffene – mit gravierenden Konsequenzen für die Gesundheitssysteme. Diese Zahlen sprechen für einen stark zunehmenden Bedarf an diabetologischer Kompetenz und Versorgung weltweit.
Diese Daten unterstreichen, wie wichtig Wohlstand und eine funktionierende Gesundheitsinfrastruktur sind. Fehlen eine zuverlässige Diagnostik sowie der Zugang zu Insulin und, ebenso wichtig, zu Blutzuckermessung, Diabetesschulung und qualifizierter medizinischer Versorgung, kann ein Diabetes mellitus Typ 1 auch heute noch mit einem frühen Tod gleichgesetzt werden. Weltweit starben 2021 schätzungsweise rund 35 000 Menschen innerhalb von 12 Monaten nach Symptombeginn, ohne dass ihre Diagnose (rechtzeitig) gestellt wurde.
Und wie sieht es in der Schweiz aus? Hier lebten im Jahr 2022 26 642 Personen mit einem Typ-1-Diabetes, 2226 davon waren jünger als 20 Jahre. Die Lebenserwartung eines Typ-1-Diabetikers ist trotz Insulintherapie verkürzt. Bei einer Diagnose im Alter von 10 Jahren im Jahr 2021 liegt die Lebenserwartung eines Typ-1-Diabetikers in der Schweiz bei 68 Jahren. Die Anzahl verlorener Lebensjahre infolge der Erkrankung wird, ausgehend von einem Krankheitsbeginn mit 10 Jahren, auf 17 beziffert (3).
Es ist also noch viel zu tun, nicht nur in der Diabetes-
forschung, sondern vor allem auch im Bemühen, dafür
zu sorgen, dass das Überleben bei Typ-1-Diabetes welt-
weit keine Frage des Geldes mehr ist.
s
Christine Mücke
Quellen: 1. https://diabetesatlas.org/idfawp/resource-files/2022/12/IDF-T1D-In-
dex-Report.pdf 2. Gregory GA et al.: Lancet Diabetes Endocrinol. 2022;10(10):741-760. 3. www.rosenfluh.ch/qr/td1index Wer an weiteren Fakten und Zahlen rund um das Thema Diabetes interessiert ist, kann sich die 10. Ausgabe des Diabetes Atlas der International Diabetes Foundation unter folgender Adresse herunterladen: https://diabetesatlas.org/atlas/tenth-edition/
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