Transkript
FORTBILDUNG
Eingewachsene Zehennägel
Nagelextraktion und Keilexzision sind «out»
Bei eingewachsenen Zehennägeln wird sehr oft unkritisch ein chirurgischer Eingriff, meist eine Keilexzision, durchgeführt. Dies führt häufig zu entstellenden ästhetischen Resultaten und Rezidiven. Stattdessen ist es wichtig, zunächst die Ursache des Einwachsens abzuklären, um dann gezielt behandeln zu können. Nur bei einer deformierten Nagelplatte als Ursache der Beschwerden ist ein operativer Eingriff am Nagel selbst indiziert.
SEVERIN LÄUCHLI UND CHRISTOPH RIESS
Traumatisierung und Entzündung des seitlichen Nagelwalls Besonders bei jüngeren Patienten sind eingewachsene Zehennägel mit breiten, aber normal geformten Nagelplatten, mit hypertrophen seitlichen Nagelwällen und meist mit akuter bakterieller Paronychie und wucherndem Granulationsgewebe häufig (1) (Abbildung 1). Es handelt sich dabei in der Regel um einen chronischen Staphylokokkeninfekt, der durch Druck in den seitlichen Nagelwall durch den Nagel unterhalten wird. Der primäre Auslöser ist häufig ein falsches Schneiden der Nägel. Durch rundes Zurückschneiden entsteht im seitlichen Nagelfalz eine Nagelecke oder -spitze, welche sich in den Nagelwall einbohrt. Die beste Prophylaxe sind nicht zu kurz und gerade geschnittene Zehennägel.
Obwohl die Nägel weniger als 1 Prozent der Oberfläche des menschlichen Integuments ausmachen, sind gesunde Nägel ein wichtiger Bestandteil des Wohlbefindens. Eines der häufigsten Nagelprobleme sind eingewachsene Zehennägel, welche durch falsches Schneiden der Nägel, Verletzungen, enges Schuhwerk oder eine Deformierung der Nagelplatte verursacht werden. Dabei unterscheidet man verschiedene Formen von eingewachsenen Zehennägeln.
Merksätze
O Bei normal geformter Nagelplatte ist ein destruktiver operativer Eingriff an der Nagelplatte nicht indiziert.
O Bei Infektion und Nagelwallwucherung muss mit nichtdestruierenden Massnahmen wie Freilegen der Nagelplatte, gezieltem Débridement und suffizienter antibiotischer Therapie behandelt werden.
O Nur bei einer Deformität der Nagelplatte ist ein chirurgischer Eingriff mit Entfernung der seitlichen Matrixhörner und somit bleibender Verschmälerung der Nagelplatte indiziert.
O Die Phenol-Kauterisierung ist eine gute Alternative zur noch immer viel zu häufig durchgeführten Keilexzision.
O Die vollständige Nagelextraktion ist lediglich indiziert bei der seltenen Retronychie, in allen anderen Fällen ist sie obsolet.
Vermehrte Krümmung der Nagelplatte Vor allem bei eher älteren Patienten ist die Hyperkurvatur der Nagelplatte, im Extremfall der Zangennagel (pincer nail), das häufigere Krankheitsbild (2) (Abbildung 2). Dabei führt die verformte Nagelplatte unter dem Druck des Schuhwerks zu einer chronischen Reizung des Nagelwalls. Eine mögliche Ursache für die Hyperkurvatur ist eine zu breite Nagelmatrix. Diese kann zum Beispiel durch knöcherne Appositionen bei Arthrose in die Breite gezogen werden, wodurch sich der Nagel distal verstärkt krümmt. Aber auch chronischer Druck, vor allem durch enge Schuhe, kann die Nagelplatte irreversibel verformen. So sind verkrümmte Nagelplatten bei Frauen viel häufiger als bei Männern. Bei Kindern können verformte Nagelplatten im Rahmen eines «congenital malalignement», also einer angeborenen Achsendeviation des Zehennagels auftreten (3). Bei Patienten mit deformierten Nagelplatten besteht meistens nicht das Bild der akuten Paronychie mit wucherndem Granulationsgewebe, sondern man findet hier einen sehr druckdolenten, aber sonst weitgehend unauffälligen Nagelwall und nur gelegentlich auch entzündliche Erscheinungen. Natürlich sind aber auch Kombinationen von Nagelplattenverformung, Infektion und Weichteilwucherungen möglich. Wegen der enormen Schmerzhaftigkeit kann oft erst nach dem Setzen einer lokalen Anästhesie die Ursache durch Exploration des Nagelfalzes erkannt werden. Unter dieser Anästhesie kann vielfach die Behandlung begonnen werden.
Ursachenorientierte Therapie Bei der Form des eingewachsenen Zehennagels mit akuter infektiöser Paronychie und Hypergranulation stehen das Freilegen der Nagelplatte mit Entfernung des Granulations-
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Abbildung 1: Eingewachsener Zehennagel mit chronischem Staphylokokkeninfekt und Hypergranulationsgewebe
Abbildung 3: Entfernung eines schmalen Nagelstreifens unter Mitnahme des Matrixhorns vor Phenolisierung
gewebes und die suffiziente antibioti-
sche Behandlung im Vordergrund.
Diese Therapie ist oft über mehrere
Wochen notwendig.
Die Nagelplatte wird in Lokalanäs-
thesie freigelegt. Am einfachsten ent-
fernt man das Granulationsgewebe
elektrochirurgisch. Gelegentlich muss
aber der ganze hypertrophe Nagel-
wall exzidiert werden (4). Findet man
eine kurz zurückgeschnittene Nagel-
ecke als Ursache der Beschwerden,
kann diese in Lokalanästhesie ent-
weder mit einem kleinen Stück Gaze
unterfüttert werden, oder es kann ein
Plastikröhrchen als seitliche Schie-
Abbildung 2: Verstärkte Krümmung der Nagelplatte, die zu schmerzhaftem Einwachsen führt
nung unter den Nagel geschoben werden, um ein gerades Vorwachsen des Nagels ohne punktuellen Druck in den seitlichen Nagelwall zu ermöglichen (Gutter-Splint-Technik) (5).
Die Wahl des Antibiotikums für eine Behandlung über län-
gere Zeit muss immer erreger- und resistenzgerecht sein. Ein
bakteriologischer Abstrich vor Beginn der antiinfektiösen
Behandlung ist deshalb unerlässlich. Neben den häufigen
Staphylokokken sind auch immer wieder Pseudomonas und
Streptokokken die auslösenden Keime. Dieses Behandlungs-
konzept erfordert meistens viel Geduld. Der Lohn dafür ist
aber eine vollständige, meist narbenfreie Restitutio ad inte-
grum mit intakter, schöner Nagelplatte.
Abbildung 4: Verödung des lateralen Matrixhorns durch Phenolisierung
Obsolete Therapien Von vielen Ärzten wird bei Vorliegen von eingewachsenen Zehennägeln rasch eine Keilexzision oder Emmert-Plastik durchgeführt. Bei dieser recht anspruchsvollen Operation werden in einem Block der seitliche Teil des Nagels mitsamt Nagelmatrix und ein Teil des Nagelwalls exzidiert und der Defekt wird mit einigen Stichen vernäht oder offen gelassen. Die Folge dieser mutilierenden Operation ist ein verschmälerter, oft entstellter Nagel und eine Hautnarbe im proximalen Nagelwall. Oft wird bei dieser Operation die Matrix nur
unvollständig exzidiert. Ausgehend von einem Matrixrest kann ein bizarr geformter Spickel wie ein kleiner Nagel aus dem seitlichen Nagelwall wachsen, oder die Reste der Matrix verursachen im Bereich der Nagelwurzel noch nach Jahren Fremdkörperreaktionen. Die postoperativen Beschwerden nach einer Keilexzision sind beträchtlich. Meist sind starke Analgetika und eine Ruhigstellung während mehrerer Tage bis Wochen nötig. Wegen besserer Behandlungsmethoden ist dieser Eingriff obsolet geworden (1). Auch eine vollständige Nagelextraktion ist
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zur Behandlung eines eingewachsenen Zehennagels fast nie indiziert. Durch diesen Eingriff wird die Nagelwurzel so traumatisiert, dass der nachwachsende Nagel verdickt und verkrümmt nachwächst. Die nachwachsende Nagelplatte wächst zudem häufig wieder in den distalen Nagelwall ein. Die vollständige Nagelextraktion ist lediglich indiziert bei der seltenen Retronychie, bei welcher die Nagelplatte nach Ablösung von der Matrix durch Druck auf den distalen Nagelrand eine Entzündung des proximalen Nagelwalls verursacht (6), und bei massiv krallenförmig verdickten, traumatisch geschädigten Nägeln (Onychogrypose). In letzterem Fall muss aber auch die gesamte Nagelmatrix exstirpiert werden.
Die Phenol-Kauterisierung Eine gute Alternative zur Keilexzision ist die Kaustik der seitlichen Nagelmatrixhörner mit Phenol (7, 8). Phenolum liquefactum (mit 12% Wasser verflüssigtes Phenol) hat neben stark desinfizierenden auch kaustische und proteindenaturierende Eigenschaften. Die Phenolisierung wird in Lokalanästhesie durchgeführt, wobei sich die Wing-Block-Technik am besten eignet. Dabei wird das Lokalanästhetikum mit Adrenalinzusatz im Bereich des proximalen und seitlichen Nagelwalls injiziert (9). Ein schmaler seitlicher Nagelstreifen wird mit einer schmalbackigen Nagelzange (Englisch: nail nipper) so abgetrennt, dass mit der Zange auch das seitliche Matrixhorn luxiert werden kann (Abbildung 3). Dazu muss der proximale Nagelwall nicht inzidiert werden. In die durch die Teilextraktion der Nagelplatte entstandene Höhle, am Ort des Matrixhorns, wird mit dünnen Wattestäbchen Phenol während mehrerer Minuten eingerieben (Abbildung 4). Dadurch wird die Matrix an dieser Stelle definitiv chemisch zerstört. Wegen der schmerzstillenden Wirkung von Phenol genügen postoperativ meistens eine oder zwei Dosen eines nichtsteroidalen Antirheumatikums als Schmerzbehandlung, und der Patient kann nach ein bis zwei Tagen wieder weitgehend ohne Einschränkung gehen. Die entstandene Nekrosehöhle muss während zwei bis drei Wochen antiseptisch behandelt werden. Antibiotika sind nur bei vorbestehendem Infekt nötig. Das Resultat ist ein im Vergleich zur Keilexzision weniger stark verschmälerter Nagel bei deutlich geringeren postoperativen Beschwerden. In einer Cochrane Review konnte zudem gezeigt werden, dass die Rezidivraten nach Phenol-Kauterisierung deutlich geringer sind als nach Keilexzisionen (10).
Korrekte Indikationsstellung
Das wichtigste Element für eine erfolgreiche Behandlung bei
einem eingewachsenen Zehennagel ist die korrekte Indikati-
onsstellung. Bei normal geformter Nagelplatte, wie dies bei
Patienten unter 30 Jahren mit akutem Krankheitsbild meis-
tens der Fall ist, ist ein destruktiver operativer Eingriff an der
Nagelplatte nicht indiziert. Fälle mit Infektion und Nagel-
wallwucherung müssen mit nichtdestruierenden Massnah-
men wie Freilegen der Nagelplatte, gezieltem Débridement
und suffizienter antibiotischer Therapie behandelt werden.
Nur bei einer Deformität der Nagelplatte ist ein chirurgischer
Eingriff mit Entfernung der seitlichen Matrixhörner und
somit bleibender Verschmälerung der Nagelplatte indiziert.
Die relative Beschwerdearmut der Patienten nach einer
Phenol-Kauterisierung darf also nicht dazu verleiten,
wiederum undifferenziert diesen Eingriff bei jedem Fall von
eingewachsenen Zehennägeln durchzuführen.
O
Korrespondenzadresse: Dr. med. Severin Läuchli, Zürich Dermatologische Klinik, UniversitätsSpital Zürich
8091 Zürich
E-Mail: severin.laeuchli@usz.ch
Interessenkonflikte: keine deklariert
Literatur: 1. Haneke E: Controversies in the treatment of ingrown nails. Dermatol Res Pract 2012;
2012: 783–924. 2. Baran R et al.: Pincer nails: definition and surgical treatment. Dermatol Surg 2001;
27(3): 261–266. 3. Wagner G, Sachse MM: Congenital malalignment of the big toe nail. J Dtsch Dermatol
Ges 2012; 10(5): 326–330. 4. Noel B: Surgical treatment of ingrown toenail without matricectomy. Dermatol Surg
2008; 34(1): 79–83. 5. Arai H et al.: Formable acrylic treatment for ingrowing nail with gutter splint and
sculptured nail. Int J Dermatol 2004; 43(10): 759–765. 6. Zaraa I et al.: Retronychia: a rare cause of chronic paronychia. Dermatol Online J 2012;
18(6): 9. 7. Di Chiacchio N et al.: Nail matrix phenolization for treatment of ingrowing nail:
technique report and recurrence rate of 267 surgeries. Dermatol Surg 2010; 36(4): 534–537. 8. Richert B: Surgical management of ingrown toenails – an update overdue. Dermatol Ther 2012; 25(6): 498–509. 9. Noel B: Anesthesia for ingrowing toenail surgery. Dermatol Surg 2010; 36(8): 1356–1357. 10. Eekhof JA et al.: Interventions for ingrowing toenails. Cochrane Database Syst Rev 2012; 4: CD001541.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 8/2014. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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