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BERICHT
Management der Herzinsuffizienz
Mit den «fantastischen 4» gegen die relevant reduzierte Auswurfleistung
An der medArt Basel 2022 referierte Prof. Dr. med. Otmar Pfister, Leiter Ambulante Kardiologie, Universitätsspital Basel, über das derzeit aktuelle Management der Herzinsuffizienz. Schwerpunkt seines Vortrags war die medikamentöse Behandlung bei erhaltener und relevant reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion (LVEF).
Bei einer Herzinsuffizienz (heart failure, HF) richtet sich die Auswahl einer geeigneten Behandlungsstrategie nach der Kategorisierung der Patientensymptomatik in eine HF mit erhaltener Ejektionsfraktion (HF with preserved EF [HFpEF]; linksventrikuläre EF [LVEF] > 50%), eine HF mit minimal reduzierter EF (HFmrEF; LVEF: 41–50%) oder eine HF mit relevant reduzierter EF (HFrEF; LVEF < 40%) (Abbildung 1). Der prognostische Nutzen der klassischen Medikamente zur Behandlung der HFrEF ist bei relevant reduzierter LVEF am höchsten. Herzinsuffizienz mit erhaltener LVEF Eine HFpEF findet man häufig bei adipösen älteren Frauen, die unter Dyspnoe und Vorhofflimmern leiden. Obwohl viele Patienten betroffen sind, wird die HFpEF häufig übersehen. Für die Diagnose ist neben der Dyspnoe und der erhaltenen LVEF der Nachweis eines erhöhten Füllungsdrucks von entscheidender Bedeutung (1). Bis vor Kurzem beschränkte sich das therapeutische Management der HFpEF im Wesentlichen auf die Behandlung der Komorbiditäten. Eine Hypertonie kann mit ACE-Hemmern, Angiotensinrezeptorblockern (ARB) und Kalziumantagonisten behandelt werden. Zur Reduktion der Volämie dienen Diuretika. Bei adipösen Patienten könne mit einer Gewichtsabnahme viel erreicht werden, dies sei jedoch meist schwierig zu beeinflussen, so Pfister. Die Beseitigung einer Myokardischämie kann die Symptomatik ebenfalls verbessern. Bei Vorhofflimmern ist eine Rhythmuskontrolle anzustreben. Als wichtigste therapeutische Massnahme erachtet Pfister bei dieser Patientengruppe die körperliche Bewegung. Seit 2021 stehen 2 Medikamente als neue Optionen zur Behandlung der HFpEF zur Verfügung. Mit dem Aldosteronrezeptorantagonisten Aldactone (in der Schweiz nicht verfügbar) kann das Risiko für eine HF-bedingte Spitaleinweisung bei Patienten mit HFpEF gesenkt werden. Aldactone ist vor allem für adipöse Patienten (Body-Mass-Index [BMI] > 30) und bei schlecht kontrollierter Hypertonie eine geeignete Option. Auch mit dem SGLT2-Hemmer Empagliflozin (Jardiance®) kann die Prognose von Patienten mit HFpEF verbessert werden (2–4). Dies gelte wahrscheinlich auch für Dapagliflozin (Forxiga®), berichtet Pfister. Eine entspre-
chende Studie war zum Zeitpunkt der medArt noch nicht publiziert. Sie wurde am Kongress der European Society of Cardiology vorgestellt. Sie zeigt, dass Dapagliflozin bei allen Formen der Herzinsuffizienz von Vorteil ist (siehe Seite 590 in dieser Ausgabe von ARS MEDICI). Die körperliche Leistungsfähigkeit kann bei HFrEF mit kardialer Rehabilitation oder bei chronotroper Inkompetenz (maximale HF < 75% des Sollwerts) gegebenenfalls mit einer Reduktion der Betablockerdosis verbessert werden. Herzinsuffizienz mit relevant reduzierter LVEF Bei HFrEF gelten die «fantastischen 4» als neuer Therapiestandard. Dabei handelt es sich um einen ACE-Hemmer oder einen Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor (ARNI) sowie um Betablocker, SGLT2-Hemmer und Mineralokortikoidrezeptorantagonisten (MRA). Das Diuretikum Torasemid (Torem® und Generika) wird weiterhin angewendet. Mit allen «fantastischen 4» sollte gemäss neuen Empfehlungen aus dem Jahr 2021 frühzeitig innerhalb der ersten Behandlungswochen begonnen werden, entsprechend dem Grundsatz «erst vollständig etablieren, dann auftitrieren» (Abbildung 2). Die SGLT2-Hemmer Dapagliflozin und Empagliflozin werden bei Patienten mit HFrEF in einer Dosierung von 10 mg 1-mal täglich appliziert und müssen somit nicht auftitriert werden. Mit diesen Medikamenten kann die kardiovaskuläre Mortalität um etwa 18 Prozent und das Risiko für eine HF-bedingte Hospitalisierung um zirka 30 Prozent gesenkt werden. Die Wirkung der SGLT2-Hemmer setzt bereits innerhalb der ersten 30 Tage ein, und die Medikamente sind auch bei alten Personen anwendbar (5). SGLT2-Hemmer senken den Blutdruck nur geringfügig um etwa 2 bis 3 mmHg und können auch bei einer Niereninsuffizienz sicher bis zu einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) von 20 ml/min angewendet werden. In sehr seltenen Fällen kann es unter SGLT2-Hemmern bei einem Diabetesmanagement mit Insulin zu einer Ketoazidose (0,2%) kommen. Für Patienten mit Diabetes Typ 1 sind diese Medikamente daher kontraindiziert. Des Weiteren sind SGTL2-Hemmer mit einem leicht erhöhten Risiko für Genitalinfekte (2–4%) verbunden (6). ARS MEDICI 20 | 2022 597 BERICHT Reduzierte LVEF Erhaltene LVEF Behandlung mit einem ACE-Hemmer begonnen und später auf einen ARNI umgestellt werden. Zur Vorbeugung von Angioödemen wird der ARNI erst 36 Stunden nach der letzten ACE-Hemmer-Applikation gegeben (7). +++ Wirksamkeit; lila: «off label» (Label erwartet); blau: «off label» Abbildung 1: Therapie der Herzinsuffizienz (HF) entsprechend der Kategorisierung der linksventrikulären Auswurffraktion (LVEF). HFrEF: HF mit relevant reduzierter Auswurffraktion (EF); HFmrEF: HF mit minimal reduzierter EF; HFpEF: HF mit erhaltener EF. ACE-I: ACE-Hemmer; MRA: Mineralokortikoidrezeptorantagonisten, ARNI: Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor, SGLT2-I: SGLT2-Hemmer. Lila: in der Schweiz «off label» (Zulassung wird erwartet); Blau: «off label». +++: Ausmass der Wirksamkeit. Dosis Dosis Alt (2016) ACE-I Dosis B-Blocker MRA Wechsel ACE-I zu ARNI Dosis Dosis Dosis Neu (2021) ACE-I oder ARNI B-Blocker SGLT2-I MRA Wechsel ACE-I zu ARNI 2 bis 4 Wochen Abbildung 2: Behandlungsbeginn mit den «fantastischen 4» (ACE-I: ACE-Hemmer, B-Blocker: Betablocker, MRA: Mineralokortikoidrezeptorantagonisten, ARNI: Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor, SGLT2-I: SGLT2-Hemmer) (Quelle: O. Pfister) Vericiguat Mit Vericiguat (Verquvo®) wird jetzt zunehmend eine neue fünfte Substanz zur Behandlung einer HFrEF angewendet. Bei Vericiguat handelt es sich um einen Aktivator der löslichen Guanylatzyklase (cGMP), der eine Vasodilatation und eine Verbesserung der Endothelfunktion bewirkt. Das Medikament kann bei Patienten nach einer Dekompensation trotz optimal tolerierter HF-Therapie das Risiko für eine Hospitalisierung senken. Die Behandlung beginnt mit 2,5 mg/Tag. Im weiteren Verlauf wird die Dosis auf 10 mg/Tag verdoppelt. Vericiguat kann auch bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz oder Hyperkaliämie angewendet werden, nicht jedoch bei sehr hohen Werten von NT-pro-BNP (N-terminales Propeptid BNP [brain natiuretic peptide]; < 5000 ng/l) (8). Eisensubstitution Etwa 50 Prozent der HF-Patienten weisen – unabhängig vom Erhalt der Ejektionsfunktion – einen Eisenmangel auf. Des- halb wird jetzt neu ein periodisches Screening (Hämoglobin, Ferritin, Transferrinsättigung) für alle HF-Patienten empfoh- len. Definitionsgemäss handelt es sich um einen Eisenmangel bei Ferritinwerten < 100 ng/ml oder bei Ferritinwerten von 100 bis < 300 ng/ml, wenn die Transferrinsättigung weniger als 20 Prozent beträgt. Bei symptomatischen Patienten mit LVEF < 45 Prozent raten die Experten zu einer intravenösen Applikation von Eisen zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit und der Lebensqualität. Eine ebenfalls neue Empfehlung besteht für eine intravenöse Eisengabe bei kürzlich dekompensierten und hospitalisierten Patienten mit LVEF < 50 Prozent, um das Risiko für eine er- neute HF-bedingte Hospitalisierung zu senken (9). s Petra Stölting Quelle: «Herzinsuffizienz», Vortrag von Otmar Pfister, medART Basel 2022, 29. Juni 2022. Die Kombination Sacubitril/Valsartan (Entresto®) wirkt als ARNI und hat die Medikamentenklasse der ACE-Hemmer in der langfristigen Therapie der HFrEF mittlerweile ersetzt. Die Behandlung beginnt mit 50 mg 2-mal täglich. Dann wird die Dosis schrittweise bis auf maximal 200 mg 2-mal täglich erhöht. Mit ARNI kann die kardiovaskuläre Mortalität um etwa 20 Prozent und das Risiko für eine HF-bedingte Hospitalisierung um zirka 21 Prozent gesenkt werden. Zudem ist die Behandlung mit einer Verbesserung der Lebensqualität verbunden. Auch bei ARNI zeigt sich frühzeitig, innerhalb von 30 Tagen nach Behandlungsbeginn, ein Nutzen im Vergleich zu Plazebo, und das Medikament ist bei Niereninsuffizienz sicher anwendbar. Bei Patienten mit ausreichend hohem Blutdruck (BD; systolisch > 115 mmHg) ist ein ARNI zur Ersttherapie geeignet. Bei symptomatischer Hypotonie sollte die
Literatur: 1. Shah SJ et al.: Phenotype-Specific Treatment of Heart Failure With Pre-
served Ejection Fraction: A Multiorgan Roadmap. Circulation. 2016;134(1):73-90. 2. Anker S et al.: Empagliflozin in Heart Failure with a Preserved Ejection Fraction. N Engl J Med. 2021;385(16):1451-1461. 3. Tsujimoto T et al.: Spironolactone Use and Improved Outcomes in Patients With Heart Failure With Preserved Ejection Fraction With Resistant Hypertension. J Am Heart Assoc. 2020:9(23):e018827. 4. Palau P et al.: Effect of β-Blocker Withdrawal on Functional Capacity in Heart Failure and Preserved Ejection Fraction. J Am Coll Cardiol. 2021;78(21):2042-2056. 5. McMurray JJV et al.: Dapagliflozin in Patients with Heart Failure and Reduced Ejection Fraction. N Engl J Med. 2019;381(21):1995-2008. 6. Packer M et al.: Cardiovascular and Renal Outcomes with Empagliflozin in Heart Failure. N Engl J Med. 2020;383(15):1413-1424. 7. McMurray JJV et al.: Angiotensin-neprilysin inhibition versus enalapril in heart failure. N Engl J Med. 2014;371(11):993-1004. 8. Armstrong PW et al.: Vericiguat in Patients with Heart Failure and Reduced Ejection Fraction. N Engl J Med. 2020;382(20):1883-1893. 9. McDonagh TA et al.: 2021 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure. Eur Heart J. 2021;42(36):3599-3726.
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