Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Sassen Sie damals auch vor dem TV-Apparat, suchten in der Küche alte Löffel und im Schlafzimmer blindglasige, längst stehen gebliebene Wecker, Armband- oder Kaminuhren? Haben Sie daran geglaubt, dass es möglich ist, mit Gedankenkraft Löffel zu verbiegen und eingerostete Uhren wieder zum Laufen zu bringen, auch wenn’s bei Ihnen zu Hause nicht klappte und nicht unvermittelt und anlasslos – wie Nachbarn später berichteten – ein Buch während der Fernsehshow aus dem Regal fiel? Sicher haben Sie Uri Geller für einen Schwindler gehalten und doch ein ganz klein wenig gezweifelt am eigenen Zweifel. Uri Geller wurde Multimillionär mit seiner Löffelbiegerei und ein wenig Ölsuchen per virtueller Wünschelrute. Der perfekte Selbstvermarkter. Er hat inzwischen in Jaffa, Israel, ein eigenes, ziemlich kurioses Museum. Seine Tricks hatten allerdings auch unerwartete Nebenwirkungen: 1993 verklagte ihn eine Frau: Er sei schuld an ihrer Schwangerschaft, denn die sei auf einem Kaminvorleger genau während Uri Gellers TV-Show zustande gekommen, weil … eigentlich logisch … sich genau zu diesem Zeitpunkt statt eines banalen Löffels ihre Spirale verbogen habe … Spannend wird’s eben immer, wenn Clevere auf ebenso Schlaue treffen.
sss
Keith Richards (Stones-Gitarrist): «Ein Arzt hat mir einmal gesagt, ich hätte nur noch sechs Monate zu leben. Ich habe ihn ernst, aber es ihm nicht übel genommen. Zwei Jahre später nahm ich an seiner Beerdigung teil.»
sss
Die Zeit vergeht wie im Fluge. Nichts ist mehr, wie es einmal war. Die Welt, wie sie war vor zwanzig, zehn, ja vor zwei Jahren, erscheint vielen bereits heute irreal. Einige bezweifeln sogar, dass Greta Thunberg überhaupt je gelebt hat. (Doch,
sie lebt, hat sich kürzlich in einem Interview wieder zum Klimawandel geäussert, und siehe da, Greta ist älter geworden und – manche Jüngere bedauern das – bei unveränderter Einschätzung der Folgen unseres Tuns und Nichttuns etwas gnädiger, realistischer, vielleicht auch nur resignierter. Manchen fällt es jetzt schwerer, ihre Warnungen nicht ernst zu nehmen.)
sss
Richard David Precht nimmt man in den Medien fast so ernst wie er sich selbst. Der eitle Philosoph (sorry, dieses Attribut muss sein, denn eigentlich erklärt nur Eitelkeit das täubelnde und gekränkte Festhalten an alten Positionen, die nur von wenigen, sich für klüger haltenden Denkern wiederholt und wiederholt, aber zu niemandes Verständnis begründet werden) riet den Ukrainern schon ganz zu Anfang des Kriegs, sie müssten die «Pflicht zur Klugheit» haben, einzusehen, «wann man sich ergeben muss». Man muss sich – als Schweizer – diesen Satz auf der Zunge zergehen lassen. Herr Precht empfiehlt uns, die wir mit Schillers Tell, dem Rütli und Widerspenstigkeit gegen alles, was «von oben» (sei’s Bern oder Brüssel) kommt, sozialisiert wurden, aber letztlich und nachträglich auch den vielen Widerstandskämpfern gegen Hitler und andere Despoten, überhaupt allen Schwächeren dieser Erde, klug zu sein und sich dem Stärkeren zu ergeben. Nix von Schillers «… Wir wollen frei sein, wie die Väter waren, eher den Tod, als in der Knechtschaft leben…», nein, Precht rät implizit zum Gegenteil: Klüger ist’s, in Knechtschaft zu leben, aber wenigstens zu leben. Ach, er hat’s gar nicht so gemeint? Aber was hat er denn gemeint mit dem, was er gesagt hat? Nun denn, man wird auf dem Estrich mal wieder nach Hans Hörmanns «Grundzügen einer psychologischen Semantik» suchen müssen.
sss
Es steht ein Mann in einer irischen Bahnhofshalle und schaut sich um. Nach einer Weile beschwert er sich bei einem Bahnhofsmitarbeiter, er könne von seinem Standpunkt aus exakt drei Uhren sehen, die alle eine andere Zeit angäben. Der Bahnhofsmitarbeiter schaut erstaunt und antwortet: Was, lieber Herr, würde es denn für einen Sinn ergeben, drei Uhren zu sehen, die alle die gleiche Zeit angeben?
sss
Nun steht wieder die herbstliche Zeitumstellung an – aus Sommerzeit wird Winterzeit. Was daran nicht stimmt? Richtig, nicht die Zeit wird umgestellt, sondern unsere Uhren werden’s. Mit andern Worten: Es passiert gar nichts, ausser einem millionenfachen kurzen Dreh, einem Tippen oder Vertrauen auf eine zentrale Regulation. Dabei könnte man sogar das alles lassen – die Welt bliebe die gleiche. (Nur der Wecker würde zu einer anderen Zeit schrillen.)
sss
Dummerweise enthält der «Indian Summer» (die warme Wetterperiode im Spätherbst, bekannt vor allem in den amerikanischen Neuenglandstaaten, mit der wunderbaren intensiven, warmtönigen Blattverfärbung der Laub- und Mischwälder) das bei deutschen Woken verpönte I-Wort. Kein Problem, versuchen Sie’s halt mit dem heimischen Pendant: Altweibersommer.
sss
Und das meint Walti: Ich bin weder dafür noch dagegen – im Gegenteil!
Richard Altorfer
654
ARS MEDICI 22 | 2022