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Dosierung von Antidepressiva: Ist mehr immer besser?
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Neurologie — Fortbildung
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61757
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KONGRESS AKTUELL

Dosierung von Antidepressiva
Ist mehr immer besser?

Wenn Antidepressiva ungenügend wirken, kann eine Dosissteigerung eine Option sein. Doch erzeugt das nicht bei allen Substanzklassen den gewünschten Effekt. SerotoninReuptakehemmer (SSRI) beispielsweise können bei höherer Dosierung gar nicht besser wirken. Worauf es dabei ankommt, erläuterte Prof. Gregor Hasler, Chefarzt Freiburger Netzwerk für psychische Gesundheit, Universität Freiburg, am PSY & PSY-Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft der Psychiatrie und Psychotherapie in Bern.

Aus der STAR*D-Studie ist bekannt, dass mit einer antidepressiven Therapie nur etwa bei einem Drittel der Patienten eine Remission erreicht werden kann. Die Studie zeigte weiter, dass dieser Anteil mit einer Umstellung auf eine andere Therapie oder einer Augmentation auf bis zu 2 Drittel erhöht werden kann (1). Unter anderem daraus wurde die Empfehlung zur Einstellung einer antidepressiven Therapie abgeleitet, wonach bei einem Teil- oder fehlenden Ansprechen auf eine adäquat dosierte Therapie nach 2 bis 4 Wochen eine Optimierung durch Dosiserhöhung erfolgen soll, bevor als weitere Schritte die Kombination von 2 Antidepressiva aus verschiedenen Substanzklassen, der Wechsel zu einem anderen Antidepressivum oder eine Augmentationsstrategie beispielsweise mit Lithium vorgenommen wird (2). Dieses aufwendige und zeitraubende Findungsverfahren möglicherweise abkürzen zu können, war das Ziel einer amerikanischen Studie. Sie untersuchte die Nützlichkeit einer pharmakogenomischen Testung hinsichtlich Substanzinteraktion am Gen. Dabei kam heraus, dass diese Testung zwar hilft, die Therapie schneller besser einzustellen, doch trat die Remission deswegen nicht häufiger ein. Darüber hinaus half die gewonnene Information nur bei Neueinstellungen und nicht bei therapieresistenten Patienten. Es zeigte sich weiter, dass für die gewünschte Interaktion viele CYP-Gene untersucht werden müssen und die Massnahme vor allem bei Nichtkaukasiern aus Asien und Afrika sinnvoll ist (3). Für eine genetische Untersuchung zu dieser Fragestellung sei die Zeit somit noch nicht reif, so Hasler.
Sind Dosiserhöhungen zielführend? Informationen über die Effizienz von Dosissteigerungen von Antidepressiva, insbesondere von SSRI, sind nur indirekt vorhanden. Deshalb untersuchte ein kürzlich publizierter systematischer Review mit Meta- und Netzwerkmetaanalyse die Dosis-Wirkungs-Beziehung von SSRI anhand von 33 randomisiert kontrollierten Studien. Die untersuchten Dosisgruppen

tief, mittel und hoch zeigten geringe, nicht signifikante und klinisch nicht relevante Unterschiede auf die Wirksamkeit als primären Endpunkt (4). Bei den einzelnen SSRI konnte ebenfalls keine signifikant höhere Wirksamkeit für höhere Dosierungen gefunden werden. Damit seien höhere Dosierungen für die Routinebehandlung nicht empfehlenswert, so das Fazit der Autoren. Die Ursache für den fehlenden Effekt einer Dosiserhöhung von SSRI verorten die Autoren im Ausmass der Blockierung des Serotonintransporters. Diese beträgt bereits bei tiefen SSRI-Dosen 80 Prozent und nimmt bei einer Dosissteigerung nicht weiter zu (4). Dennoch kann es für eine hohe Dosis durchaus gute Gründe geben, wie zum Beispiel bei «fast metabolizern». Für andere Antidepressivaklassen wie zum Beispiel Trizyklika bestehen dagegen durchaus Dosis-WirkungsBeziehungen (4). Ein weiterer systematischer Review mit Metaanalyse von Antidepressiva der 2. Generation (SSRI, Venlafaxin und Mirtazapin) kommt zum Schluss, dass die tieferen Dosierungen eine optimale Balance zwischen Wirksamkeit, Verträglichkeit und Akzeptanz in der Behandlung der Depression herstellen (5). Auch bei den neueren Antidepressiva wie zum Beispiel Vortioxetin besteht eine Dosis-Wirkungs-Beziehung. In einer gepoolten Analyse über 6 Kurzzeitstudien mit verschiedenen Dosierungen zeigte sich für die Dosis von 20 mg/Tag im Vergleich zu 10 mg/Tag eine signifikante Verbesserung des gesamten MADR-Scores sowie in allen Einzelitems des Scores gegenüber Plazebo nach 8 Wochen Therapie. Transient auftretende Übelkeit war dabei die häufigste Nebenwirkung, die mit einer Erhöhung von 10 auf 20 mg/Tag jedoch nicht weiter zunahm (6). Das Auftreten von sexueller Dysfunktion ist bei einer Dosissteigerung auf 20 mg/Tag möglich, die bei tieferen Dosierungen nicht vorkommt (7). Sie sollte aktiv erfragt werden, da sie vom Patienten in der Regel nicht spontan berichtet werde, was aber auf alle Antidepressiva gleichermassen zutreffe, so die Empfehlung des Referenten.

Hilfreiche Tipps Bei Beginn einer antidepressiven Therapie lohne es sich, mit einer tiefen Probedosis unterhalb der empfohlenen Dosis anzufangen. Das helfe herauszufinden, ob der Patient davon Nebenwirkungen entwickle. Blieben diese aus, könne die Dosis nebenwirkungsfrei gesteigert werden, so Hasler. Sei die Wirkung jedoch trotz adäquater Dosierung ungenügend, müsse an einen «fast metabolizer» gedacht werden. Auch bei Rauchern kann die wirksame Konzentration deutlich reduziert sein, beim Konsum von Grapefruitsaft steigt sie oft an. Patienten mit Leber- und Nierenerkrankungen sollten tiefere Dosen erhalten, ebenso Frauen wie ältere Menschen. Viele ältere Frauen bevorzugten Antidepressiva in Tropfenform, so die Erfahrung von Hasler. Bei Langzeittherapien ist es empfehlenswert, die Dosis immer wieder zu kontrollieren und anzupassen. Ein Plasmaspiegel sollte nur zur Überprüfung der Compliance bestimmt werden, weil kein Zusammenhang zwischen Plasmaspiegel und Wirksamkeit besteht. In der Frage der Dosis sei zu beachten, dass gewisse Antidepressiva mit einer Dosisveränderung ihre Wirksamkeit verändern könnten. Ein Beispiel dafür sei Trazodon, das in der Dosis von 150 mg als Schlafmittel verwendet werden könne, bei einer Dosis von > 150 mg als Antidepressivum mit günstigem Nebenwirkungsprofil, so Hasler. Antidepressiva könnten aber bei höherer Dosierung auch ihre Wirkung verlieren. Bekannt sei das beispielsweise von Ketamin, Esketamin und Psychedelika. Schliesslich sollte bei der Therapiewahl an mögliche Interaktionen gedacht werden, denn diese können die Wirkung beeinträchtigen. Pharmakodynamische Interaktionen wie beispielsweise das Serotoninsyndrom oder Atemdepression bei Antipsychotika und Benzodiazepinen können eine Dosisverringerung oder gar eine Therapieumstellung erfordern. Das kann der Fall sein bei pharmakokinetischen Interaktionen wie zum Beispiel der Erhöhung des Clozapinplasmaspiegels durch Fluvoxamin um 100 Prozent oder der Wirkungsreduktion von Johanniskraut auf Immunsuppressiva. l
Valérie Herzog
Quelle: Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft der Psychiatrie und Psychotherapie (PSY & PSY), 7. bis 9. September in Bern.

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Referenzen: 1. Gaynes BN et al.: The STAR*D study: treating depression
in the real world. Cleve Clin J Med. 2008;75(1):57-66. 2. Holsboer E et al.: Die Akutbehandlung depressiver
Episoden. Schweiz Med Forum. 2016;16(35):716-724. 3. Oslin DW et al.: Effect of pharmacogenomic testing for
drug-gene interactions on medication selection and remission of symptoms in major depressive disorder: the PRIME care randomized clinical trial. JAMA. 2022;328(2):151-161. 4. Braun C et al.: In search of a dose-response relationship in SSRI – a systematic review, meta-analysis, and network meta-analysis. Acta Psychiatr Scand. 2020;142(6):430-442. 5. Furukawa TA et al.: Optimal dose of selective serotonin reuptake inhibitors, venlafaxine, and mirtazapine in major depression: a systematic review and doseresponse meta-analysis. Lancet Psychiatry. 2019;6(7):601609. 6. Christensen MC et al.: Vortioxetine 20 mg/day in patients with major depressive disorder: updated analysis of efficacy, safety, and optimal timing of dose adjustment. CNS Spectr. 2021;1-26. 7. Fachinformation Vortioxetin. Swissmedic.ch. Letzter Abruf: 17.9.22

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