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BERICHT
Nierenschäden frühzeitig erkennen
Differenzierte Therapie bei den meist multimorbiden Patienten erforderlich
Nierenschäden stehen oftmals in Zusammenhang mit anderen Erkrankungen wie Funktionsstörungen des Herzens oder Diabetes mellitus. Dies wurde an einem Symposium anlässlich der MEDICA Education Conference deutlich. Im Rahmen von Begleiterkrankungen ist eine vorsichtige Vorgehensweise sowohl bei Diagnostik als auch Therapie erforderlich.
Claudia Borchard-Tuch
«Nierenschäden sind häufig eine Erkrankung des älteren, multimorbiden Patienten», erklärte Dr. med. Dhyana Beyerle, Düsseldorf. Schwere Nierenerkrankungen, bei denen die Filtrationsleistung beider Nieren um die Hälfte reduziert ist, finden sich bis zu einem Alter von 50 Jahren kaum. Ab dem sechsten Lebensjahrzehnt kommen sie bei 3 Prozent, ab 70 Jahren bei 12,9 Prozent der Bevölkerung vor. Mit einem erhöhten Risiko für eine Nierenerkran-
MERKSÄTZE
O Albuminurie und Hämaturie sind Warnzeichen für Nierenschäden.
O Die Überweisung an einen nephrologischen Facharzt wird spätestens ab chronischer Nierenerkrankung (CKD) im Stadium III oder bei Hämaturie/ Proteinurie empfohlen.
O Bei kardiorenalem und renokardialem Syndrom stehen die Regulierung des Volumenhaushalts, die Blockade des RAAS und die Behandlung von Begleiterkrankungen im Vordergrund.
O Bei beeinträchtigter Nierenfunktion muss eine antihyperglykämische Pharmakotherapie sorgfältig ausgewählt werden.
kung gehen Hypertonie, kardiovaskuläre Erkrankungen und Diabetes mellitus einher. Die Überweisung zu einem nephrologischen Facharzt wird bei einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) unter 60 ml/min/1,73 m2 oder bei Hämaturie/ Proteinurie empfohlen.
Frühdiagnostik chronischer
Nierenerkrankungen
Eine erhöhte Kreatininkonzentration im Serum (S-Kreatinin) gilt als typisches Zeichen einer eingeschränkten Nierenfunktion. Bei durchschnittlicher Muskelmasse des Patienten kann es jedoch erst zu einem Anstieg des S-Kreatinins kommen, wenn die Filtrationsleistung um 50 Prozent verringert ist, das heisst wenn die GFR unter 60 ml/ min/1,73 m2 liegt (chronic kidney disease [CKD] Stadium III). Auffallende Symptome wie Ödeme, Caféau-lait-Kolorit, Foetor uraemicus oder Vaskulitis sind ebenfalls Zeichen einer fortgeschrittenen Erkrankung. Aufgrund der gering ausgeprägten Symptomatik in frühen Stadien der Nierenerkrankung werden anamnestische Angaben nur selten Hinweise ergeben. Die Anamnese ergibt jedoch häufig wichtige Hinweise in Familien, in denen mehrere Familienmitglieder an Nierenerkrankungen leiden. Hieraus kann sich der Verdacht auf eine hereditäre Nierenerkrankung ergeben.
Vorteilhafter für die nephrologische Frühdiagnostik sind Parameter, die Permeabilitätsstörungen in der glomerulären Basalmembran betreffen. Bereits bei leichten Störungen kommt es zu einem erhöhten Albuminübertritt in den Bowman-Kapselraum und schliesslich in den Endharn. Ebenso kann es bei Schädigung der glomerulären Basalmembran zum Übertritt von Erythrozyten in den Primärharn kommen, der sich als Mikro- oder Makrohämaturie manifestieren kann. Da unterschiedliche Formen der Hämaturie jedoch auch bei postrenalen Erkrankungen (Nierensteine, gut- oder bösartige Tumoren der ableitenden Harnwege, Zystitiden) auftreten können, ist der Nachweis einer Hämaturie im Vergleich zur Proteinurie hinsichtlich der Früherkennung chronischer Nierenerkrankungen von geringerer Spezifität.
Urinteststreifen
Die Erstuntersuchung des Urins sollte mittels Teststreifen durchgeführt werden, die neben Informationen über das spezifische Gewicht, Urin-pH, Leukozyten, Nitrit, Glukose, Ketonkörper, Urobilinogen, Bilirubin, Hämoglobin das Testfeld «Protein» enthalten (z.B. Combur10-Test). Dieses Testfeld kann Albumin ab einer Nachweisgrenze von 80 mg/l detektieren. Andere Eiweisse wie freie Leichtketten (Bence-Jones-Proteine) werden hingegen nicht erkannt. Da die Albuminausscheidung jedoch im Initialstadium der Nephropathie bei Diabetes mellitus und arterieller Hypertonie in einer Grössenordnung von 20 bis 200 mg/l liegt (Mikroalbuminurie), reicht dieser Urinteststreifen oftmals nicht aus. Er ist zu wenig sensitiv, um die Nierenschädigung in diesem frühen Stadium zu erkennen. Ein Teststreifen, der Albuminkonzentrationen über 20 mg/l mit mehr als 95-prozentiger
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Tabelle 1:
Therapeutische Möglichkeiten bei einer Niereninsuffizienz infolge einer Herzinsuffizienz
zystischen Nierenerkrankungen sowie Nierenerkrankungen mit kristallinen Ablagerungen (z.B. Nephrokalzinose) zu (1).
Therapie
Wirkungen
Diuretika hypertone Salzlösung Ultrafiltration rekombinantes natriuretisches Peptid Adenosin-A1-Rezeptor-Antagonisten Vasopressinrezeptorantagonisten positiv-inotrope Substanzen
Volumen ↓, Pumpfunktion ↑
Beeinflussung neurohumoraler Signalwege sowie endothelialer Dysfunktion RAAS-Blockade
endotheliale Dysfunktion ↓, Sympathikusaktivierung ↓, Volumen ↓
Erythropoietin, Eisensubstitution
Verbesserung der Lebensqualität (kardiovaskuläre Morbidität/Mortalität?)
Kontrolle von Risikofaktoren wie arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus und Fettstoffwechselstörungen
nach (2)
kardiovaskuläres Risiko ↓, teilweise nicht so deutlich wie bei nierengesunden Patienten (z.B. Statintherapie bei Niereninsuffizienz)
Tabelle 2:
Therapeutische Möglichkeiten bei einer Herzinsuffizienz infolge einer Niereninsuffizienz
Therapie
Beeinflussung der Hämodynamik und neurohumoraler Signalwege Diuretika Dialyse/Ultrafiltration RAAS-Hemmung
Anämie/Eisenmangel: Erythropoietin, Eisensubstitution
Störungen des Knochenstoffwechsels (CKD-MBD*): Vitamin-D-Substitution Cinacalcet Phosphatbinder
Elektrolytstörungen/metabolische Azidose
Wirkungen Pumpfunktion ↑, endotheliale Dysfunktion ↓, Sympathikusaktivierung ↓, Inflammation ↓
Lebensqualität ↑ (kardiovaskuläre Morbidität/Mortalität?) Gefässverkalkung ↓ (kardiovaskuläre Morbidität/Mortalität?)
Pumpfunktion ↑, Arrhythmien ↓
*CKD-MBD: chronic kidney disease-mineral bone disorder; nach (2)
Sensitivität und mehr als 80-prozentiger Spezifität detektiert, ist der MicralTest. Spezifischer und sensitiver ist die Bestimmung der Albuminkonzentration im Urin mittels Nephelometrie, die bis weit unter 20 mg/l Ergebnisse liefert.
Nierensonografie
Die Sonografie der Nieren im B-BildModus erlaubt die frühe Diagnostik von Nierenerkrankungen mit ausgeprägten morphologischen Veränderungen. Dies trifft insbesondere für die
Kardiorenales und renokardiales
Syndrom
Kardiovaskuläre Erkrankungen – auch mit Todesfolge – treten bei niereninsuffizienten Menschen gehäuft auf, so Prof. Dr. med. Karin Ivens, Düsseldorf. Das kardiorenale Syndrom bezeichnet eine Funktionsstörung des Herzens und der Nieren, wobei eine akute oder chronische Funktionsverschlechterung des einen Organs ursächlich für eine Funktionsverschlechterung des anderen Organs ist. Grundsätzlich unterscheidet man das kardiorenale Syndrom vom renokardialen Syndrom, wobei die zuerst genannte, primäre Organdysfunktion die zweitgenannte bedingt. Pathophysiologisch sind vor allem hämodynamische Faktoren, neurohumorale Mechanismen, die endotheliale Dysfunktion sowie die Atherosklerose an der Entwicklung eines kardiorenalen/ renokardialen Syndroms beteiligt. Bei einem kardiorenalen Syndrom wirkt sich vor allem ein erhöhter renaler Venendruck mit Reduktion der GFR und der Natriumausscheidung negativ auf die Nierenfunktion aus. Bereits in frühen Stadien der Herzinsuffizienz wird das Renin-AngiotensinAldosteron-System (RAAS) aktiviert. Es kommt zu einer Flüssigkeitsretention mit weiterer Beeinträchtigung der Herzfunktion. Zudem haben Angiotensin II und Aldosteron auch Effekte auf renale Tubuluszellen, Herzmuskelzellen, Makrophagen und Fibroblasten im Sinne einer Hypertrophie, Apoptose und Fibrose. Beim renokardialen Syndrom kommt es durch eine Reduktion der GFR zu einer Aktivierung des RAAS und des sympathischen Nervensystems und damit zu einer Retention von Natrium und Wasser mit folgender Volumenüberladung und Erhöhung der Vorlast, was eine Herzinsuffizienz fördert. Sowohl bei der Herz- als auch bei der Niereninsuffizienz kommt es zu einer endothelialen Dysfunktion, die ihrerseits wieder die Herz- beziehungsweise Nierenfunktion verschlechtern kann. Gelingt es im Stadium der endothelialen Dysfunktion nicht, die kardiovaskulären
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Tabelle 3:
Einsatz von Antidiabetika bei Niereninsuffizienz
Wirkstoff
Anwendung bei Niereninsuffizienz
Alpha-Glukosidase-Hemmer (Acarbose, Miglitol)
nicht empfohlen wegen spärlicher Studienlage und Nebenwirkungspotenzial (Wasser- und Elektrolytverluste bei Diarrhöen), kontraindiziert bei Kreatininclearance < 25 ml/min Metformin Pioglitazon Gefahr der Laktatazidose bei Kumulation, Nierenfunktion regelmässig überprüfen, kontraindiziert bei Kreatininclearance < 60 ml/min Anwendung möglich, vorher Herzinsuffizienz ausschliessen Sulfonylharnstoffe kontraindiziert bei Kreatininclearance < 30 ml/min, sonst Dosisreduktion Repaglinid Dosisreduktion bei Kreatininclearance < 30 ml/min Nateglinid nicht empfohlen wegen fehlender Erfahrung DPP-4-Hemmer (Sitagliptin, nicht empfohlen bei Kreatininclearance < 50 ml/min Vildagliptin, Saxagliptin) Exenatid Dosisreduktion bei Kreatininclearance 50 bis 30 ml/min, darunter kontraindiziert Liraglutid bei Kreatininclearance < 60 ml/min nicht empfohlen Risikofaktoren zu beherrschen, entwickelt sich das Vollbild der Atherosklerose (2). Therapeutisch stehen die Regulierung des Volumenhaushalts, die Blockade des RAAS und die Behandlung der eine Niereninsuffizienz begleitenden Probleme im Vordergrund (Tabelle 1 und 2). Bei Patienten mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz – besonders wenn die Diurese die Trinkmenge unterschreitet und die Patienten wiederholt dekom- pensieren – ist eine Nierenersatztherapie indiziert. Gerade bei ausgeprägter Herzinsuffizienz mit deutlich eingeschränkter Ejektionsfraktion bietet sich die Peritonealdialyse als Verfahren der Wahl an, weil hier eine zusätzliche Belastung des Herzens durch eine zu rasche Ultrafiltration beziehungsweise ein erhöhtes Shunt-Volumen durch die AV-Fistel nicht zu erwarten ist (2). Diabetes und Niereninsuffizienz «Etwa 30 Prozent aller Patienten mit terminalem Nierenversagen sind Dia- betiker», erklärte Dr. med. Frank-Peter Tillmann, Düsseldorf. Eine sorgfältige Beratung kann dazu beitragen, Nieren- schäden als diabetische Komplikation zu reduzieren. Auch die Senkung von Blutdruck und Blutfettwerten trägt dazu bei, die Nieren zu schützen. Wenn die Nierenfunktion bereits beeinträch- tigt ist, muss die antihyperglykämische Pharmakotherapie sorgfältig ausge- wählt werden (Tabelle 3). O Claudia Borchard-Tuch Quelle: Symposium im Rahmen der MEDICA Education Conference: «Nierenprobleme rechtzeitig erkennen und behandeln», Düsseldorf, 13. November 2014. Referenzen: 1. Schulze-Lohoff E et al.: Frühdiagnostik von chronischen Nierenerkrankungen. Internist 2005; 46: 378–388. 2. Schamberger B et al.: Kardiorenales Syndrom. Nephro- loge 2013; 8: 298–307. 82 ARS MEDICI 2 I 2015