Transkript
POLITFORUM
Xundheit in Bärn
INTERPELLATION vom 26.9.2014 (s. auch ARS MEDICI 1/2015)
Kostenexplosion durch neue Therapien gegen Hepatitis C?
Jean-François Steiert Nationalrat SP Kanton Freiburg
Verschiedene Wirksubstanzen befinden sich zurzeit im Prozess der Registrierung und der Kassenzulassung (Wirkstoffe: Daclatasvir, Sofosbuvir, Simeprevir, Faldaprevir). Die neuen Therapien sollen einen Durchbruch darstellen und quasi mit 1 Pille pro Tag die Krankheit heilen. Die Therapiekosten werden selbst in den USA mit 1000 Dollar pro Pille für Sofosbuvir als
sehr hoch eingestuft und kritisiert. In der Schweiz sind etwa 80 000 Personen mit Hepatitis C infiziert. Wenn nun ein Viertel dieser Patienten im ersten Jahr mit Sofosbuvir behandelt würde, würde das bei durchschnittlich 90 000 Franken Behandlungskosten pro Patient für die obligatorische Krankenversicherung Ausgaben in Höhe von 1,8 Milliarden Franken nur für diesen Wirkstoff bedeuten. Generell werden bei neuen Behandlungen die Wirkungen und die Kosten mit denjenigen vorhergehender Therapien verglichen. Bei einem Mehrnutzen erhält die Zulassungsinhaberin einen Innova-
tionszuschlag oder kann bei einem Durchbruch dank der guten Verhandlungsposition den Preis durchsetzen. Dadurch entsteht der Effekt einer steigenden Treppe. Ich bitte deshalb den Bundesrat, folgende Fragen zu beantworten: 1. Wie können solch exorbitant hohe
Kosten in einem Sozialversicherungssystem gerechtfertigt werden, wenn die Produktionskosten für eine Behandlung bei maximal 270 Dollar liegen (Publikation Hill et al.; CID 2014: 58)? 2. Ist die Einschränkung der Behandlung auf eine schwere Leberschädigung ethisch vertretbar? 3. Wäre es sinnvoll, analog der HIV-Kohorte, Auflagen zur Behandlung der Patienten im Rahmen eines schweizweiten Registers zu machen, um so weitere Daten zu Wirksamkeit und Kosteneffektivität zu sammeln
und für die Patienten analog der schweizerischen HIV-Kohortenstudie eine sehr gute Betreuung und eine möglichst hohe Therapietreue zu erreichen? Die Schaffung solcher Möglichkeiten würde der Schweizer Forschung und dem Forschungsplatz eine analoge Beachtung verschaffen wie im HIV-Bereich und die Versorgung der Patienten optimieren. Was gedenkt der Bundesrat in dieser Richtung zu tun? 4. Was kann er unternehmen, um den Effekt exponentiell steigender Kosten durch Neueinführungen zu durchbrechen, ohne dabei auf den allgemeinen Zugang zu realen medizinischen Fortschritten zu verzichten?
Stand der Beratung: Im Plenum noch nicht behandelt.
Antwort des Bundesrates vom 5.12.2014 (leicht gekürzt)
1. Auch in der Schweiz musste ein sehr hoher Preis für das neue Hepatitis-C-Arzneimittel Sovaldi festgelegt werden. Im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben ist es nicht möglich, in der Schweiz einen Preis für neue Arzneimittel festzusetzen, der deutlich tiefer ist als in anderen Ländern. Für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels der Spezialitätenliste (SL) ist neben dem therapeutischen Quervergleich der Fabrikabgabepreis eines Arzneimittels im Ausland massgebend. Verglichen wird dabei mit den Referenzländern Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Österreich, Dänemark und Grossbritannien. Die Kosten für Forschung und Entwicklung werden bei der Preisfestlegung eines Arzneimittels angemessen berücksichtigt. Der vom BAG als wirtschaftlich erachtete Preis für ein Arzneimittel berücksichtigt entsprechend nicht nur die Produktionskosten, sondern auch die bei der Entwicklung des Arzneimittels aufgewendeten Kosten für die Forschung, Durchführung der klinischen Stu-
dien, Zulassungsverfahren usw. Aufgrund der hohen Preise in den entwickelten Ländern übertrifft jedoch die Umsatzentwicklung bei den Zulassungsinhaberinnen neuer Hepatitis-C-Therapien deren Investitionen für Forschung und Entwicklung bei Weitem. Diese neuartige Preispolitik führt zu einer namhaften Belastung der steuer- und prämienfinanzierten Sozialversicherungssysteme der entwickelten Länder. 2. Die Vergütung von Sovaldi ist limitiert auf Patienten, bei denen die Erkrankung der Leber fortgeschritten ist oder bei denen sich die Erkrankung ausserhalb der Leber manifestiert. Diese Einschränkung ist sinnvoll, da eine Hepatitis-C-Infektion häufig mild verläuft und viele der Patientinnen und Patienten mit einer chronischen Infektion gar keine Symptome haben. 3. Das BAG kann die Aufnahme von Arzneimitteln in die SL mit Bedingungen und Auflagen verbinden, wenn die WZW-Kriterien ohne entsprechende Auflagen nicht erfüllt sind. Seit dem Jahr
2000 besteht The Swiss Hepatitis C Cohort Study (SCCS). Es wäre wünschbar und sinnvoll, wenn möglichst viele Behandlungen im Rahmen dieser Studie vorgenommen würden. Das BAG hat jedoch analog zu den bereits in der SL aufgeführten Arzneimitteln zur Behandlung von HIV und zur Behandlung von Hepatitis C auf eine Registerpflicht verzichtet, da die vom Interpellanten gewünschten Effekte auch ohne diese Auflage erreicht werden können: Die Therapietreue für die Behandlung von Hepatitis C wird schon dadurch verbessert, dass die Therapiedauer mit den neuen Arzneimitteln deutlich verkürzt wird und die neuen Arzneimittel besser verträglich sind. Mittels Limitierung wurde eine qualitativ hochstehende Betreuung durch Fachärzte der Gastroenterologie oder der Infektiologie sowie durch ausgewählte Ärzte mit Erfahrung in Suchtmedizin und in der Behandlung von Hepatitis C sichergestellt. 4. Wie bereits in der Antwort auf Frage 1 ausgeführt, sind für die Preisfestsetzung der Vergleich mit dem Ausland und der Vergleich mit anderen Arzneimitteln in der Schweiz relevant. Entspre-
chend beeinflussen die Preise der europäischen Referenzländer die Preise in der Schweiz massgeblich. Die Zulassungsinhaberinnen verfolgen regionale Preisstrategien, so wird beispielsweise ein europäischer Zielpreis festgelegt. Würde in der Schweiz versucht, Preise festzulegen, die deutlich unter diesem europäischen Zielpreis liegen, wäre eine Versorgung der Schweizer Bevölkerung möglicherweise nicht mehr sichergestellt. Das BAG trägt den limitierten Ressourcen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) dadurch Rechnung, dass bei solch teuren Arzneimitteln die Vergütung auf diejenigen Patienten eingeschränkt wird, die sie benötigen und die am meisten davon profitieren. Seit 2012 werden alle Arzneimittel der SL hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit regelmässig überprüft und wird deren Preis gesenkt, wenn das Arzneimittel im Vergleich zu den Referenzländern zu teuer ist. Mit dieser Massnahme konnten seit 2012 mindestens 200 Millionen Franken pro Jahr eingespart werden.
ARS MEDICI 2 I 2015
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INTERPELLATION vom 26.9.2014
Ausschluss von Ärztinnen und Ärzten aus der Liste der Grundversorgerinnen und Grundversorger im Rahmen des Hausarztmodells
Isabellle Moret Nationalrätin FDP Kanton Waadt
Im Rahmen der Beratungen über die parlamentarische Initiative Feller hat sich der Nationalrat mit Fragen der Rechtssicherheit, der Transparenz und der Willkür befasst. Mit dieser Interpellation bitte ich den Bundesrat zu erklären, wie mit Bezug auf die geschilderte Problematik eine Antwort auf diese Fragen gefunden werden soll; insbesondere bitte ich den
Bundesrat, die folgenden Fragen zu beantworten: 1. Hat ein Versicherer, der ein
Hausarztmodell anbietet, das Recht, eine Ärztin oder einen Arzt innert Jahresfrist von der Liste der Grundversorgerinnen und Grundversorger auszuschliessen? 2. Hat ein Versicherer das Recht, eine Ärztin oder einen Arzt von der genannten Liste auszuschliessen, ohne die Versicherten darüber zu informieren? Falls nein, welches wäre die geeignete Weise, um die Versicherten über den Ausschluss zu benachrichtigen?
3. Obliegt es dem Versicherer, der eine Ärztin oder einen Arzt von der Liste ausschliesst, die betroffene Ärztin oder den betroffenen Arzt davon in Kenntnis zu setzen, und auf welche Weise soll das geschehen? Muss der Versicherer der betroffenen Ärztin oder dem betroffenen Arzt den Grund für den Ausschluss mitteilen?
4. Welche Rechtsmittel stehen Ärztinnen und Ärzte, die von der Liste ausgeschlossen werden sollen, zur Verfügung, um den Ausschluss zu bestreiten?
5. Welche Behörde ist zuständig für den Entscheid darüber, ob
das Kriterium der «kostengünstigeren Versorgung» nach Artikel 41 Absatz 4 KVG vom Versicherer korrekt angewendet worden ist? 6. Welche Möglichkeiten stehen dem BAG offen, um einen Versicherer, der die im Rahmen des Hausarztmodells gebotene Transparenz nicht respektiert, zur Ordnung zu rufen? 7. Kann der Bundesrat bestätigen, dass die in der parlamentarischen Initiative Feller angeprangerte Praxis nicht nur einen einzigen Versicherer betrifft?
Antwort des Bundesrates vom 5.12.2014 (leicht gekürzt)
1. Die Versicherer können ihren Versicherten besondere Versicherungsformen mit eingeschränkter Wahl des Leistungserbringers anbieten. Nach KVG soll der Bundesrat die besonderen Versicherungsformen näher regeln. Die Ausführungsverordnungen überlassen es aktuell weitgehend den Versicherern, wie sie diese Versicherungsformen ausgestalten. Die Versicherer regeln die Rechte und Pflichten der Versicherten in den Versicherungsbedingungen. In der Regel ändern die Versicherer die Liste der Leistungserbringer, von denen sich eine versicherte Person behandeln lassen kann, wenn sie ein Modell mit eingeschränkter Wahl der Leistungserbringer wählt, auf den Beginn eines Jahres. Es ist den Versicherern aber nicht verboten, einen Leistungserbringer während des Jahres von der Liste zu streichen, es sei denn, der Versicherer habe sich in den Versicherungsbedingungen oder gegenüber dem Leistungserbringer verpflichtet, ihn nur auf Ende eines Kalenderjahres aus der Liste zu streichen. Wenn ein Versicherer einen Leistungserbringer während des Jahres von der Liste streicht, hat die versicherte Person die Möglich-
keit, einen anderen Leistungserbringer aus der Liste zu wählen. Der Fall, dass eine versicherte Person bei diesem Leistungserbringer bereits in Behandlung ist und bleiben möchte, ist gesetzlich nicht eindeutig geregelt. Ein Gericht müsste entscheiden, ob sie gestützt auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes Anspruch auf Vergütung der Behandlung bei diesem Leistungserbringer bis Ende Jahr hat. Dem Bundesrat ist nicht bekannt, dass ein Gericht sich bereits zu dieser Frage geäussert hätte. 2. Die Versicherer haben ihre Versicherten über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären. Grundsätzlich informieren sie ihre Versicherten in den Versicherungsbedingungen. Wenn das Bundesamt für Gesundheit (BAG) rechtswidrige Versicherungsbedingungen sieht, beanstandet es sie. Im Übrigen können die Versicherer weitgehend frei bestimmen, wie und wann sie informieren, solange die Versicherten nicht wegen ungenügender Information einen Nachteil erleiden. So können Versicherte, die von ihrem Versicherer nicht informiert wurden, dass ihre behandelnde Ärztin oder ihr behandelnder Arzt aus der Liste
gestrichen wurde, und sich deshalb weiterhin von ihr oder ihm behandeln liessen, ihre Vergütungsansprüche gestützt auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes geltend machen. 3. Wenn ein Versicherer mit einem Leistungserbringer einen Vertrag abschliesst, kann er sich darin zur Information oder Begründung des Ausschlusses von der Liste verpflichten. Zudem ist davon auszugehen, dass der Versicherer den betroffenen Leistungserbringer auch informieren muss, wenn sie keine vertragliche Beziehung haben. Denn Streitigkeiten zwischen Versicherer und Leistungserbringer können einem kantonalen Schiedsgericht unterbreitet werden. Nur wenn der Versicherer dem Leistungserbringer mitteilt, dass er aus der Liste gestrichen wurde, kann dieser sich an das zuständige kantonale Schiedsgericht wenden. Wenn der Leistungserbringer wegen seiner Streichung vor dem Schiedsgericht Klage erhebt, muss der Versicherer seine Gründe in diesem Verfahren darlegen. 4. Die Versicherer legen im Rahmen der verfassungsrechtlichen und der gesetzlichen Vorgaben selber fest, nach welchen Kriterien sie die Leistungserbringer im Hinblick auf eine kostengünstigere Versorgung auswäh-
len. Diese Kriterien können sie aber auch in einem Vertrag mit dem Leistungserbringer festlegen. Leistungserbringer, welche die Streichung als verfassungsoder rechtswidrig betrachten, können beim zuständigen kantonalen Schiedsgericht klagen. 5. Ein Leistungserbringer kann vor dem zuständigen kantonalen Schiedsgericht geltend machen, ein Versicherer habe Artikel 41 Absatz 4 KVG rechts- oder verfassungswidrig angewendet, um einen Anspruch auf Belassen auf einer Liste zu begründen. 6. Die Versicherer informieren die Versicherten grundsätzlich in den Versicherungsbedingungen. Im Übrigen können sie weitgehend frei bestimmen, wie und wann sie informieren, solange die Versicherten nicht wegen ungenügender Information einen Nachteil erleiden. 7. Dem BAG ist nur ein Versicherer bekannt, der das in der parlamentarischen Initiative Feller erwähnte Vorgehen anwendet. Die Versicherer sind jedoch nicht verpflichtet, das BAG zu informieren, nach welchen Kriterien sie welche Leistungserbringer in ihren besonderen Versicherungsformen berücksichtigen.
Stand der Beratung: im Plenum noch nicht behandelt.
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