Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Suchtmedizin
Regelmässiger Cannabiskonsum – welche Risiken sind belegt?
Die vor zwei Jahren durchgeführte Studie Schweizerisches Cannabismontoring hatte ergeben, dass hierzulande rund 10 Prozent der 13- bis 29-Jährigen Cannabis konsumieren. Allerdings tut das nur jeder Zehnte von ihnen täglich; 1 Prozent der Schweizer in dieser Altersgruppe sind somit «regelmässige» Konsumenten im Sinn einer kürzlich publizierten Übersichtsarbeit zu den gesundheitlichen Folgen regelmässigen Cannabiskonsums. Tödliche Vergiftungen mit Cannabis sind nicht bekannt. Die Frage nach dem Abhängigkeitspotenzial beantwortet der Suchtmediziner Wayne Hall von der University of Queensland, Australien: Demnach entwickelt sich bei 1 von 10 regelmässigen Cannabiskonsumenten eine Abhängigkeit. Falls bereits im jugendlichen Alter Cannabis konsumiert wird, ist das Risiko mit 1 von 6 regelmässigen Konsumenten höher. Regelmässige Cannabiskonsumenten
erreichen im Durchschnitt einen niedrigeren Bildungsgrad, und sie konsumieren häufiger auch andere Drogen – ob hieran aber tatsächlich das Cannabis per se schuld ist, ist eine offene Frage, so Hall. Eine klare Assoziation besteht
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mit einem höheren Risiko für Schizophrenie und Psychosen: Beginnt man als Teenager mit dem Cannabiskonsum, verdoppelt sich das Risiko für beide Diagnosen im Erwachsenenalter. Regelmässiger Cannabiskonsum seit Jugendtagen scheint auch zu kognitiven Defiziten zu führen. Der zugrunde liegende Mechanismen ist jedoch unklar, und auch auf die Frage nach der Umkehrbarkeit des Effekts nach einem Konsumstopp gibt es bis heute keine klare Antwort. Wie das Rauchen von Tabak ist der regelmässige Joint ein Risikofaktor für chronische Bronchitis sowie Herzinfarkt. Ebenfalls belegt ist, dass Cannabiskonsum in der Schwangerschaft das Geburtsgewicht des Kindes vermindert. RBOO
Hall W: What has research over the past two decades revealed about the adverse health effects of recreational cannabis use? Addiction 2014; 109: doi: 10.1111/add. 12703.
Ernährung
Langsam abnehmen schützt nicht vor Jojo-Effekt
In unzähligen Ratgebern und Diätanleitungen findet sich die Behauptung, dass langsames Abnehmen nachhaltiger vor dem gefürchteten Jo-Jo-Effekt schützt als Radikalkuren, bei denen die Pfunde möglichst rasch dahinschmelzen. Doch das ist nur ein Mythos, wie eine randomisierte Studie nun zeigte. Das Forscherteam am Metropolitan Hospital Melbourne motivierte 205 Übergewichtige mit einem BMI zwischen 30 und 45 kg/m2 für die Teil-
nahme an der Studie. Es handelte sich um 51 Männer und 153 Frauen im Alter von 18 bis 70 Jahren. Die Teilnehmer wurden in zwei Gruppen randomisiert, wobei auf eine etwa gleiche Gruppenzusammensetzung in Bezug auf Geschlecht, Alter und BMI geachtet wurde. Ziel war eine Gewichtsabnahme um 15 Prozent. In die nachfolgende Erhaltungsphase wurden dann alle Personen einbezogen, die mindestens 12,5 Prozent ihres Gewichts verloren hatten. Die Diätphase in der «Radikalkur»Gruppe (n = 97) dauerte 12 Wochen mit nur 400 bis 800 kcal pro Tag. Die Diätphase in der Gruppe mit langsamem Gewichtsverlust (n = 103) dauerte 36 Wochen, wobei hier jeden Tag durchschnittlich 500 kcal vom üblichen Konsum eingespart wurden. Das Abnehmen klappte mit der Radikalkur besser: In dieser Gruppe erreichten 76 Teilnehmer (81%) das niedrigere
Zielgewicht gegenüber nur 51 Personen (50%) in der Gruppe mit dem langsamen Gewichtsverlust. Im Anschluss ging es in eine zweijährige Phase des Gewichthaltens, in der alle Teilnehmer die gleichen Ernährungsvorgaben einhalten sollten. Am Ende waren noch 61 Personen dabei, die ehemals schnell abgenommen hatten, und 43 derjenigen mit dem langsam wirkenden Abnehmprogramm. Für den langfristigen Erfolg spielte es keine Rolle: In beiden Gruppen hatten die Teilnehmer nach zwei Jahren durchschnittlich rund 70 Prozent der verlorenen Pfunde wieder angesetzt. RBOO
Purcell K et al.: The effect of rate of weight loss on longterm weight management: a randomised controlled trial. The Lancet Diabetes & Endocrinology, early online publication, 16 October 2014, doi:10.1016/S2213-8587 (14)70200-1.
1046 ARS MEDICI 21 I 2014
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Pharmakologie
Kein Valproat für Frauen im gebährfähigen Alter
Entsprechende Warnhinweise stehen zwar bereits in den Beipackzetteln valproathaltiger Medikamente, doch das Arzneimittelsicherheitskomitee PRAC (Pharmacovigilance and Risk Assessment Committee) der europäischen Arzneimittelbehörde EMA warnt einmal mehr eindringlich vor dem Verordnen von Valproat an Frauen, die schwanger werden könnten. Wenn die Mütter in der Schwangerschaft Valproat eingenommen hatten, liegt das Risiko für Fehlbildungen wie Neuralrohrdefekt oder Gaumenspalte bei 11 Prozent im Vergleich zu 2 bis 3 Prozent bei allen Neugeborenen. Neuere Studien ergaben darüber hinaus, dass bei Vorschulkindern, deren Mütter in
der Schwangerschaft Valproat eingenommen hatten, ein 30- bis 40-prozentiges Risiko für Entwicklungsströungen wie verzögertes Laufenlernen, Gedächtnis- und Sprachprobleme sowie kognitive Beeinträchtigungen besteht, heisst es in dem Bericht der EMA. Auch das Risiko für Autismusspektrumstörungen soll um das Drei- bis Fünffache erhöht sein. Die EMA erinnert insbesondere auch daran, dass Valproat nicht nur zur Behandlung bei Epilepsie eingesetzt wird, sondern mitunter auch zur Prävention von Migräneattacken.
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EMA/612389/2014: PRAC recommends strengthening the restrictions on the use of valproate in women and girls. www.ema. europa.eu.
Infektiologie
Detaillierter Fallbericht eines Ebolapatienten
Ein vor Kurzem als geheilt aus der Universitätsklinik Hamburg Eppendorf entlassener Ebolapatient hat seine behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden und damit die rasche Publikation seines Fallberichts ermöglicht. Zu den wichtigsten neuen Erkenntnissen gehört, dass Ebolavirus-RNA im Urin und im Schweiss des Patienten wesentlich länger nachweisbar war als in Blut, Speichel oder Stuhl. Aus dem Plasma verschwand die Ebolavirus-RNA am 17. Tag, aus Speichel, Spu-
tum und Stuhl am 18. Tag. Die Urinprobe
war bis zum 31. Tag positiv, der Schweiss bis
zum 40. Tag. Man hatte den Patienten darum
erst aus der Isolierstation entlassen, nachdem
20 Tage lang keine Virus-RNA mehr nach-
weisbar war.
Der Fallbericht steht auf der Homepage des
«New England Journal» (www.nejm.org)
frei zur Verfügung.
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Kreuels B et al.: A Case of Severe Ebola Virus Infection Complicated by Gram-Negative Septicemia. N Engl J Med, online October 22, 2014.
RÜCKSPIEGEL
Vor 10 Jahren
Chemotherapie
Der Münchner Epidemiologe Dieter Hölzel zeigt auf, dass die Chemotherapie bei metastasierten Brust-, Prostata-, Lungen- und Darmtumoren entgegen der allgemein verbreiteten Wahrnehmung nicht erfolgreicher ist als vor 20 Jahren. Anders sieht es bei selteneren Krebserkrankungen aus. Bei Lymphomen, Morbus Hodgkin, Leukämien, Sarkomen und Hodenkrebs können Chemotherapien das Leben der Patienten tatsächlich wesentlich verlängern.
Vor 50 Jahren
Fett
Cholesterinarme Ernährung kommt in Mode. Im Windschatten medizinischer Debatten über das rechte Mass beim Fettverzehr bringt die Lebensmittelindustrie neue cholesterinarme Produkte als besonders gesund für Herz und Gefässe auf den Markt. Ernährungsmediziner wissen zwar schon damals, dass die Verteufelung bestimmter Nahrungsfette physiologischer Unsinn ist, am Siegeszug der Anti-CholesterinKampagnen ändert das aber nichts – bis heute.
Psychiatrie
Internetspielsucht gleicht Drogenabhängigkeit
Bei Gamern mit nachweisbarer Internetsucht ändert sich die Gehirnaktivität in ähnlicher Weise wie bei Drogenabhängigen. Das zeigte sich in vergleichenden PET-Untersuchungen bei Spielern mit und ohne Abhängigkeit von vernetzten Onlinespielen wie beispielsweise «World of Warcraft». Chinesische Forscher hatten die Hirnaktivität von 26 jungen Erwachsenen vor und nach einer 30-minütigen Spielphase untersucht. Bei 12 von ihnen war mit dem «Internet Addiction Test» nach Young eine Abhängigkeit von Onlinespielen diagnostiziert worden. Bei beiden Versuchsgruppen beobachteten die Forscher eine zu erwartende gesteigerte Aktivität in der Sehrinde. Gleichzeitig kam es bei
den 12 Abhängigen zu einer verminderten
Aktivität im Temporallappen und im prä-
frontalen Cortex. Die Zahl der Dopamin-
rezeptoren im Gehirn war umso geringer, je
höher die Abhängigkeitswerte im oben ge-
nannten Test waren. Die Kombination aus
einem Dopaminrezeptormangel und der ver-
minderten Hirnaktivität in den präfrontalen
Entscheidungszentren ist ein typisches Merk-
mal der Drogensucht, das beispielsweise
auch bei Methamphetaminsucht nachweis-
bar ist.
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Tian M et al.: PET imaging reveals brain functional changes in internet gaming disorder. Eur J Nucl Med Mol Imaging 2014; 41(7): 1388–1397 und Pressemitteilung des Berufsverbands Deutscher Nuklearmedizinier (BDN).
Vor 100 Jahren
Aspirine du Rhône
Das deutsche Unternehmen Bayer lässt 1900 den Markennamen Aspirin® patentieren. Ein französisches pharmazeutisches Unternehmen in Frankreich, die «Usines du Rhône», stellt zu dieser Zeit ebenfalls Salicylsäure her. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs hält man sich nicht mehr an den Patentschutz und verkauft ein eigenes Aspirin, das «Aspirine du Rhône». Unter diesem Namen, der heute wieder Bayer gehört, wird es noch heute in Frankreich verkauft.
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