Transkript
EDITORIAL
Tingatinga – sich mit Schönem umgeben und Gutes tun
lle Tingatinga-Bilder, auch jene, die Sie in den kommenden Monaten auf unseren ARS-MEDICI-Titelseiten sehen, werden von Entwicklungshilfeorganisationen (ursprünglich von Helvetas allein) in die Schweiz eingeführt und verschiedenenorts in Ausstellungen gezeigt. Die Bilder sind dort käuflich zu erwerben. Der Erlös geht zurück nach Tansania. Wir stellen im Jahr 2015 auf unseren ARS-MEDICI-Titelseiten jeweils ein Tingatinga-Bild vor – mit einem kurzen Beschrieb (Motiv, Technik, Grösse, Künstler, Preis). Alle diese Titelseitenbilder bleiben während einer gewissen Frist für die Leserinnen und Leser von ARS MEDICI reserviert. Sie erhalten einen Rabatt von 15 Prozent auf den offiziellen Verkaufs-
preis. Allerdings: Sie dürfen auch den vollen Preis bezahlen, denn der Erlös kommt vollumfänglich – und damit meinen wir wirklich vollumfänglich! – der Tingatinga Arts Cooperative Society zugute. ARS MEDICI bürgt dafür. Wir würden uns freuen, wenn einige der 24 Tingatinga-Bilder ihre Liebhaber fänden und damit Schönheit und Hilfe eine Einheit eingingen. Sie können sich, wann immer Sie sich für ein Bild interessieren, an unsern Verlag wenden:
Rosenfluh Publikationen AG Frau Silvia Tomasi Tel. 052 675 50 60 E-Mail: s.tomasi@rosenfluh.ch
Zur Geschichte von Tingatina
Die Tingatinga-Malerei stammt aus Tansania – eine faszinierende Verbindung zwischen Tradition und Moderne. Die naive, farbenfreudige Malerei, die sich gegen Ende der Sechzigerjahre in Tansanias Hauptstadt Dar es Salaam zu entwickeln begann, betont die Konturen und setzt die Farben kontrastreich nebeneinander. Als Motive dienen die Tierwelt Tansanias, aber auch die Menschen in ihrem dörflichen Alltag. Typisch sind darüber hinaus Szenen mit traditionellen Heilern und modernen Medizinern. Begründet wurde die Malrichtung von Eduardo S. Tingatinga (1932–1972), einem Sohn armer Bauern aus der Ethnie der Makua im Süden Tansanias. Wie dort üblich, hütete er die Rinder der Familie, besuchte aber auch vier Jahre lang eine Missionsschule. Nach etlichen Gelegenheitsarbeiten erhielt er in Dar es Salaam schliesslich Anstellungen im Hause englischer Kolonialbeamter. Als er nach dem Auszug der Kolonialverwaltung 1968 arbeitslos wurde, musste er sich nach neuen Verdienstmöglichkeiten umsehen und begann als Autodidakt, in Erinnerung an seine ländliche Heimat Bilder zu malen: zunächst die wilden Tiere der Savanne, aber dann auch den Alltag im Dorf, die Praktiken der örtlichen Heiler und seine Vorstellung von Geistwesen. Er benutzte dabei Materialien, die für ihn erschwinglich waren: quadratische Hartfaserplatten, die man als Abdichtung von Zimmerdecken in den Häusern der Europäer verwendete, meist im Format 60 × 60 cm, und Fahrradlackfarben. Da er mit dem Verkauf seiner Bilder bald erfolgreich wurde, zogen nach und nach Familienangehörige und weiter entfernte Verwandte zu ihm nach Dar es Salaam, um unter seiner Anleitung und nach seinem Vorbild zu malen.
Nach Tingatingas frühem Tod im Alter von 40 Jahren (er
wurde irrtümlich während einer Polizeikontrolle erschos-
sen) griffen Verwandte und Freunde die Malrichtung auf,
entwickelten sie weiter und machten sie zu einem wichtigen
Bestandteil des modernen Tansania. Der Name Tingatinga
steht bis heute für diesen Malstil und nunmehr auch für die
Malerkooperative, die sich aus dem Familienkollektiv ent-
wickelte und den Namen Tingatinga Arts Cooperative
Society trägt. Dort arbeiten gegenwärtig rund 80 Maler und
Malerinnen – nicht mehr unter freiem Himmel wie am An-
fang, sondern in einem festen Gebäude, das die Schweizer
Hilfsorganisation Helvetas vor einigen Jahren errichtet hat.
Seit den Anfängen entwickelt sich der Tingatinga-Stil stän-
dig weiter, sowohl im Format als auch in Materialien und
Motiven. Zum klassischen 60 × 60-cm-Format kamen zu-
nächst weitere quadratische Formate hinzu, später auch
rechteckige. Heute wird fast ausschliesslich auf Leinwand
gemalt. Die gesundheitsschädlichen Fahrradfarben sind
inzwischen ersetzt durch Lackfarben. Geblieben sind den
Bildern aber immer die Brillanz und die Leuchtkraft.
Auch die Motive wandeln sich: Die frühen Maler setzten sehr
plakativ einzelne Tiere auf einen einfarbigen oder schwach
getönten Hintergrund. Später wurden die Bilder «voller»,
beliebt wurden reine Vogel- und Fischbilder, auf denen die
Tiere das gesamte Bild ausfüllen. Mit dem Hintergrund wird
experimentiert, von der reinen Einfarbigkeit bis zu Bildern,
in denen Motiv und Hintergrund ineinander übergehen.
Tiermotive sind aber nach wie vor am beliebtesten. Und sie
eignen sich perfekt zur Illustration der zahlreichen tansa-
nischen Tiermärchen.
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Barbara Schmid-Heidenhain Angelika Brockhaus
ARS MEDICI 1 I 2015
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