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STUDIE REFERIERT
Nichtkardiovaskuläre Effekte von Statinen
Statine sind die Eckpfeiler zur Prävention atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankungen. Neben dem Hauptmechanismus der Lipidsenkung weisen sie eine Reihe pleiotroper Effekte auf. Ein Review fasst den aktuellen Wissensstand zu positiven und negativen nicht kardiovaskulären Wirkungen dieser Substanzen zusammen.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
In randomisierten, kontrollierten Studien (RCT) und Metaanalysen zur Primär- und Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen wurde mit Statinen (3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-[HMG-]Coenzym-A-ReduktaseHemmer) eine signifikante Reduzierung der Inzidenz von Herzinfarkt, Schlaganfall, kardiovaskulärem Tod und Gesamtsterblichkeit erzielt. Zusätzlich zur Senkung des «LowDensity»-Lipoprotein-Cholesterins (LDL-C) wirken Statine antientzündlich und stabilisieren atherosklerotische Plaques in den Gefässwänden, wobei sogar eine geringfügige Rückbildung des Atheroms erreicht werden kann. Statine sind möglicherweise aber auch mit ungünstigen pleiotropen Effekten aufgrund einer exzessiven Cholesterinsenkung oder anderer Mechanismen verbunden.
Merksätze
O Statine sind mit einem geringfügig erhöhten Myopathierisiko verbunden.
O Ein statinassoziiertes erhöhtes Diabetesrisiko besteht vor allem bei hohen Dosierungen und bei Patienten mit zwei oder mehr Komponenten des metabolischen Syndroms.
O Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten können zu erhöhten Statinkonzentrationen im Blut führen.
O In Metaanalysen reduzierten Statine die Inzidenz von kontrastmittelinduzierten Nephropathien und Pankreatitis.
Myopathie Aus RCT und Metaanalysen geht hervor, dass Statine mit einer geringfügigen Erhöhung des Risikos für Myopathien verbunden sind. Die Inzidenz der statininduzierten Myositis wird auf 0,5 pro 1000 Personenjahre (PJ) und die der Rhabdomyolyse auf 0,1 pro 1000 PJ geschätzt. Ein erhöhtes Risiko für Myalgien wurde nicht beobachtet. Das Myopathierisiko beschränkt sich hauptsächlich auf hohe Statindosierungen, und hier vor allem auf Simvastatin (80 mg). Die Food and Drug Administration (FDA) rät daher von diesem Regime ab. Ein erhöhtes Risiko für Myopathien besteht zudem bei gleichzeitiger Einnahme von Medikamenten, die über Wechselwirkungen die effektive Blutkonzentration der Statine erhöhen. Dazu gehören Fibrate wie Gemfibrocil (Gevilon®). Bei der Entwicklung statinassoziierter Myopathien spielt auch die genetische Disposition eine Rolle. Varianten des Gens SCLO1B1, das für einen OrganoAnion-Transporter kodiert, führen zu einer verminderten Aufnahme von Statinen in die Leber und somit zu höheren Blutspiegeln, wodurch sich das erhöhte Myopathierisiko bei manchen Patienten erklärt. Unter Atorvastatin wurde bis anhin allerdings kein Zusammenhang zwischen SCLO1B1-Varianten und dem Myopathierisiko beobachtet. Die Verbindung zwischen genetischen Polymorphismen und Myopathien scheint daher möglicherweise auch statinspezifisch zu sein. Im Zusammenhang mit Statinstudien wird häufig kritisiert, dass Nierenpatienten meist ausgeschlossen werden, weil es bei ihnen häufiger zu unerwünschten Wirkungen kommt. In AURORA (A Study to Evaluate the Use of Rosuvastatin in Subjects on Regular Hemodialysis: An Assessment of Survival and Cardiovascular Events) erhielten 2776 chronische Dialysepatienten randomisiert Rosuvastatin oder Plazebo. Die Häufigkeit muskuloskeletaler Nebenwirkungen (22 vs. 24%) und die Anzahl der Rhabdomyolysen (3 vs. 2) waren in dieser Untersuchung vergleichbar.
Diabetes In RCT und Metaanalysen zeigt sich konsistent ein erhöhtes Diabetesrisiko im Zusammenhang mit Statinen. Dabei spielt wahrscheinlich eine aus der Hemmung der HMG-CoA-Reduktase resultierende verminderte Expression des insulinsensitiven Glukosetransporters Typ 4 eine wichtige Rolle. Experimentelle Daten weisen zudem darauf hin, dass Statine die Funktion der Pankreaszellen beeinträchtigen und die Zellapoptose fördern, was zu einer verminderten Insulinsekretion führt. In der Studie JUPITER (Justification for the Use of Statins in Primary Prevention) (n = 17 802) war die Inzidenz der Diabetesneuerkrankungen innerhalb eines durchschnittlichen Follow-ups von 1,9 Jahren unter Rosuvastatin (20 mg) signifikant höher als unter Plazebo (3,0 vs. 2,4%; p = 0,01). In einer neuen Metaanalyse (n = 32 752) zeigte sich eine dosisabhängige Verbindung zwischen Statinen und Diabetesinzidenz. In dieser Studie waren intensiv dosierte Statine im Vergleich zu einer moderat dosierten Behandlung mit einer Erhöhung der Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer Diabeteserkrankung von 12 Prozent verbunden. Des Weiteren scheint sich das statinbedingte Diabetesrisiko vor allem auf Patienten zu beschränken, bei denen bereits aufgrund anderer Faktoren ein erhöhtes Diabetesrisiko vorliegt. In JUPITER traten 77 Prozent von insgesamt 486 Diabetesneuerkrankungen bei Patienten mit beeinträchtigter Nüchternglukose vor der Randomisierung auf, und bei allen neuen Diabetesfällen war vor Behandlungsbeginn mindestens einer der Hauptrisikofaktoren (beeinträchtigte Nüchternglukose, Body-Mass-Index [BMI] > 30, metabolisches Syndrom oder HbA1cWert > 6,0%) vorhanden.
Leber Man nimmt an, dass Statine – ebenso wie andere Lipidsenker – durch die Veränderung des Lipidstoffwechsels die Leberchemie beeinflussen. In einer Metaanalyse (n = 49 275) wurde die Lebertoxizität von Pravastatin, Lovastatin, Fluvastatin und Simvastatin untersucht. Hier war jedoch nur Fluvastatin innerhalb eines Studienzeitraums von durchschnittlich 3,6 Jahren mit
ARS MEDICI 21 I 2014 1073
STUDIE REFERIERT
Kasten:
Statine
O Atorvastatin (Sortis® und Generika, Autogenerika)
O Fluvastatin (Lescol® und Generika®) O Lovastatin (nicht im AK der Schweiz) O Pravastatin (Selipran® und Generika) O Simvastatin (Zocor® und Generika) O Rosuvastatin (Crestor®)
einem signifikanten Anstieg der Transaminasewerte im Vergleich zu Plazebo verbunden (1,13 vs. 0,29%; OddsRatio [OR]: 3,54, 95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,1–11,6). In einer anderen Metaanalyse zu 16 RCT (n = 75 317) wurde zwischen der Grössenordnung der LDL-C-Senkung mit Lovastatin, Simvastatin, Pravastatin, Fluvastatin oder Atorvastatin und dem Anstieg der Transaminasewerte keine Verbindung beobachtet. Allerdings zeigte sich in dieser Untersuchung bei allen Statinen ein Zusammenhang zwischen der Dosis und der Lebertoxizität. Bei einer Reduzierung des LDL-C um 10 Prozent betrug die Inzidenz erhöhter Lebertransaminasewerte bei hoher Statindosierung 271, bei mittlerer Dosierung 195 und bei niedriger Dosierung 114 pro 100 000 PJ. Leberversagen wurde in keiner Metaanalyse beobachtet. Die Rate der Leberinsuffizienz wird bei Statinanwendern auf 1 Fall pro 1 Million PJ geschätzt und ist somit vergleichbar mit der Häufigkeit in der Allgemeinbevölkerung. Aus den verfügbaren Daten geht insgesamt hervor, dass mittlere und hohe Statindosen mit einem geringfügigen Anstieg der Lebertransaminasewerte verbunden sind, der jedoch asymptomatisch und meist reversibel verläuft. In US-Richtlinien wird empfohlen, die Transaminasewerte vor Behandlungsbeginn zu prüfen und bei Symptomen einer Lebererkrankung erneut zu erheben. Ein routinemässiges Monitoring empfehlen die Experten nicht.
Kognition und Demenz Die FDA gab 2012 einen Warnhinweis heraus, dass es unter Statinen zu Gedächtnisstörungen und Verwirrungszuständen kommen könnte. Diese Warnung basierte auf kleinen randomi-
sierten Studien und observationellen Daten inklusive Fallberichten. In RCT wurde bis anhin jedoch keine Verbindung zwischen Statinen und Demenz beobachtet. In einem neuen systematischen Review mit Metaanalyse wurden die kurzfristige (< 1 Jahr) und die langfristige (> 1 Jahr) Verbindung zwischen Statinen und der Kognition bei Personen ohne kognitive Defizite untersucht. Bei kurzfristiger Behandlung wurde kein signifikanter Zusammenhang beobachtet. In drei Studien zur Langzeittherapie wurde ebenfalls kein Zusammenhang zwischen Statinen und kognitiven Defiziten festgestellt. In fünf weiteren Studien zur längerfristigen Behandlung wurde sogar ein Vorteil für die Statinanwender beobachtet. Im Verlauf eines durchschnittlichen Follow-ups von 6,2 Jahren (Bereich bis zu 24,9 Jahren) betrug die gepoolte geschätzte Hazard-Ratio (HR) für die Assoziation zwischen Statinen und Demenz 0,71 (95%-KI: 0,61–0,82). Eine eher positive Wirkung im Hinblick auf die Kognition zeigte sich auch in anderen Untersuchungen. In einem systematischen Review zu 10 Kohortenstudien wurde unter Statinen im Vergleich zu keiner Statineinnahme ein um 21 Prozent vermindertes Risiko für die Alzheimer-Demenz beobachtet.
Venöse Thromboembolien Zu den pleiotropen Effekten der Statine gehört auch eine Senkung der Konzentration thrombotischer Faktoren wie des C-reaktiven Proteins und des D-Dimers. In JUPITER betrug die Rate an Thromboembolien pro 100 PJ unter Rosuvastatin 0,18 und unter Plazebo 0,32 (HR: 0,57; 95%-KI: 0,37–0,86). In einer Metaanalyse aus dem Jahr 2012 wurde dagegen kein Unterschied der Inzidenz venöser Thromboembolien zwischen Statinen und Plazebo beobachtet. Anhand dieser Datenbasis kann daher nicht geklärt werden, ob eine Verbindung zwischen Statinen und thromboembolischen Ereignissen besteht.
Niere Im Zusammenhang mit jodhaltigen Kontrastmitteln gehört eine akute Nierenschädigung zu den häufigen unerwünschten Wirkungen. Experten vermuteten, dass dies durch hämodyna-
mische Veränderungen des renalen Blutflusses und eine unmittelbare tubuläre Toxizität verursacht wird. In einer Metaanalyse zu Patienten in 7 Studien (n = 1399), die sich einer Koronarangiografie unterzogen, wurde unter hoch dosiertem Atorvastatin oder Simvastatin eine signifikante Reduzierung der Inzidenz kontrastmittelinduzierter Nephropathien im Vergleich zu niedrigen Dosen oder zu Plazebo beobachtet. Aus neueren RCT geht hervor, dass sogar eine einzige hohe Statindosis die Inzidenz kontrastmittelinduzierter Nephropathien vermindert. Ob hohe Statindosierungen im klinischen Alltag mit akuten Nierenschädigungen verbunden sind, muss noch geklärt werden.
Pankreatitis Die statinbedingte Reduzierung des Cholesteringehalts in der Gallenflüssigkeit geht mit einem verminderten Risiko für Gallensteine einher. Dies könnte die positive Wirkung von Statinen im Zusammenhang mit Pankreatitis erklären. In Studien war die Pankreatitis meist kein definierter Endpunkt. Dennoch geht aus einer Metaanalyse hervor, dass Statine die Inzidenz der Pankreatitis im Vergleich zu Plazebo reduzieren.
COPD, Katarakt, Krebs
In einem systematischen Review zu
Beobachtungsdaten zeigte sich unter
Statinen eine Reduzierung der COPD-
bedingten Mortalität und der Exazer-
bationshäufigkeit. Diese Ergebnisse
müssen jedoch durch RCT bestätigt
werden. Bedenken im Hinblick auf eine
statinbedingte erhöhte Inzidenz von
Katarakten wurden bis anhin durch
RCT nicht bestätigt. In einzelnen RCT
wurde unter Statinen eine höhere In-
zidenz von gastrointestinalen und von
Brustkrebs beobachtet. In Metaanalysen
wurde bisher jedoch kein ursächlicher
Zusammenhang festgestellt.
O
Petra Stölting
Desai CS et al.: Non-cardiovascular effects associated with statins. BMJ 2014; 349: g3743.
Interessenkonflikte: keine deklariert
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