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ERS
Interstitielle Lungenerkrankung
Exazerbationen unbedingt vermeiden
Auch wenn eine interstitielle Lungenerkrankung mit einer rheumatischen Erkrankung assoziiert ist, ist eine antifibrotische Therapie mit dem Tyrosinkinaseinhibitor Nintedanib in vielen Fällen die beste therapeutische Option. Diese kann zudem das Risiko von Exazerbationen vermindern. Und das ist angesichts der extrem hohen Mortalität dieser Ereignisse ein wichtiges therapeutisches Ziel.
Interstitielle Lungenerkrankungen (ILD) haben in rund 20 Prozent der Fälle eine Autoimmunerkrankung als Hintergrund. Diese Kombination ist prognostisch ungünstig und führt zu hoher Morbidität und Mortalität. Dabei kann die ILD die erste oder die einzige Manifestation der Autoimmunkrankheit sein. Bei einem grossen Teil der Betroffenen handelt es sich um Frauen unter 50 Jahren (1). ILD können mit praktisch allen rheumatischen Erkrankungen assoziiert sein. Unterschiedlich seien die Häufigkeiten sowie das klinische Bild, so Dr. Elisabeth Bendstrup vom Universitätsspital Aarhus. Mit bis zu 50 Prozent sind Patienten mit systemischer Sklerose am häufigsten von ILD betroffen. Das häufigste Bild ist in diesem Fall das einer nicht spezifischen interstitiellen Pneumonie (NSIP), bei 10 bis 20 Prozent der Patienten tritt eine prognostisch besonders ungünstige «usual interstitial pneumonia» (UIP) auf. Im Falle der rheumatoiden Arthritis ist eine interstitielle Lungenbeteiligung mit maximal 10 Prozent deutlich seltener, allerdings haben mindestens die Hälfte der Betroffenen eine UIP. Beim Lupus erythematodes ist eine interstitielle Lungenbeteiligung selten. Entzündlich rheumatische Erkrankungen werden in aller Regel mit immunmodulierenden bzw. immunsuppressiven Therapien behandelt. Im Falle einer interstitiellen Lungenbeteiligung seien diese Ansätze jedoch nur wenig wirksam, bzw. fehle dafür die Evidenz aus klinischen Studien, wie Bendstrup ausführte. Eine ILD stellt in seltenen Fällen sogar eine Komplikation einer immunsuppressiven Therapie dar.
Phänotyp der ILD entscheidend für das weitere Vorgehen
Von klinisch entscheidender Bedeutung sei die Frage nach dem Phänotyp der ILD, so Bendstrup. Wird eine ILD diagnostiziert, muss im nächsten Schritt evaluiert werden, ob es sich um eine stabile oder progrediente Erkrankung handelt, da sich daraus wichtige therapeutische Konsequenzen ergeben. Hat man es mit einer progredienten Erkrankung zu tun, ist eine Unterscheidung zwischen einem inflammatorischen und einem inflammatorisch fibrotischen Phänotyp zu treffen. Handelt es sich um einen inflammatorischen Phänotyp, empfiehlt Bendstrup eine immunmodulierende Therapie in Zusammenarbeit mit der Rheumatologie. Bei einem fibrotischen
Phänotyp kommen Antifibrotika ins Spiel. Darüber hinaus dürften auch nicht medikamentöse Massnahmen wie Rehabilitation oder Palliation am Lebensende nicht vergessen werden (2). Im Falle der ILD in Zusammenhang mit systemischer Sklerose (SSc-ILD) wird das Progressionsrisiko mit dem sogenannten Goh-Scores ermittelt, der anhand von Lungenfunktion und klinischen Parametern zwischen «limited disease» und «extensive disease» unterscheidet (3). Hinsichtlich der Therapie konnten in den beiden Scleroderma-Lung-Studien für Cyclophosphamid (4) und Mycophenolat (5) geringe, zeitlich begrenzte Effekte gezeigt werden. Für den Tyrosinkinaseinhibitor Nintedanib wurde in der SCENSIS-Studie im Vergleich zu Plazebo eine signifikante Reduktion des Verlusts an Lungenfunktion in der Grössenordnung von 50 Prozent demonstriert. Eine Subgruppenanalyse zeigte, dass dieser Effekt auch vor dem Hintergrund einer Therapie mit Mycophenolat gegeben ist (6). In der FocuSSced-Studie, die die Wirkung von Tocilizumab auf die Hautsymptomatik der SSc untersuchte (und ihren primären Endpunkt verfehlte), zeigte sich als Nebenbefund eine Stabilisierung der Lungenfunktion durch den gegen den IL-6-Rezeptor gerichteten Antikörper (7). Für das Antifibrotikum Pirfenidon wurde in einer Phase-II-Studie die Verträglichkeit in der Behandlung der SSc-ILD gezeigt. Auf dieser Basis wird nun die Kombination von Pirfenidon und Mycophenolat in der SclerodermaLung-Studie III untersucht (8). Zur ILD in Zusammenhang mit rheumatoider Arthritis (RA-ILD) liegen keine Daten aus randomisierten, kontrollierten Studien vor. Mehrere retrospektive Beobachtungsstudien wiesen, so Bendstrup, auf gewisse Effekte verschiedener Biologika hin, doch müssten diese Ergebnisse sehr vorsichtig interpretiert werden. In der randomisierten, kontrollierten INBUILD-Studie wurde Nintedanib in einer gemischten Population aus Patienten mit progredienten ILD unterschiedlicher Genese untersucht. In diese Studie waren auch Patienten mit RA-ILD eingeschlossen. Die Studie INBUILD zeigte eine Reduktion des Verlusts an Lungenfunktion um 57 Prozent und damit einen ähnlich grossen Effekt wie in den Indikationen idiopathische Lungenfibrose und SSc-ILD (9).
20 CongressSelection Allergologie | Pneumologie | Dezember 2022
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Katastrophale Prognose nach Exazerbationen von ILD
Nintedanib hat zudem den Vorteil, dass es die Inzidenz von Exazerbationen reduziert (10) und darüber hinaus deren Prognose verbessert (11). Das ist insofern von grosser Bedeutung, wie akute Exazerbationen von ILD katastrophale Ereignisse sind, die in der Regel zu irreversiblen Verschlechterungen der Erkrankung oder zum Tod des Patienten führen. Die 1-Jahres-Mortalität beträgt bei ILD-Patienten im ersten Jahr nach einer akuten Exazerbation 80 bis 90 Prozent, das mediane Überleben beträgt 2,2 Monate. Jeder zweite Betroffene versterbe bereits während der Exazerbation im Krankenhaus, wie Prof. Dr. Martin Kreuter von der Universität Heidelberg ausführt. Von einer akuten ILD-Exazerbation spricht man, wenn es innerhalb eines Monats zu einer deutlichen Zunahme der Dyspnoe kommt, die von einer entsprechenden Verschlechterung in der Bildgebung begleitet wird und diese nicht durch Herzversagen oder Ödem erklärt werden kann (12). In der INBUILD-Studie kam es innerhalb eines Jahres bei 8,7 Prozent der Patienten zu Exazerbationen. Die Prognose war mit einer Mortalität von 37 Prozent innerhalb von 180 Tagen sehr ungünstig. Akute Exazerbationen können auf verschiedene Trigger, wie zum Beispiel Infektionen, zurückzuführen sein oder ohne bekannte Ursache auftreten. Potenzielle Trigger sollten deshalb vermieden werden. Das bedeutet unter anderem Impfungen (Influenza, Pneumokokken) und nach Möglichkeit die Vermeidung thoraxchirurgischer Eingriffe. Letzteres kann insbesondere beim Auftreten eines Lungenkarzinoms zum Dilemma werden. Im Rahmen akuter Exazerbationen werden sowohl eine Zunahme der bakteriellen Besiedelung als auch eine Verschiebung im Spektrum vorhandener Bakterien beobachtet. Ob eine Antibiose einen protektiven Effekt hat, ist unklar. Ebenso unklar sind mangels Evidenz aus klinischen Studien sinnvolle Strategien zur Behandlung dieser Ereignisse. In internationalen Guidelines wird auf Basis von Expertenmeinungen eine schwache Empfehlung für den Einsatz von Steroiden gegeben. Allerdings fehlen sämtliche Empfehlungen zu Dosis, Behandlungsdauer oder Applikationsweg. Es gibt keine Empfehlungen zu einer Anpassung der antifibrotischen Therapie. Eine vor rund 10 Jahren durchgeführte Befragung zeigte, dass praktisch alle Behandler Steroide einsetzten, dass daneben aber auch Antibiotika bzw. eine Immunsuppression mit Cyclophosphamid zum Einsatz kam (13). Zwischen einzelnen Ländern dürften erhebliche Unterschiede bestehen, ein internationaler Konsensus fehlt.
Phase II: Halb synthetisches Opioid gegen Husten bei ILD
Eine im Rahmen des diesjährigen ERS-Kongresses präsentierte Studie gibt Hoffnung, dass sich ein sehr unangenehmes Symptom, unter dem viele ILD-Patienten leiden, in Zukunft besser beherrschen lassen könnte: der chronische Husten. Dieser sei klinisch sehr relevant und habe einen deutlich un-
günstigen Effekt auf die Lebensqualität der Betroffenen, so
Prof. Dr. Toby Maher vom Imperial College, London.
Maher präsentierte die Ergebnisse einer Phase-II-Studie mit
Nalbuphin, einem halb synthetischen Opioid, das agonis-
tisch an κ-Opioidrezeptoren und partiell antagonistisch an
µ-Opioidrezeptoren wirkt. Die randomisierte, plazebokon-
trollierte, doppelblinde Cross-over-Studie mit dem primären
Endpunkt «Veränderung der stündlichen Hustenfrequenz
während des Tages» zeigte innerhalb der ersten 22 Tage eine
Reduktion dieser Hustenfrequenz um 77,3 Prozent. Zwar
wurde auch ein erheblicher Plazeboeffekt beobachtet, doch
betrug die Differenz von Verum zu Plazebo immer noch 51,6
Prozent (p < 0,0001). Eine Analyse der Responder zeigte, dass nur Patienten der Verumgruppe (42%) eine Reduktion der Hustenfrequenz um 75 Prozent erreichten. Die (antifibro- tische) Hintergrundtherapie hatte keinen Einfluss auf die Wirksamkeit von Nalbuphin. Es traten keine neuen oder unerwarteten Sicherheitssignale auf (14). s Reno Barth Quelle: ERS 2022, State of the Art Session «Interstitial Lung Disease», am 5. Sep- tember in Barcelona; Posterpräsentationen. Referenzen: 1. Lederer DJ et al.: Idiopathic Pulmonary Fibrosis. N Engl J Med. 2018;378(19):1811-1823. 2. Kreuter M et al.: Palliative care in interstitial lung disease: living well. Lancet Respir Med. 2017;5(12):968-980. 3. Goh NS et al.: Interstitial lung disease in systemic sclerosis: a simple staging system. Am J Respir Crit Care Med. 2008;177(11):1248-54. 4. Tashkin DP et al.: Cyclophosphamide versus placebo in scleroderma lung disease. N Engl J Med. 2006;354(25):2655-66. 5. Tashkin TP et al.: Mycophenolate mofetil versus oral cyclophosphamide in scleroderma-related interstitial lung disease (SLS II): a randomised controlled, double-blind, parallel group trial. Lancet Respir Med. 2016;4(9):708-719 6. Distler O et al.: Nintedanib for Systemic Sclerosis-Associated Interstitial Lung Disease. N Engl J Med. 2019;380(26):2518-2528. 7. Khanna D et al.: Tocilizumab in systemic sclerosis: a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet Respir Med. 2020;8(10):963-974 8. Khanna D et al.: An Open-label, Phase II Study of the Safety and Tolerability of Pirfenidone in Patients with Scleroderma-associated Interstitial Lung Disease: the LOTUSS Trial. J Rheumatol. 2016;43(9):1672-9. 9. Flaherty KR et al.: Nintedanib in Progressive Fibrosing Interstitial Lung Diseases. N Engl J Med. 2019;381(18):1718-1727. 10. Richeldi L et al.: Nintedanib in patients with idiopathic pulmonary fibrosis: Combined evidence from the TOMORROW and INPULSIS(®) trials. Respir Med. 2016;113:74-9. 11. Collard HR et al.: Acute exacerbations in the INPULSIS trials of nintedanib in idiopathic pulmonary fibrosis. Eur Respir J. 2017;49(5):1601339. 12. Collard HR et al.: Acute exacerbations of idiopathic pulmonary fibrosis. Am J Respir Crit Care Med. 2007;176(7):636-43. 13. Antoniou KM et al.: Acute exacerbations of idiopathic pulmonary fibrosis. Respiration. 2013;86(4):265-74. 14. Maher T et al.: Late Breaking Abstract – An interim analysis of a phase 2 trial evaluating oral nalbuphine extended release for treating chronic cough in idiopathic pulmonary fibrosis. Presented at ERS 2022, Barcelona CongressSelection Allergologie | Pneumologie | Dezember 2022 21