Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Der Unterschied zwischen Stadt und Land? Politgeograf (eine Berufsbezeichnung, die, wie so manch andere, einen eigenen Kommentar wert wäre) Michael Hermann meinte, für die einen (gemeint: «die Städter») sei «Öffnung» Potenzial, für die anderen (die Leute vom Land, die «Landeier» eben) eine Bedrohung. Was natürlich Unsinn ist. Die Frage ist doch: Was öffnen, wofür und für wen? Da allerdings unterscheiden sich «Städter» und «Landeier» schon. Letztere öffnen ihre Grenzen nicht für jeden Schlufi, nicht für jeden modischen kulturellen Brunz und schon gar nicht für ideologische Machtansprüche. In der Stadt hingegen zelebriert man Offenheit, als sei sie ein Wert an sich. Man liebt den Slogan «alles kann, nichts muss», lässt ihn allerdings nur bis an die Grenzen der eigenen «Community» gelten. Wer anders leben möchte als innerhalb der urbanen «Blase» akzeptiert (und es gibt durchaus unterschiedliche urbane Blasen), lernt rasch die Grenzen städtischer Offenheit kennen – sie (die Grenzen, nicht die Offenheit) werden nämlich ziemlich angriffig von Medienleuten und von mit Empörung bewaffneten Selbstgerechten bewacht. Auf dass niemand unbehelligt rein oder raus könne aus dem ideologischen (städtischen) Offenheitsknast. Wichtig anzumerken: «Städter» gibt es auch auf dem Land – und «Landeier» auch in der Stadt.
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«Auf dem Glaubenberg blühen die Blumen noch / Ich pfeife auf dem letzten Loch / Was soll nur aus mir werden / inmitten von Kuhherden?» Es ist das Gedicht eines Leidensgenossen, dessen Name längst vergessen ist, und eine der ganz wenigen Erinnerungen an die RS 1969 in Aarau (Truppensanität) bzw. an die Verlegung auf dem sicherlich wunderschönen Glaubenberg. Die galgenhumorigen Verse sind untrennbar verbunden mit dem Bild eines Kameraden mit Rollgestell für eine Bahre auf dem
Rücken. (Gibt’s das eigentlich immer noch?)
sss
Immer wieder lustig: Sätze, die man nur in der Schweiz sagt. Zum Beispiel: «Hesch mer emol s Aromat!»
sss
Risotto milanese – es gibt kaum Besseres. Okay, vielleicht noch Grosis Hackbraten mit Kartoffelstock oder ihre Älplermagronen. Doch dieses Jahr war der Reis aus der Po-Ebene, dem grössten Reisanbaugebiet Europas, in Gefahr. Der Po war ausgetrocknet wie nie zuvor; das Meerwasser drückte zurück ins Delta, was den Reispflanzen gar nicht guttat. Und Safran allein macht zwar den Risotto «geel», aber halt noch kein Risotto milanese. Klar gibt’s guten Reis auch in Frankreich oder Spanien (Tipp: Arroz Bomba aus dem Ebrodelta), aber die Po-Ebene als Location ist eben nicht zu ersetzen. Sie ist der Schauplatz von «Riso amaro» (1949) mit Silvana Mangano, dem sittsamen Sexidol des Schwarz-Weiss-Films. Unvergleichlich. Und klar gibt’s auch Risotto milanese ohne Arborio, Vialone oder Carnaroli aus der Padana, aber ohne die Körner aus den Feldern, die dank der Bilder kämpferischer junger Frauen in Shorts unsterblich wurden, fehlt das Wichtigste. Alle Liebhaber des wahren Risotto milanese hoffen auf ein nasseres 2023. Natürlich nicht nur sie.
sss
Das Roland-Kaiser-Syndrom: Warum hab ich nicht «Nein» gesagt?
sss
Onkel Hugo, nicht mehr ganz jung, überrascht immer wieder, wenn er seine läppischen Tage hat. Im Moment behauptet er, er sei der Erfinder des vollkommen gegenderten Tomatenmarks.
Als eine Feministin namens Sandra nämlich den Männernamen Mark aus dem Tomatenmark eliminiert, ihn durch ihren eigenen Namen ersetzt und daraus «Tomatensandra» gemacht habe, habe er, Hugo, als konsequenter Feminist zusätzlich den männlichen Tom durch den Namen seiner feministischen Cousine Lisa ersetzt und so die «Lisatensandra» erfunden.
sss
Es war eine durch und durch ebenso weibliche wie emanzipierte Person, die das sagte: «So manche Frau wünscht sich ein ‹Machei› – die perfekte Mischung aus Macho und Weichei.»
sss
Man muss die US-Rockband Nirvana nicht lieben oder kennen. Sie veröffentlichte 1991 eine Langspielplatte mit Namen «Nevermind». Auf dem Plattencover zu sehen: ein nacktes Baby im Wasser und eine Dollarnote an einem Haken. Das Baby ist heute 31 Jahre alt und heisst Spencer Elden. Spencer hat in der Vergangenheit mit seiner Berühmtheit als «Nirwana-Baby» Geld verdient. Jetzt, wo diese Geldquelle zu versiegen scheint, hat er Band und Plattenfirma auf Kinderpornografie verklagt und sich selbst eine «extreme und dauerhafte emotionale Belastung» wegen der 31-jährigen Nacktdarstellung attestiert. Der Richter fand, diese Belastungsstörung komme reichlich spät und sei angesichts der früheren Vermarktung genau dieser nackten Berühmtheit nicht nachvollziehbar. Fazit: Man kann’s ja mal versuchen.
sss
Und das meint Walti: Zu viel Brei verdirbt den Koch.
Richard Altorfer
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ARS MEDICI 20 | 2022