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FORTBILDUNG
Lipidmanagement bei chronischen Nierenerkrankungen
Guideline-Update 2013 der Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO)
Die internationale Nephrologieorganisation KDIGO hat eine Guideline zum Management von Blutfetten bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung erarbeitet. Im Fokus steht das grundsätzlich deutlich erhöhte kardiovaskuläre Risiko bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, das medikamentös gesenkt werden kann.
ANNALS OF INTERNAL MEDICINE/ KIDNEY INTERNATIONAL
Die neue Guideline betont, dass auch bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion das Koronarrisiko angesichts des Nutzen-Schaden-Verhältnisses und der Kosten für die Indikation zu einer cholesterinsenkenden Therapie von grosser Wichtigkeit ist (1). Bei der Allgemeinbevölkerung erlaubt die Bestimmung des Low-density-Lipoprotein (LDL)-Cholesterins eine Abschätzung des Risikos für atherosklerosebedingte Ereignisse, obwohl dieses sich zum Baseline-Koronarrisiko und nicht zum Ausgangswert des LDL-Cholesterins proportional verhält. Bei Personen mit chronischer Nierenerkrankung ist das LDLCholesterin jedoch für die Abschätzung des Koronarrisikos nicht geeignet. Zwar gehen höhere LDL-Cholesterinwerte mit einem höheren Risiko einher, aber Dialysepatienten mit den tiefsten LDL-Cholesterinspiegeln haben immer noch ein sehr hohes kardiovaskuläres und Gesamtmortalitätsrisiko, was mit Entzündungsvorgängen und Mangelernährung er-
Merksätze
O Bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung ist das LDLCholesterin kein zuverlässiger kardiovaskulärer Risikomarker, der zur Indikation für eine cholesterinsenkende Pharmakotherapie herangezogen werden kann.
O Die Therapieindikation soll in dieser Situation auf dem absoluten Koronarrisiko und auf der Evidenz für einen Behandlungsnutzen basieren.
O Dies bedeutet, dass Patienten mit chronischer Nierenfunktionseinschränkung (eGFR < 60 ml/min/1,73 m2) ab 50 Jahren ein Statin oder eine Statin-Ezetimibe-Kombination erhalten sollen.
klärt wird. Bei Patienten mit nicht dialysepflichtiger chronischer Nierenerkrankung nimmt das durch erhöhte LDLCholesterinspiegel bedingte Überschussrisiko bei tieferen geschätzten glomerulären Filtrationsraten (eGFR) ab. Daher spricht die potenziell irreführende Assoziation zwischen Koronarrisiko und LDL-Cholesterinspiegel bei stärker eingeschränkter Nierenfunktion gegen die Verwendung dieses Blutfettparameters bei der Indikationsstellung zu einer lipidsenkenden Pharmakotherapie. Über die Schwelle zur Therapieeinleitung anhand der 10-Jahres-Inzidenz von Koronartodesfällen und nicht tödlichen Myokardinfarkten wird viel diskutiert. In der Einschätzung der Arbeitsgruppe, welche die KDIGO-Guideline entwickelt hat, ist ein 10-Jahres-Risiko, das über 10 Prozent liegt, eine vernünftige Arbeitsdefinition. Dieses Risiko ist – für Frauen und Männer – mit chronischer Nierenerkrankung ab 50 Jahren konsistent höher als 10 Prozent. Dies gilt auch für Patientinnen und Patienten, die weder einen Diabetes noch einen durchgemachten Myokardinfarkt aufweisen. Diese Überlegungen haben zu den folgenden Empfehlungen geführt.
Lipidsenkende Therapie für alle chronisch Nierenkranken ab 50 Jahren mit eGFR < 60 ml/min/1,73 m2 Für Erwachsene ab 50 Jahren mit einer eGFR < 60 ml/ min./1,73 m2, die weder mit chronischer Dialyse noch mit Nierentransplantation behandelt werden (GFR-Kategorien G3a–G5, Kasten 1), wird eine Behandlung mit einem Statin oder einer Statin/Ezetimibe-Kombination empfohlen (Empfehlungsstärke 1, Evidenzgrad A). Da bei diesen Personen das 10-Jahres-Risiko für Koronartod oder nicht tödlichen Myokardinfarkt ohnehin über 10 Prozent liegt, ist die Kenntnis des LDL-Cholesterinwerts für den Therapieentscheid nicht notwendig. In der Einschätzung der Arbeitsgruppe rechtfertigt die Kombination der Ergebnisse der randomisierten, plazebokontrollierten SHARP-Studie zusammen mit Post-hoc-Analysen randomisierter Studien bei der Allgemeinbevölkerung, teilweise mit vorbestehendem erhöhtem Koronarrisiko, diese starke Empfehlung.
Statinbehandlung ab 50 Jahren auch bei leichter Nierenfunktionseinschränkung Für Erwachsene ab 50 Jahren mit chronischer Nierenerkrankung und eGFR ≥ 60 ml/min/1,73 m2 (GFR-Kategorien G1–G2) wird eine Statinbehandlung empfohlen (Empfehlungsstärke 1, Evidenzgrad B). Die meisten Patienten mit
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Kasten 1:
Kategorien der glomerulären Filtrationsrate (GFR) nach KDIGO
Kategorie G1 G2 G3a G3b G4 G5
Nierenfunktion normal oder hoch mild eingeschränkt mild bis moderat eingeschränkt moderat bis schwer eingeschränkt schwer eingeschränkt Nierenversagen
GFR ≥ 90 ml/min/1,73 m2 60–89 ml/min/1,73 m2 45–59 ml/min/1,73 m2 30–44 ml/min/1,73 m2 15–29 ml/min/1,73 m2 < 15 ml/min/1,73 m2
chronischer Nierenerkrankung und einer eGFR von 60 ml/ min./1,73 m2 oder mehr haben eine Albuminurie, und viele von ihnen dürften unerkannt auch in randomisierten Statinstudien vertreten gewesen sein, da der Ausgangswert der Albuminurie oft nicht erfasst wurde. Der Nutzen einer Statinmonotherapie scheint bei Patienten mit und ohne Albuminurie ähnlich zu sein. Angesichts der umfangreichen Daten zum Nutzen einer Statinbehandlung in der Allgemeinbevölkerung hat die Arbeitsgruppe diese starke Empfehlung beschlossen.
Statinbehandlung schon bei Jüngeren mit zusätzlichen Risikofaktoren Bei Erwachsenen zwischen 18 und 49 Jahren mit chronischer Nierenerkrankung ohne Dialyse oder Transplantation schlägt die Arbeitsgruppe eine Statinbehandlung vor, wenn einer oder mehrere der folgenden Risikokonstellationen vorliegen:
bekannte Koronarerkrankung (Myokardinfarkt oder Revaskularisation), Diabetes mellitus, durchgemachter Stroke, geschätzte 10-Jahres-Inzidenz für Koronartod oder nicht tödlichen Myokardinfarkt über 10 Prozent (Empfehlungsstärke 2, Evidenzgrad A). Bei diesen jüngeren Patienten sollte neben den anderen Risikofaktoren auch das LDL-Cholesterin berücksichtigt werden. Bei einem 10-Jahres-Risiko unter 10 Prozent kann dennoch eine Statinbehandlung stattfinden, wenn der Patient dies in Kenntnis der Risiken von Polypharmazie und Medikamentennebenwirkung wegen der Reduktion des absoluten Herz-Kreislauf-Risikos ausdrücklich wünscht.
Bei Dialysepatienten keine lipidsenkende Therapie neu anfangen Bei Erwachsenen mit dialysepflichtiger chronischer Nierenerkrankung schlägt die Guideline vor, keine Statin- oder Statin/Ezetimibe-Therapie anzufangen (Empfehlungsstärke 2, Evidenzgrad A). Drei grosse randomisierte Studien konnten keinen schlüssigen Nutzen einer Statinbehandlung bei Patienten unter bestehender Dialyse nachweisen. Dies könnte an einer inadäquaten statistischen Power der Studien gelegen haben. Aber selbst wenn eine relative Risikoreduktion durch Statine bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz vorläge, dürfte sie sicher wesentlich geringer ausfallen als in früheren Stadien der Nierenerkrankung. Im Einzelfall ist auch auf Patientenwunsch und Begleitkonstellation (kardiovaskuläre Risikofaktoren, Lebenserwartung, Komedikationen) abzustellen.
Vorbestehende lipidsenkende Therapie bei Dialysebeginn fortführen Für Erwachsene, die zum Zeitpunkt des Dialysebeginns schon ein Statin oder eine Statin/Ezetimib-Kombination einnehmen,
Kasten 2:
Empfohlene Dosierungen von Statinen bei Erwachsenen mit chronischer Nierenerkrankung
eGFR-Kategorien G1–G2: In diesen Stadien mit leicht eingeschränkter Nierenfunktion können alle Statine in den für die Allgemeinpopulation zugelassenen Dosierungen eingesetzt werden
eGFR-Kategorien G3a–G5: Fluvastatin (Lescol® oder Generika) Atorvastatin (Sortis® oder Generika) Rosuvastatin (Crestor®)
Simvastatin/Ezetimibe (Inegy®) Pravastatin (Mevalotin®, Selipran® oder Generika) Simvastatin (Zocor®) Pitavastatin (Livazo®)
80 mg/Tag 20 mg/Tag 10 mg/Tag
20/10 mg/Tag 40 mg/Tag
40 mg/Tag 2 mg/Tag
basierend auf der ALERT-Studie (Assessment of Lescol in Renal Transplantation)
basierend auf der 4D-Studie (Die Deutsche Diabetes-Dialyse)
basierend auf der AURORA-Studie (A Study to evaluate the Use of Rosuvastatin in subjects On Regular haemodialysis: Assessment of survival and cardiovascular events)
basierend auf der SHARP-Studie (Study of Heart and Renal Protection)
eGFR: geschätzte glomeruläre Filtrationsrate Rosuvastatin 40 mg wird bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung G1–G2, die keine Transplantate erhalten haben, nicht empfohlen, da es in dieser Situation das Risiko von Nierennebenwirkungen erhöhen kann. Ciclosporin hemmt den Metabolismus gewisser Statine und kann daher zu höheren Blutkonzentrationen führen.
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schlägt die Guideline vor, diese Therapie fortzuführen (Empfehlungsstärke 2, Evidenzgrad C). In den verfügbaren Studien wurde diese Fragestellung nicht explizit untersucht. In einer Untergruppe von Patienten der SHARP-Studie waren auch Individuen vertreten, bei denen im Studienverlauf eine Dialyse begonnen wurde. Sie wurden zusammen mit den Nichtdialysepatienten erfasst und erfuhren deren Gesamtnutzen. Für ihre schwache Empfehlung stellt die Arbeitsgruppe auf diesen Hinweis ab. In jedem Fall sollte man bei einer Fortführung der lipidsenkenden Therapie die Faktoren, die für eine Fortführung oder ein Absetzen sprechen, regelmässig überprüfen.
Nierentransplantierte mit einem Statin behandeln Für erwachsene Empfänger eines Nierentransplantats schlägt die Guideline eine Statinbehandlung vor (Empfehlungsstärke 2, Evidenzgrad B). Nierentransplantatträger haben ein deutlich erhöhtes kardiales 10-Jahres-Risiko von etwa 21,5 Prozent. In der ALERT-Studie mit Fluvastatin war die Risikoreduktion bei Koronartod und nicht tödlichem Myokardinfarkt im Vergleich zu Plazebo zwar statistisch zunächst nicht signifikant. Eine nicht verblindete Fortsetzungsstudie fand jedoch nach 6,7 Jahren Follow-up für Patienten, die Fluvastatin erhielten, eine signifikante Reduktion dieses primären Endpunkts. Diese Beobachtungen sprechen zusammen mit den Daten aus der Allgemeinbevölkerung dafür, dass Statine auch bei Patienten mit funktionstüchtigem Nierentransplantat nützlich sind.
Lipidprofil für alle neu diagnostizierten Patienten mit chronischer Nierenerkrankung Bei Erwachsenen mit neu erkannter chronischer Nierenerkrankung, inklusive solcher mit Dialyse oder Nierentransplantat, soll eine Abklärung mit Lipidprofil (Gesamt-, LDL-, HDL-Cholesterin, Triglyzeride) erfolgen (Empfehlungsstärke 1, Evidenzgrad C). Eine Dyslipidämie ist bei Personen mit chronischer Nierenerkrankung häufig, liegt aber nicht immer vor. Für eine Dyslipidämie sind glomeruläre Filtrationsrate, Vorliegen einer Diabetes, Schweregrad der Proteinurie, Komorbiditäten sowie Ernährungszustand wichtige Determinanten. Die Durchführung eines initialen Lipidprofils (möglichst aus Nüchternblut) dient vor allem der Erkennung einer schweren Hypercholesterin- oder Hypertriglyzeridämie sowie sekundärer Dyslipidämien. Zwar gibt es keine verbindlichen Werte, aber nach Auffassung der Arbeitsgruppe ist bei Nüchtern-Triglyzeridkonzentrationen über 11,5 mmol/l (1000 mg/dl) oder LDL-Cholesterinspiegeln über 4,9 mmol/l (190 mg/dl) eine Überweisung an einen Lipidspezialisten zu erwägen. Es gibt keine direkte Evidenz für bessere Outcomes, wenn der Lipidstatus gemessen wird. Infolge des geringen Aufwands, der relativ niedrigen Kosten und des Potenzials zur Erfassung und Behandlung sekundärer Dyslipidämien hat sich die Arbeitsgruppe zu dieser starken Empfehlung entschlossen.
Patienten nicht erforderlich (Empfehlung ohne Evidenzgrad). Frühere Empfehlungen haben die Steigerung der lipidsenkenden Therapie bis zum Erreichen spezifischer LDL-Cholesterinwerte betont (Treat-to-Target-Strategie). Dahinter stand die Erwartung, dass intensivere Therapien zu einer Senkung des kardiovaskulären Risikos führen, ohne die Nebenwirkungen zu erhöhen. Die Arbeitsgruppe rückt daher von diesen Empfehlungen ab. Kontrollen der Lipidwerte sollen nach ihrer Einschätzung nur dann erfolgen, wenn die Ergebnisse das weitere Management verändern.
Wie dosieren? Angesichts des Toxizitätspotenzials höherer Statindosen und des relativen Mangels an Daten zur Sicherheit intensiver Statintherapien bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung schlägt die Arbeitsgruppe für Patienten mit deutlicher eingeschränkter Nierenfunktion (eGFR < 60 ml/min/1,73 m2) die in Kasten 2 aufgeführten Dosierungen für Statine beziehungsweise die Statin-Ezetimibe-Kombination vor. Sie plädiert damit anstelle der Treat-to-Target- für eine Fire-andForget-Strategie ohne weitere Anpassung der Statindosis auf Basis des LDL-Cholesterins. Als Vorteile dieser Strategie nennen die Autoren das einfachere Vorgehen, die bessere Resourcennutzung (weniger Laborkosten, keine HochdosisStatintherapien) und das geringere Nebenwirkungsrisiko dank niedrigerer Statindosen. Diese Synopse hat sich auf die acht für die alltägliche Praxis wichtigsten Empfehlungen beschränkt. Die Originalguideline enthält noch einige weitere Gesichtspunkte zum Vorgehen bei Kindern mit chronischer Nierenerkrankung (2). O
Halid Bas
Quellen: 1. Tonelli M, Wanner C; for the Kidney Disease: Improving Global Outcomes Lipid Guide-
line Development Work Group Members: Lipid Management in Chronic Kidney Disease: Synopsis of the Kidney Disease: Improving Global Outcomes 2013 Clinical Practice Guideline. Ann Intern Med, published online, 10. Dezember 2013. 2. KDIGO Clinical Practice Guideline for Lipid Management in Chronic Kidney Disease. Kidney Int Suppl, November 2013, Volume 3, Issue 3. www.kidney-international.org.
Bei den meisten chronischen Nierenpatienten müssen die Lipidwerte nicht weiter kontrolliert werden Bei Erwachsenen mit chronischer Nierenerkrankung, inklusive solcher mit Dialyse oder Nierentransplantat, ist eine Follow-up-Messung der Lipidspiegel für die Mehrheit der
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