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BERICHT
Therapie chronischer Abdominalschmerzen
Balance zwischen Wirkung und Nebenwirkung finden
Foto: zVg
Gastrointestinale Schmerzen sind häufig bei Patienten mit Reizdarmsyndrom, Morbus Crohn oder Pankreatitis. Der Schmerz kann nozizeptiv, neuropathisch oder tumorbedingt sein, dabei können aber auch mehrere Schmerztypen gleichzeitig beteiligt sein. Deshalb kann ein individuell abgestimmtes multimodales Vorgehen bei der Therapie sinnvoll sein.
Akute abdominale Schmerzen haben ihren Ur-
sprung häufig in Entzündungen, die über
Ödembildung zu Obstruktionen und dem ent-
sprechenden Schmerzsignal führen. Sucht der
Patient aufgrund seiner akuten Schmerzen die
Notfallstation auf oder treten die akuten
Schmerzen als Folge eines chirurgischen Ein-
griffs auf, sind zur Analgesie intravenös Para-
cetamol, Metamizol oder ein Opioid die Medi-
Prof. Asbjörn Mohr Drewes
kamente der Wahl. Bei stärkeren Schmerzen sollte eine Kombination von Analgetika mit
Opioiden in Betracht gezogen werden. Sie verbessern das
Schmerzmanagement und beeinträchtigen weder Diagnose
noch Therapie (1). Eine adäquate Therapie von akuten
Schmerzen sei wichtig, denn wiederholte Schmerzattacken
könnten zu einer Sensibilisierung der Neuronen und zu einer
Chronifizierung der Schmerzen führen (2), betonte der Gastro-
enterologe und Schmerzexperte Prof. Asbjörn Drewes,
Aalborg University Hospital (DK), an der letzjährigen United
European Gastroenterology Week.
Vorgehen bei chronifizierten Schmerzen
Bei chronischen Abdominalschmerzen folgt das Vorgehen einem multimodalen Ansatz, dabei sind medikamentöse Therapien ein Teil davon. Beispielsweise sind bei einer chronischen Pankreatitis die Schmerzen nicht mehr Ausdruck der Entzündung allein, sondern der zwischenzeitlich entstande-
KURZ & BÜNDIG
� Akute Schmerzen intravenös analgesieren. � Akute Schmerzen adäquat oral therapieren, um eine Chroni-
fizierung zu verhindern. � Bei chronischen Schmerzen die Analgesie den Nebenwirkun-
gen anpassen und stufenweise eskalieren. � Psychologische Symptome früh behandeln, um die Lebens-
qualität zu steigern.
nen Neuropathie, die über eine zentrale Sensibilisierung zu einer «Verselbstständigung» der Schmerzreize führt. Analgetika sind wirksame Mittel, doch wird der Einsatz durch ihre Nebenwirkungen limitiert: Paracetamol wirkt in hohen Dosen hepatotoxisch, Opioide verändern den Lebermetabolismus und die Motilität in Magen und Darm und haben ein Abhängigkeitspotenzial, trizyklische Antidepressiva (TZA) und Gabapentinoide führen, bezogen auf den Gastrointestinaltrakt, ebenfalls zu einer Dysmotilität, und nicht steroidale Antiphlogistika (NSAID) können unter anderem Magenulzera induzieren. Die Therapie von chronischen Schmerzen sei demzufolge immer eine Balance zwischen Wirkung und Nebenwirkung (3), so Drewes. Bei chronifizierten Schmerzen kommt es auch gar nicht mehr so darauf an, woher die Schmerzen kommen – Schmerz ist Schmerz. Für die Linderung der Schmerzen können deshalb auch Verfahren herangezogen werden, die bei anderen Schmerzpatientengruppen etwas bringen, wie beispielsweise bei Rückenschmerz- oder bei Pankreaskarzinom-Schmerzpatienten (Tabelle). Dabei sollen ebenso psychologische Symptome wie Angst und Depression einbezogen werden sowie sekundäre Schmerzursachen, die beispielsweise von den Nebenwirkungen der eingesetzten Therapien ausgehen (4).
Strategie je nach Ursprung
Bei funktionellen Schmerzen schlägt der Experte als Erstes den Einsatz von Paracetamol vor. Bei ungenügender Wirkung soll ein Therapieversuch mit Spasmolytika und im Fall eines obstipationslastigen Reizdarmsyndroms mit Linaclotid folgen. TZA oder Serotonin-Noradrenalin-WiederaufnahmeHemmer (SNRI) und eventuell Gabapentinoide können als weitere Schritte versucht werden, gefolgt von einer kognitiven Verhaltenstherapie oder komplementären Verfahren. Opioide setzt Drewes bei funktionellen Schmerzen nicht ein. Diese wirkten zwar gut, seien aber wegen ihrer Nebenwirkungen und des Abhängigkeitspotenzials problematisch. Bei unspezifischen organischen und neuropathischen chronischen Schmerzen sollte eine Optimierung des Lebensstils und des Ernährungsstatus am Anfang stehen. Sollte eine medikamentöse Therapie nötig werden, können Paracetamol und NSAID eingesetzt werden, bei ungenügendem Erfolg folgt
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BERICHT
Tabelle:
Orale Schmerztherapie beim Pankreaskarzinom
Substanzklasse Beispiel
Bemerkungen
Nichtopioide
Paracetamol, 1-mal 4 g
bei milden Schmerzen, evtl. auch Metamizol
Schwache Opioide Tramadol retard, 50–200 mg, 2-mal/Tag
Codein und Tramadol potenzieren den Effekt von Nichtopioidanalgetika.
Starke Opioide
Oxycodon retard, initial 15 mg, 2-mal/Tag
bei Tumorschmerzen ist die Abhängigkeit sekundär, cave Hyperalgesie bei Dosiseskalation
Antikonvulsiva
Pregabalin, von 75 auf 300 mg titriert, 2-mal/Tag anfänglich vorübergehend Schläfrigkeit und Schwindel möglich
TZA Amitriptylin, 10–50 mg zur Nacht
Effekt erst nach mehreren Wochen, bei Ausbleiben ein anderes TZA versuchen
SSRI
Citalopram, auf 40 mg titriert, zur Nacht
bei komorbider Angst oder Depression
SNRI
Duloxetin, auf 120 mg titriert, zur Nacht
bei komorbider Angst oder Depression und bei Verdacht auf neuropathische Schmerzen
Anxiolytika
Diazepam, 5 mg, 3-mal/Tag
bei Angst
Antipsychotika
Levomepromazin, auf 100 mg titriert, 1-mal/Tag kann den analgetischen Effekt bei bestimmten Patienten
verstärken
NMDA-Inhibitoren Ketamin, auf 50 mg titriert, 3-mal/Tag
Nebenwirkungen limitieren den Einsatz
Cannabinoide
als zusätzliche Schmerztherapie und nützlich bei Nausea, für Appetit und Schlaf
Abkürzungen: TZA: trizyklische Antidepressiva; SSRI: selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer; SNRI: Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer; NMDA: N-Methyl-D-Aspartat Quelle: mod. nach (4)
ein Versuch mit TZA, SNRI oder Gabapentinoiden. Ist die
Schmerzlinderung noch immer unzureichend, sind schwache
Opioide eine Option, eventuell intermittierend auch starke.
Hierbei sollten Zeichen für Abhängigkeit und opioidindu-
zierte Hyperalgesie monitorisiert werden.
Bei chronischen Tumorschmerzen steht die psychologische
Unterstützung am Anfang der Eskalation, gefolgt von Para-
cetamol, NSAID oder Metamizol bei selektionierten Patien-
ten. SNRI oder Gabapentinoide bilden die nächste Stufe,
eventuell mit kognitiver Verhaltenstherapie. Opioide zusam-
men mit Laxativa sind die nächste Option, dabei kann eine
Opioidrotation zusammen mit Neuromodulation oder chir-
urgischem Eingriff den Effekt verstärken oder aufrechterhal-
ten.
Bei all diesen Massnahmen sei das Ansprechen individuell,
wie auch das Auftreten von Nebenwirkungen, so Drewes.
Angst- und Depressionssymptome und Schlafstörungen sind
bei chronischen Schmerzen häufige Begleiter. Sie beeinträch-
tigten die Lebensqualität sehr stark, so Drewes. Weil diese
Art von Symptomen modifizierbar ist, sollte eine entspre-
chende Therapie erfolgen. Bei Patienten mit Tumorerkran-
kungen bringen psychologische Interventionen am Anfang
der Erkrankung einen grösseren Nutzen als in fortgeschritte-
nen Stadien (5).
s
Quelle: United European Gastroenterology Week (UEGW), 3. bis 5. Oktober 2021, virtuell.
Referenzen: 1. Falch C et al.: Treatment of acute abdominal pain in the emergency
room: a systematic review of the literature. Eur J Pain. 2014;18(7):902913. 2. Arendt-Nielsen L et al.: Assessment and manifestation of central sensitisation across different chronic pain conditions. Eur J Pain. 2018;22(2):216241. 3. Andresen T et al.: Pharmacological management of chronic pain: How to deal with the catch-22 situation. J Curr Med Res Opin. 2021;4(2):773-792. 4. Drewes AM et al.: Pain in pancreatic ductal adenocarcinoma: A multidisciplinary, international guideline for optimized management. Pancreatology. 2018;18(4):446-457. 5. Drewes AM et al.: Gastrointestinal pain. Nat Rev Dis Primers. 2020;6(2); doi:10.1038/s41572-019-0135-7.
Valérie Herzog
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