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STUDIE REFERIERT
Diagnose und Therapie von Harnwegsinfektionen in der Praxis
Mit der Antibiotikagabe sollte nicht zugewartet werden
Harnwegsinfektionen gehören zu den häufigsten Infektionen im ambulanten Bereich und stellen nach den Atemwegsinfekten den höchsten Anteil der gesamten Antibiotikaverschreibungen. In einem Review wurden unterschiedliche diagnostische und therapeutische Strategien bei unkomplizierter akuter Zystitis evaluiert.
JAMA
Die systematische Übersicht basiert auf 27 randomisierten kontrollierten Studien (6463 Patienten), 6 Reviews und 11 Beobachtungsstudien (252 934 Patienten). Alle Patienten waren an einer akuten Zystitis erkrankt.
Methodik Ausgeschlossen wurden Studien beziehungsweise Reviews, welche nur schwangere Frauen, Kinder unter 12 Jahren oder Ältere über 65 Jahre erfasst hatten. Auch Studien, an denen Patienten mit komplizierter Harnwegsinfektion (HWI) teilgenommen hatten, wurden ausgegliedert. Eine HWI wurde als kompliziert eingestuft, wenn eine Pyelo-
MERKSÄTZE
O Frauen mit unkomplizierter Zystitis sollten mit Trimethoprim-Sulfamethoxazol, Nitrofurantoin oder Fosfomycin behandelt werden.
O Aufgrund der heutigen Resistenzlage muss beim Trimethoprim-Sulfamethoxazol mit einem höheren Therapieversagen gerechnet werden.
O Ein sofortiger Einsatz von Antibiotika wird empfohlen.
O Diabetikerinnen sollten ähnlich wie Frauen ohne Diabetes behandelt werden.
O Sowohl bei Diabetikerinnen als auch bei Männern ist die Studienlage zurzeit noch unbefriedigend.
nephritis, relevante funktionelle oder anatomische Anomalien vorlagen oder ein urologischer Eingriff in den letzten beiden Wochen durchgeführt worden war.
Diagnostik
Die Diagnose einer HWI basiert im Allgemeinen auf systemischen oder lokalisierten Symptomen sowie einer positiven Urinkultur. Eine Metaanalyse ergab, dass bei Frauen mit typischer Anamnese (Dysurie, Pollakisurie, imperativer Harndrang, Ausschluss von pathologischem Fluor vaginalis) die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer HWI so hoch ist, dass der zusätzliche Einsatz eines Teststreifens nur zu einer geringen Verbesserung der Diagnosesicherheit führt. Eine randomisierte Studie kommt zu einem ähnlichen Resultat. Daraus ziehen die Autoren den Schluss, dass bei Frauen eine akute, unkomplizierte Zystitis ohne Arztbesuch oder Harnkultur diagnostiziert werden kann. Die Autoren empfehlen jedoch, bei rezidivierenden Infektionen (> 2-mal innerhalb von 6 Monaten), bei einer komplizierten HWI oder bei Verdacht auf multiresistente Keime eine Urinkultur anzulegen.
Sofortiger Antibiotikaeinsatz
empfehlenswert
Es ist davon auszugehen, dass sich bei einigen Frauen die Symptomatik ohne Einsatz von Antibiotika bessert. Ein möglicher Therapieansatz könnte daher sein, auf eine antibiotische Therapie zunächst zu verzichten und sympto-
matisch mit antiphlogistisch und analgetisch wirksamen Substanzen wie dem Cyclooxygenasehemmer Ibuprofen zu beginnen. Auf diese Weise könnte der Antibiotikagebrauch drastisch reduziert werden. Eine Studie ergab jedoch, dass 77 Prozent der Frauen, bei denen zunächst auf den Einsatz von Antibiotika verzichtet worden war, letztlich doch antibiotisch behandelt werden mussten (3). Zudem hatten Frauen, bei welchen der Behandlungsbeginn um 48 Stunden verzögert wurde, eine um 37 Prozent verlängerte Dauer der Symptome. Es ist daher zu empfehlen, mit der Antibiotikatherapie sofort zu beginnen.
Antibiotikaauswahl
Als Substanzen der ersten Wahl eigneten sich Trimethoprim-Sulfamethoxazol (Cotrimoxazol, 160/800 mg 2-mal täglich für 3 Tage), Nitrofurantoin und Fosfomycin. Es ist zu bedenken, dass aufgrund heute bestehender Resistenzraten beim Trimethoprim-Sulfamethoxazol inzwischen mit einem höheren Therapieversagen gerechnet werden muss. Makrokristallines Nitrofurantoin (Retardform 100 mg 2-mal täglich für 5–7 Tage) erwies sich bei der Therapie der unkomplizierten Zystitis genauso effektiv wie eine 3-Tage-Therapie mit Cotrimoxazol. Aufgrund niedriger Resistenzraten kann Nitrofurantoin bei der Behandlung der unkomplizierten Zystitis bei sonst gesunden Frauen empfohlen werden. Die Einmalgabe von Fosfomycintrometamol (3 g) war in Studien bei der empirischen Therapie der unkomplizierten Zystitis bei sonst gesunden Frauen Cotrimoxazol und Nitrofurantoin nicht unterlegen. Aufgrund niedriger Resistenzraten kann die Einmalgabe von Fosfomycintrometamol als ein Mittel der Wahl in der Behandlung der unkomplizierten Zystitis bei ansonsten gesunden Frauen gelten. Fluorochinolone (Ciprofloxacin, Levofloxacin, Ofloxacin) sind als 3-TageTherapie in der Behandlung der unkomplizierten Zystitis gut wirksam. Sie können allerdings nicht mehr als Antibiotika der ersten Wahl für die Therapie der unkomplizierten Zystitis empfohlen werden, da sie bei anderen Indikationen eingesetzt werden müssen und für die Therapie der unkomplizierten Zystitis auch andere, ausschliess-
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STUDIE REFERIERT
lich dafür zur Verfügung stehende Antibiotika vorhanden sind. Betalaktamantibiotika (Amoxicillin/Clavulansäure, Cefpodoxim) sind weniger effektiv als die Erstliniensubstanzen. Wegen der hohen Resistenzraten sind sie nicht mehr zu empfehlen. Sowohl bei Männern als auch bei Diabetikerinnen ist die Studienlage zurzeit noch unbefriedigend. Die Autoren empfehlen, Frauen mit Diabetes ohne Entleerungsstörungen der Blase ähnlich wie Frauen ohne Diabetes zu behandeln. Dieser Empfehlung lagen lediglich eine Beobachtungsstudie und eine Expertenmeinung zugrunde. Basierend auf einer begrenzten Anzahl an Beobachtungsstudien kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass bei Männern die Behandlung 7 bis 14 Tage dauern soll.
Fazit Bei Frauen mit unkomplizierter akuter Zystitis empfiehlt sich eine sofortige Behandlung mit Trimethoprim-Sulfamethoxazol, Nitrofurantoin oder Fosfomycin. Die zunehmende Anzahl resistenter Keime stellt ein Problem bei der Therapie der akuten Zystitis dar. Bei der Entscheidung für eine Therapie sollten individuelle Faktoren wie die örtliche Resistenzsituation oder die Verträglichkeit berücksichtigt werden. Sowohl bei Männern als auch bei Diabetikerinnen sind weitere Studien erforderlich, um optimale diagnostische und therapeutische Strategien zu finden. O
Claudia Borchard-Tuch
Grigoryan L et al.: Diagnosis and management of urinary tract infections. A review. JAMA 2014; 312(16): 1677–1684.
Interessenlage: Einer der Autoren der Studie gibt Beratertätigkeiten für mehrere pharmazeutische Firmen und eine Unternehmensbeteiligung an.
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