Transkript
COPD
Die (mögliche) Zukunft der inhalativen Therapien
ERS
Inhalative Applikation ist die naheliegende Form für die Verabreichung von Medikamenten bei Patienten mit Atemwegserkrankungen. Im Falle der COPD werden auf diesem Weg sowohl Bronchodilatatoren als auch antiinflammatorische Medikamente appliziert. Aus beiden Gruppen befinden sich derzeit einige neue Substanzen in klinischer Entwicklung.
Bronchodilatatoren sind die Basis der inhalativen COPDTherapie. Derzeit finden in dieser Indikation 3 Substanzklassen Anwendung, nämlich Beta-2-Sympathomimetika (Beta-2-Agonisten), Muskarinrezeptor-Antagonisten sowie Xanthine. Innerhalb dieser Gruppen habe es über die Jahre kontinuierliche und graduelle Verbesserungen gegeben, so Prof. Mario Cazzola von der Universität Pavia. Motivation für weitere Verbesserungen gebe es genügend. Cazzola nennt insbesondere das Fehlen krankheitsmodifizierender Effekte der heute verfügbaren Therapien und verweist auf eine grosse Zahl neuer Substanzen in der Pipeline der pharmazeutischen Industrie, von denen sich die meisten allerdings erst in präklinischen Untersuchungen oder frühen klinischen Studien befinden. Lediglich das neue Xanthin Doxophyllin ist in einigen Ländern bereits zugelassen. Zurzeit stellen lang wirksame Muskarinantagonisten (LAMA) und lang wirksame Beta-2-Agonisten (LABA) als Kombinationstherapie die Standardbehandlung der COPD dar. Diese Kombination habe den Vorteil einer synergistischen Wirkung auf die Atemwege und könne bei Bedarf mit einem inhalativen Kortikosteroid (ICS) zur 3-fachen Kombination erweitert werden, so Cazzola. Allerdings ist nicht geklärt, warum diese beiden Substanzgruppen synergistische und nicht bloss additive Wirkung zeigen. Es wird vermutet, dass es in den glatten Muskelzellen sowohl prä- als auch postsynaptisch zu Interaktionen kommt (1). Wird zusätzlich ein ICS eingesetzt, interagiert das Steroid vor allem mit dem LAMA, wobei es zusätzlich zu den bekannten bronchodilatatorischen und antiinflammatorischen Effekten zu einer Verminderung des Remodellings kommen dürfte (2).
Auf dem Weg zu dual wirksamen Bronchodilatatoren
Ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der inhalativen Therapien bei COPD könnte die Entwicklung bifunktionaler Substanzen sein, die 2 oder mehrere relevante Mechanismen mit einem einzigen Molekül abdecken. Im Falle der COPD können das LAMA und LABA in ein und demselben Molekül sein (MABA: Muskarin-Antagonist/Beta-Agonist) oder Bronchodilatatoren mit einer zusätzlichen antiinflammatori-
schen Komponente. Die Entwicklung von MABA könnte eines der relevanten Probleme der inhalativen COPD-Therapie lösen, so Cazzola, denn mit den gängigen LAMA/ LABA-Kombinationen würden Substanzen mit unterschiedlichen pharmakokinetischen Profilen kombiniert. Dieses Problem könnte mit MABA einfach wegfallen, wobei an ein solches Produkt hohe Anforderungen zu stellen sein werden, da in einem MABA die LAMA- und die LABA-Eigenschaften ungleich ausgeprägt sein und hinsichtlich der Pharmakokinetik Unterschiede zwischen den beiden Komponenten des Moleküls bestehen können (3). Derzeit befindet sich ein einziger MABA in klinischen Studien der Phase II. Für Navafenterol konnte in einer kürzlich publizierten Studie eine hinsichtlich Lungenfunktion, COPD-Symptomatik und Husten mit Umeclidinium/Vilanterol eine vergleichbare Wirksamkeit festgestellt werden (4). Ebenfalls klinisch untersucht werden dual wirksame Moleküle zur Hemmung von Phosphodiesterasen. Das Enzym Phosphodiesterase 4 (PDE-4), das in zahlreichen proinflammatorischen Zellen wie T-Zellen, Eosinophilen, Neutrophilen und Monozyten exprimiert wird, gilt seit Längerem als ein möglicherweise für die COPD-Therapie relevantes Ziel. Als einziger PDE-4-Inhibitor ist zurzeit Roflumilast zur Behandlung von Lungenerkrankungen zugelassen. Roflumilast wird systemisch verabreicht und ist mit erheblichen Nebenwirkungen assoziiert, die sich deutlich negativ auf die Adhärenz der Patienten auswirken. Die Entwicklung inhalativer PDE-4-Inhibitoren wurde versucht, wegen mangelnder Wirksamkeit jedoch weitgehend wieder abgebrochen. Weiterentwickelt wird Tanimilast, welches in der Phase II zwar den primären Endpunkt verfehlte, in ausgewählten Subgruppen, insbesondere bei COPD vom chronischen Bronchitistyp, jedoch Hinweise auf gute Wirksamkeit lieferte. Mit Ensifentrin, einem dualen Inhibitor von PDE-4 und PDE-3 befindet sich eine Substanz in Entwicklung, die sowohl antiinflammatorisch als auch bronchodilatatorisch wirksam sein soll. In ersten Studien konnte eine schnell einsetzende Bronchodilatation sowie eine Reduktion der Neutrophilen- und der Makrophagenzahl in der Bronchialschleimhaut festgestellt werden (5). Auch als Add-on zu einer
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Therapie mit Tiotropium führte die Substanz bei Patienten mit COPD zu Verbesserungen der Lungenfunktion und der Lebensqualität (6). Nach der Entwicklung einer neuen Formulierung und einer Dosisfindungsstudie, die ebenfalls dosisabhängig gute Wirksamkeit auf Atemwegsobstruktion und Symptome bei guter Verträglichkeit zeigte (7), ging Ensifentrin in eine Phase-IIIStudie. Vor wenigen Wochen habe der Hersteller, so Cazzola, bekannt gegeben, dass diese Studie ihren primären Endpunkt erreicht habe. Im Vergleich zu Plazebo wurde sowohl eine signifikante Verbesserung der Lungenfunktion als auch eine Reduktion moderater bis schwerer Exazerbationen um 42 Prozent erreicht. Cazzola betonte, dass mehr als die Hälfte der Studienpatienten eine Hintergrundtherapie mit LAMA oder LABA erhalten habe sowie 15 Prozent ein ICS. Die Ergebnisse der Studie sind noch nicht publiziert.
Neue antiinflammatorische Therapien ...
Inflammation spielt bei COPD eine wichtige Rolle, und bereits 1972 war das erste ICS in einem Metered-Dose-Inhaler (MDI) verfügbar. Dennoch brächten ICS nur ausgewählten COPD-Patienten Vorteile, wie Prof. Paola Rogliani von der Universität Rom Tor Vergata ausführt. Derzeit seien jedoch einige innovative inhalative Therapien in klinischer Prüfung, die in erster Linie die Entzündung im Rahmen der COPD beeinflussen sollten. Während im Management der COPD heute Bronchodilatatoren breit eingesetzt werden, sind ICS Patienten mit häufigen Exazerbationen und ausgeprägter Symptomatik vorbehalten – insbesondere wenn eine deutliche Eosinophilie besteht. Darüber hinaus fänden antiinflammatorische Medikamente bei der COPD jedoch kaum Anwendung, so Rogliani, und das obwohl eine persistierende Inflammation typisch für die COPD sei und sowohl den Krankheitsverlauf als auch die Symptomatik beeinflusse. Nur wenige antiinflammatorische Therapien seien bei COPD geprüft worden und noch weniger habe man in inhalativen Formulierungen untersucht (8).
... mit unterschiedlichen Ansatzpunkten gesucht
Antiinflammatorische Therapien beruhen entweder auf einer Hemmung von Rekrutierung und Aktivierung zellulärer Komponenten der Inflammation oder auf einer Hemmung der zahlreichen Kinasen, die im Verlauf einer COPD verschiedene proinflammatorische Gene aktivieren, die wiederum die Expression von Zytokinen, Chemokinen und Proteasen induzieren. Bei der zellulären Komponente setzen die PDE-4-Inhibitoren bzw. Ensifentrin an. Im Gegensatz dazu wird mit dem inhalativen PI3Kδ-Inhibitor Nemiralisib die für die Aktivierung von Makrophagen und Neutrophilen wichtige Kinase PI3 gehemmt. In ersten kontrollierten Studien reduzierte Nemiralisib bei inhalativer Anwendung die Interleukine (IL) 6 und IL-8 im Sputum und verbesserte die Lungenfunktion (9, 10). Ebenfalls in der Pathophysiologie der COPD relevant ist der p38-MAPK-Signalweg, der die Ausschüttung einer Vielzahl
proinflammatorischer Zytokine induziert und insbesondere für die Rekrutierung und die Aktivierung neutrophiler Granulozyten verantwortlich ist. Allerdings seien bisher verfügbare Studienergebnisse in der Indikation COPD nicht ermutigend gewesen, und es sei fraglich, so Rogliani, ob p38MAPK-Inhibitoren eine Rolle im Management der COPD spielten.
Inhalatives Heparin vielversprechend
Sehr vielversprechende Daten liegen hingegen für inhalatives
Heparin vor. Rogliani weist darauf hin, dass Heparin, abge-
sehen von seiner antikoagulatorischen Wirkung, auch muko-
lytisch, antiinflammatorisch und antioxidativ wirksam sei.
Bei inhalativer Anwendung komme die Antikoagulation
nicht zum Tragen, so Rogliani. In einer Pilotstudie führte
die Inhalation von unfraktioniertem Heparin bereits nach
1 Woche zu einer Verbesserung der Lungenfunktion, zur
Reduktion von Air-Trapping und Dyspnoe sowie zu einer
höheren Belastbarkeit (11). Nun würden grosse klinische
Studien benötigt, um Sicherheitsfragen zu klären und die
Wirksamkeit mit statistisch grösserer Aussagekraft zu be-
stätigen.
s
Reno Barth
Quelle: ERS 2022, Session «Novel inhaled anti-inflammatory drugs and inhaled
monoclonal antibodies», am 4. September 2022 in Barcelona.
Referenzen: 1. Cazzola M et al.: Dual bronchodilation for the treatment of
COPD: From bench to bedside. Br J Clin Pharmacol. 2022;88(8):3657-3673. 2. Matera MG et al.: Pharmacology and Therapeutics of Bronchodilators Revisited. Pharmacol Rev. 2020;72(1):218-252. 3. Cazzola M et al.: The MABA approach: a new option to improve bronchodilator therapy. Eur Respir J. 2013;42(4):885-7. 4. Singh D et al.: The novel bronchodilator navafenterol: a phase 2a, multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled crossover trial in COPD. Eur Respir J. 2022;59(4):2100972. 5. Franciosi LG et al.: Efficacy and safety of RPL554, a dual PDE3 and PDE4 inhibitor, in healthy volunteers and in patients with asthma or chronic obstructive pulmonary disease: findings from four clinical trials. Lancet Respir Med. 2013;1(9):714-27 6. Ferguson GT et al.: A Dose-Ranging Study of the Novel Inhaled Dual PDE 3 and 4 Inhibitor Ensifentrine in Patients with COPD Receiving Maintenance Tiotropium Therapy. Int J Chron Obstruct Pulmon Dis. 2021;16:1137-1148. 7. Singh D et al.: A dose-ranging study of the inhaled dual phosphodiesterase 3 and 4 inhibitor ensifentrine in COPD. Respir Res. 2020;21(1):47. 8. Matera MG t al.: Prospects for COPD treatment. Curr Opin Pharmacol. 2021; 56:74-84. 9. Cahn A et al.: Safety, pharmacokinetics and dose-response characteristics of GSK2269557, an inhaled PI3Kδ inhibitor under development for the treatment of COPD. Pulm Pharmacol Ther. 2017; 46:69-77. 10. Begg M et al.: Exploring PI3Kδ Molecular Pathways in Stable COPD and Following an Acute Exacerbation, Two Randomized Controlled Trials. Int J Chron Obstruct Pulmon Dis. 2021;16:16211636. 11. Shute JK et al.: Inhaled nebulised unfractionated heparin improves lung function in moderate to very severe COPD: A pilot study. Pulm Pharmacol Ther. 2018;48:88-96.
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