Transkript
ERS
Pulmonale Hypertonie
Neue Empfehlungen für Diagnostik und Therapie
ERS und ESC haben ihre Leitlinie zu Diagnostik und Therapie der pulmonalen Hypertonie gründlich überarbeitet. Dabei wurde unter anderem der Schwellenwert für den Lungenhochdruck gesenkt. Ab einem mittleren Pulmonalisdruck von 20 mmHg kann nun eine pulmonale Hypertonie diagnostiziert werden. Neu sind spezifische Empfehlungen für Patienten mit pulmonalarterieller Hypertonie und kardialen oder pulmonalen Komorbiditäten.
Im Rahmen einer gemeinsamen Sitzung der European Society of Cardiology (ESC) und der European Respiratory Society (ERS) wurde die (bereits einige Tage zuvor am ESCKongress 2022 zum ersten Mal präsentierte) ERS-/ESC-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der pulmonalen Hypertonie (PH) im Detail besprochen (1). Eingangs räumte Prof. Marius M. Hoeper von der Medizinischen Hochschule Hannover mit dem Irrtum auf, PH sei eine seltene Krankheit: «Eine PH ist keineswegs selten, sondern betrifft rund 1 Prozent der Weltbevölkerung. In der älteren Bevölkerung sind sogar bis zu 10 Prozent betroffen.» Allerdings bestehen zwischen den verschiedenen Formen der PH ausgeprägte Unterschiede, auch hinsichtlich der Häufigkeit. Die in die aktualisierte Version der gemeinsamen Leitlinie von ERS und ESC weitgehend übernommene Klassifikation teilt den Lungenhochdruck in 5 Gruppen: 1. pulmonalarterielle Hypertonie 2. Lungenhochdruck, assoziiert mit Erkrankungen des lin-
ken Herzens 3. Lungenhochdruck, assoziiert mit chronischen Lungen-
erkrankungen 4. pulmonale Hypertonie, assoziiert mit Obstruktion der
Lungenarterie (CTEPD/CTEPH) 5. Lungenhochdruck mit unbekanntem oder multifaktoriel-
lem Hintergrund.
Neu an diesem Schema ist lediglich der Terminus «assoziiert mit» statt «infolge von». Hintergrund sei, so Hoeper, die mangelnde Evidenz in einigen wesentlichen Fragen. So sei beispielsweise eine kausale Zuordnung im Falle der Herzerkrankungen nicht gesichert. Die ganz grosse Mehrheit der Betroffenen fällt in die Gruppen 2 und 3, leidet also unter Grunderkrankungen des Herzens und/oder der Lunge. Im Gegensatz dazu umfassen die Gruppen 1 und 4 durchweg seltene Erkrankungen. Allerdings besteht die paradoxe Situation, dass diese seltenen Erkrankungen die einzigen Formen der PH sind, für die es spezifisch zugelassene und im Falle der CTEPH sogar potenziell kurative Therapien gibt.
Schwellenwert für den Pulmonalisdruck gesenkt
Die Gesamtzahl der PH-Patienten dürfte mit der neuen Leitlinie sogar weiter steigen, denn damit gilt ein neuer niedrigerer Grenzwert für den pulmonalarteriellen Druck, der nun bereits ab 20 mmHg (im Gegensatz zu bis anhin 25 mmHg) als Lungenhochdruck eingestuft wird. Hintergrund sind Studiendaten, die einen Anstieg der Mortalität ab einem pulmonalarteriellen Druck von 20 mmHg zeigen (2). Geändert wurden auch die Schwellenwerte für den Gefässwiderstand, anhand deren die Differenzierung zwischen prä- und postkapillärer PH vorgenommen wird. Bereits ab 2 Wood Units (WU) wird in der aktualisierten Leitlinie von einer präkapillären PH gesprochen. Dieser Änderung liegen ebenfalls aktuelle Studiendaten zugrunde, die darauf hinweisen, dass ein pulmonaler Gefässwiderstand über 2 WU die Überlebenswahrscheinlichkeit reduziert (3) und deshalb in diesem Bereich die Obergrenze des «Normalen» anzusiedeln ist. Mit der neuen Guideline kehrt der seit einigen Jahren nicht mehr verwendete Begriff der PH unter Belastung (Exercise PH) zurück. In diesem Fall beruht die Änderung auf Studienergebnissen, die zeigen, dass ein unter Belastung zu hoher Druck in der Lungenarterie sogar dann mit einem reduzierten Überleben assoziiert ist, wenn in Ruhe die Diagnosekriterien für eine PH nicht erfüllt werden (4).
Neuer Diagnosealgorithmus für die PAH
Eine relativ seltene Form der PH ist die idiopathische pulmonalarterielle Hypertonie (PAH). Ungeachtet ihrer Seltenheit steht für diese Erkrankung mittlerweile eine relativ grosse Zahl an zugelassenen Medikamenten aus mindestens 4 Substanzgruppen zur Verfügung. Für die PAH habe man einen neuen Diagnose- und Therapiealgorithmus entwickelt, so Prof. Marion Delcroix vom Universitätsspital Leuven in Belgien. Änderungen in den Empfehlungen betreffen zunächst die Diagnostik, die nun im Rahmen der Diagnosestellung einen Vasoreaktivitätstest mittels Rechtsherzkatheter vorsieht. Responder auf diesen Test können in der Folge mit einem Blocker behandelt werden und unter dieser Therapie dauerhaft
18 CongressSelection Allergologie | Pneumologie | Dezember 2022
ERS
stabil bleiben. Der Erfolg ist nach 3 bis 6 Monaten zu evaluieren. Bei Patienten mit PAH im Zusammenhang mit Bindegewebserkrankungen wird der Vasoreaktivitätstest nicht empfohlen, da diese Patientengruppe in der Regel nicht auf Kalziumkanalblocker anspricht. Ist der Test negativ oder ist das Ansprechen auf die Therapie nicht zufriedenstellend, sollen in einem nächsten Schritt kardiovaskuläre oder pulmonale Komorbiditäten diagnostiziert beziehungsweise ausgeschlossen werden. Dieser diagnostische Schritt ist neu und trägt der immer grösser werdenden Zahl älterer Menschen mit PAH Rechnung, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit relevante Komorbiditäten gefunden werden. Wenig geändert hat sich der empfohlene Therapiealgorithmus für (in der Regel jüngere) Patienten ohne Komorbiditäten. In dieser Population soll die medikamentöse Behandlung auf Basis einer Risikoabschätzung erfolgen, wobei ein Mortalitätsrisiko über 20 Prozent innerhalb eines Jahres ein hohes Risiko bedeutet. Dieser Wert wurde im Vergleich zur Vorgängerversion der Guideline erhöht, da Register bei Patienten mit ungünstigen Risikofaktoren eine höhere Mortalität zeigten als erwartet. Anzustreben ist ein niedriges Risiko, was einem Mortalitätsrisiko von weniger als 5 Prozent innerhalb eines Jahres entspricht. Die Risikoabschätzung erfolgt anhand von Charts, die im Vergleich zur Vorgängerversion der Leitlinie in einigen Details verändert wurden. Die generelle Empfehlung zur Antikoagulation ist gefallen. Patienten sollen nur noch antikoaguliert werden, wenn dafür eine klare Indikation besteht. Die PAH allein stellt keine Indikation zur Antikoagulation mehr dar.
PAH: Grosse Auswahl an Medikamenten und Kombinationsmöglichkeiten
Die derzeit für die Behandlung zugelassenen 14 Medikamente greifen jeweils in 1 von 3 relevanten Signalwegen ein: den Endothelin-Signalweg, den Prostazyklin-Signalweg und den NO-sGC-cGMP-Signalweg. Kombinationstherapien sind im Management der PAH die Regel, wobei immer Substanzen aus unterschiedlichen Wirkstoffklassen kombiniert werden sollten. Für die grosse Mehrzahl der Patienten wird bereits initial eine Kombination von 2 Substanzen gewählt. Die Evidenz zu dieser Frage ist allerdings begrenzt, weshalb die initiale Kombinationstherapie nur mit einer 1B-Empfehlung ausgewiesen wird. Bei hohem Risiko soll bereits initial mit einer 3-fachen Kombination inklusive eines parenteralen Prostazyklinanalogons begonnen werden. Patienten mit niedrigem oder intermediärem Risiko steigen in der Regel mit einer oralen 2-fachen Kombination aus einem PDE5-Inhibitor (PDE5i) und einem Endothelin-Rezeptor-Antagonisten (ERA) in die Therapie ein. Explizit nicht empfohlen wird eine initiale Kombinationstherapie von 3 oralen Optionen (Tadalafil, Macitentan und Selexipag).
Therapieüberwachung anhand von 3 Parametern
Die Erfolge der initialen Therapie sollen anhand von 3 Parametern, nämlich der WHO-Funktionsklasse, der 6-MinutenGehstrecke sowie des BNP oder des NT-proBNP, überwacht werden. Daraus ergeben sich 4 Risikogruppen: niedrig, mittelniedrig (intermediate low), mittelhoch (intermediate high) und hoch. Das einzig akzeptable Ziel ist das Erreichen des
Linktipp
Die neue Leitlinie zum PH-Management finden Sie direkt via QR-Code oder online unter
www.rosenfluh.ch/qr/ph-leitlinie
Niedrigrisikobereichs nach 3 bis 6 Monaten Therapie. Für alle anderen Patienten wird eine Eskalation der Therapie empfohlen. Das bedeutet für Patienten aus dem mittleren Niedrigrisikobereich, dass die duale Kombination von PDE5i/ERA entweder mit Selexipag zu einer oralen 3-fachen Kombination eskaliert werden kann oder dass der PDE5i durch Riociguat, einen Stimulator der löslichen Guanylatzyklase, ersetzt wird. In den Risikobereichen mittelhoch und hoch werden die zusätzliche Gabe eines parenteralen Prostazyklins und die Vorstellung an einem Transplantationszentrum empfohlen.
Empfehlungen für Patienten mit Komorbiditäten
Neu sind im Therapiealgorithmus der PAH eigene Empfeh-
lungen für Patienten mit kardiovaskulären oder pulmonalen
Komorbiditäten. Bei diesen multimorbiden und meist älteren
Patienten soll weniger aggressiv therapiert und initial eine
Monotherapie mit einem PDE5i oder einem ERA begonnen
werden. Wird mit dieser Medikation der niedrige Risikobe-
reich nicht erreicht, können weitere PAH-Medikamente auf
individueller Basis in Erwägung gezogen werden. Das ge-
schieht allerdings im weitgehend evidenzfreien Raum.
Für die zahlenmässig bedeutendsten Gruppen (PH mit Herz-
oder Lungenerkrankungen assoziiert) gibt es nach wie vor
kaum Therapieempfehlungen, die über das Management der
Grunderkrankung hinausgehen. Allerdings besteht erstmals
die schwache Empfehlung, bei Patienten mit PH, assoziiert
mit einer interstitiellen Lungenerkrankung (ILD), den Ein-
satz von inhalativem Treprostinil in Erwägung zu ziehen.
PDE5i können in spezialisierten Zentren bei Patienten mit
schwerer PH infolge einer ILD versucht werden. Darüber
hinaus sollen bei einer mit Herz- oder Lungenkrankheiten
assoziierten PH keine spezifischen PAH-Medikamente zum
Einsatz kommen.
s
Reno Barth
Quelle: ERS 2022, Session «Update on the diagnosis and treatment of pulmonary hypertension», 5. September 2022 in Barcelona.
Referenzen: 1. Humbert M et al.: 2022 ESC/ERS Guidelines for the diagnosis and
treatment of pulmonary hypertension. Eur Heart J. 2022;43(38):3618-3731. 2. Maron BA et al.: Association of Borderline Pulmonary Hypertension With Mortality and Hospitalization in a Large Patient Cohort: Insights From the Veterans Affairs Clinical Assessment, Reporting, and Tracking Program. Circulation. 2016;133(13):1240-8. 3. Maron BA et al.: Pulmonary vascular resistance and clinical outcomes in patients with pulmonary hypertension: a retrospective cohort study. Lancet Respir Med. 2020;8(9):873-884. 4. Ho JE et al.: Exercise Pulmonary Hypertension Predicts Clinical Outcomes in Patients With Dyspnea on Effort. J Am Coll Cardiol. 2020;75(1):17-26.
CongressSelection Allergologie | Pneumologie | Dezember 2022
19