Transkript
ARGUS PHARMAKOTHERAPIE
Berichte, Studien, Innovationen
Mehr lebenswerte Zeit für Patienten mit Reizblase
Beta-3-Adrenozeptoren-Stimulation als neuer Therapieansatz
Die Symptome der Reizblase haben für die
Betroffenen einschneidende soziale Aus-
wirkungen. Zu den bisherigen Antimuskari-
nika mit ihren bekannten Nebenwirkungen
gesellt sich neu die Wirkstoffklasse der
Beta-3-Adrenozeptoren, die mit dem An-
spruch überlegener Wirksamkeit und Ver-
träglichkeit antreten. Ein erster Vertreter ist
jetzt auch in der Schweiz verfügbar.
Rund 20 Prozent der älteren Frauen haben eine Harninkontinenz. Von Inkontinenz Betroffene erleiden signifikant häufiger Stürze. Menschen mit Reizblase (overactive bladder syndrome, OAB) belasten mit häufigen Toilettenbesuchen nicht nur sich selbst, sondern auch ihr familiäres Umfeld. Unter den vielfältigen weiteren OAB-Auswirkungen fällt auch die Beeinträchtigung des Schlafs mit Müdigkeit tagsüber ins Gewicht. Volkswirtschaftlich ist die Inkontinenz ein gewichtiger Kostenfaktor, im Gesundheitswesen schlagen ein 30 bis 50 Prozent höheres Hospitalisationsrisiko und um 20 Prozent häufigere Arztkontakte zu Buche. «OAB darf keinesfalls als Lifestyleproblem abgetan werden, denn es hat Auswirkungen auf Komorbiditäten, Familienleben, Gesundheitskosten und Lebensqualität», betonte PD Dr. med. Annette Kuhn, Frauenklinik, Leiterin Urogynäkologie, Inselspital Bern. Angesichts der Schwere des medizinischen Problems ist jede Erweiterung der therapeutischen Optionen willkommen.
Was erwartet man von neuen OAB-Medikamenten? Von einem guten OAB-Medikament erwartet man eine Reduktion des Harndrangs, der Inkontinenzepisoden und der Miktionsfrequenz tagsüber und nachts sowie eine Vergrösserung der Blasenkapazität. Ausserdem sollte es keine typischen anticholinergen Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Obstipation und Sehstörungen aufweisen, erklärte Prof. Dr. med. Gabriel Schär, Chefarzt Frauenklinik, Kantonsspital Aarau. Mirabegron (Betmiga®) als selektiver Beta3-Adrenozeptor-Agonist repräsentiert ein neues Wirkprinzip, das diesen Anforderungen entspricht.
Mirabegron in klinischen Studien Das klinische Studienprogramm mit Mirabegron umfasste 41 klinische Studien mit 10 552 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. In zwei Phase-III-Studien wurde Mirabegron bei OAB-Patienten klinisch kontrolliert überprüft. In SCORPIO erhielten die 4 Behandlungsgruppen entweder täglich Mirabegron 50 oder 100 mg, retardiertes Tolterodin 4 mg oder Plazebo (1). In CAPRICORN wurden 2 Dosierungen von Mirabegron (25 mg und 50 mg pro Tag) mit Plazebo verglichen (2). In beiden Studien waren Frauen entsprechend der Prävalenz des Krankheitsbildes übervertreten (SCORPIO: 72%, CAPRICORN: 68,5%), das Durchschnittsalter betrug 59 Jahre, Hauptsymptome waren Harndrang oder häufige Blasenentleerungen oder beides zusammen, rund die Hälfte hatten zuvor eine andere medikamentöse Behandlung versucht, die rund zwei Drittel wegen ungenügender Wirksamkeit und ein Viertel wegen schlechter Verträglichkeit abgebrochen hatten. Die Beobachtungszeit betrug jeweils 12 Wochen. Als Zusammenfassung der Phase-III-Studien resümierte Schär: «Die erhofften Wirkungen von Mirabegron haben sich bestätigt.» Die Therapie führte zu einer signifikanten Reduktion des Harndrangs, der Inkontinenzepisoden sowie der Miktionsfrequenz am Tag und während der Nacht. Zudem war eine signifikante Erhöhung des Entleerungsvolumens festzustellen. Sowohl auf der visuellen Analogskala als auch in den Scores eines Fragebogens zur OABSymptomatik liess sich eine signifikante Verbesserung der Beschwerden und der Therapiezufriedenheit nachweisen.
Nebenwirkungsprofil ähnlich wie unter Plazebo Unter den bei Reizblase bisher verfügbaren Antimuskarinika ergäben sich häufig Therapieprobleme, sodass die Abbruchrate nach 6 Monaten bei rund 50 Prozent liege, berichtete Prof. Dr. med. Volker Viereck, Chefarzt Urogynäkologie, Kantonsspital Frauenfeld. Gründe für das Absetzen sind das Fehlen der erwarteten Wirkung (46,2%), ein Wechsel zu anderen Therapien (25,1%) und die anticholinergen Nebenwirkungen (21,1%) (3). TAURUS, eine 12-monatige
Erweiterungsstudie zur Sicherheit und Wirksamkeit von Mirabegron, prüfte 50 mg und 100 mg Mirabegron täglich mit retardiertem Tolterodin 4 mg/Tag als aktiver Kontrolle (4). Erwartungsgemäss war die Nebenwirkung Mundtrockenheit mit Tolterodin wesentlich häufiger (8,6%) als mit Mirabegron 50 mg (2,8%) oder 100 mg (2,3%). Kardiale (QTc-Verlängerungen, Rhythmusstörungen) und kardiovaskuläre (Hypertonie) Nebenwirkungen kamen in allen 3 Gruppen selten und vergleichbar vor. In den 12-wöchigen Studien SCORPIO und CAPRICORN war das Nebenwirkungsprofil von Mirabegron mit demjenigen von Plazebo vergleichbar. Zuvor hatte eine Phase-Ib-Studie belegt, dass es unter dem neuen selektiven Beta-3-AdrenozeptorAgonisten nicht zu einem Anstieg des Augeninnendrucks kommt. Mirabegron ist in der Schweiz in zwei Dosierungen im Handel (25 und 50 mg). Als Startdosis werden 1 × 25 mg pro Tag empfohlen. Die Wirkung stellt sich innert der ersten 4 Wochen ein. Reicht sie nicht aus (persistierender Harndrang), kann dann die Dosis verdoppelt werden. Bei schwerer Niereninsuffizienz und bei moderater Leberinsuffizienz beträgt die Maximaldosis jedoch 25 mg. Bei bekannter Hypertonie wird eine regelmässige Überwachung des Blutdrucks empfohlen. «Mirabegron zeigte gute Sicherheit und Verträglichkeit über 12 Wochen als auch über 12 Monate und bietet somit den Patienten mehr lebenswerte Zeit von Anfang an», schloss Viereck. O
Halid Bas
Referenzen: 1. Khullar V et al.: Efficacy and tolerability of mirabegron, β3-adreno-
ceptor agonist, in patients with overactive bladder: results from a randomised European-Australian phase 3 trial. Eur Urol 2013; 63 (2): 283–295. 2. Herschorn S et al.: A phase III, randomized, double-blind, parallelgroup, placebo-controlled, multicentre study to assess the efficacy and safety of the beta3-adrenoceptor agonist, mirabegron, in patients with symptoms of overactive bladder. Urology 2013; 82 (2): 313–320. 3. Benner JS et al.: Patient-reported reasons for discontinuing overactive bladder medication. BJU Int 2010; 105 (9): 1276–1282. 4. Chapple CR et al.: Randomized double-blind, active-controlled phase 3 study to assess 12-month safety and efficacy of mirabegron, a beta3-adrenoceptor agonist, in overactive bladder. Eur Urol 2013; 63 (2): 296–305.
Quelle: «Mirabegron – ein neuer Wirkmechanismus in der OAB-Therapie», Satellitensymposium Astellas, Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG), 25. bis 27. Juni 2014 in Interlaken.
1200 ARS MEDICI 23 I 2014