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BERICHT
Schmerzen nach «kleinen Eingriffen» bei Kindern
61. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DAC) Symposium «Sichere und effektive Schmerztherapie im Kindesalter», Leipzig, 9. Mai 2014
Die Angst von Kindern vor Schmerzen wird gewaltig unterschätzt. Kinder wollen keine Schmerzen erfahren – und sollen es auch nicht. Auf dem Symposium «Sichere und effektive Schmerztherapie im Kindesalter» des Deutschen Anästhesiekongresses 2014 ging Dr. Karin Becke, Klinik Hallerwiese in Nürnberg, auf die postoperative Schmerztherapie bei Kindern ein.
Merksätze
O Postoperative Schmerzen bei Kindern sind stark und bedürfen eines multimodalen Therapiekonzepts.
O Besonders zu empfehlen ist Metamizol, welches neben einer analgetischen Wirkung auch eine gute spasmolytische Effektivität besitzt.
O Auch das nicht steroidale Antirheumatikum (NSAR) Ibuprofen lindert effektiv postoperative Schmerzen. In aktuellen Studien war die Erhöhung des Blutungsrisikos bei Kindern nach Tonsillektomie nicht signifikant.
O Die analgetische Wirkung von Paracetamol ist häufig nicht ausreichend und kann bei rektaler Gabe zu spät auftreten.
O Die enterale Gabe von NSAR sollte gegenüber der Gabe von Paracetamol bevorzugt werden.
CLAUDIA BORCHARD-TUCH
Kinder leiden unter starken postoperativen Schmerzen, die oft unzureichend behandelt werden. Dies geht aus einer grossen Untersuchung hervor, die von Dr. Becke vorgestellt wurde. Die prospektive Kohortenstudie, welche im Rahmen des Projekts «Qualitätsverbesserung in der perioperativen Schmerztherapie» (QUIPS) durchgeführt worden war, stufte die Schmerzen von 50 523 Patienten nach 179 verschiedenen chirurgischen Eingriffen ein (1). Die numerische Ratingskala (NRS) reichte bis zu einem Maximalschmerz von 10, wobei die Appendektomie einen mittleren NRS von 5,95 und die Tonsillektomie einen NRS von 5,89 erreichte. Diese beiden zumeist bei Kindern durchgeführten Eingriffe gehörten somit zu den Eingriffen mit starken postoperativen Schmerzen, welche einer Behandlung bedürfen. Dr. Becke empfiehlt ein multimodales Therapiekonzept. Eine Regionalanästhesie sei günstig, jedoch nicht immer möglich – beispielsweise nach einer Tonsillektomie. Es kommen nicht opioide Analgetika wie Paracetamol, Ibuprofen, Metamizol oder Diclofenac zum Einsatz. Um die Schmerzlinderung zu verstärken, können Dexamethason, Clonidin und Ketamin verabreicht werden. Bei sehr starken Schmerzen kann das Opioid Nalbuphen gegeben werden. Es führt selbst bei einer zehnfachen Überdosierung nicht zu einer Atemdepression und unterliegt nicht dem Betäubungsmittelrecht.
Besonders zu empfehlen: Metamizol Ausführlich ging Dr. Becke auf die nicht opioiden Analgetika ein, und zwar auf Metamizol, Ibuprofen und Paracetamol. Nach Auffassung der Re-
ferentin kann Metamizol besonders empfohlen werden. Seine zusätzliche spasmolytische Wirkung erhöht seine Wirksamkeit bei Kolikschmerzen. Dr. Becke stellte eine Anwendungsbeobachtung vor, welche sie 2013 mit anderen Wissenschaftlern in mehreren Kliniken begonnen hatte. Bisher wurden 700 Kinder untersucht, und in keinem Fall traten schwere Nebenwirkungen auf. Die schwerste Nebenwirkung von Metamizol ist die Agranulozytose. Laut Anwendungsbeobachtung der Referentin und neueren prospektiven Studien ist das Risiko der Agranulozytose in Mitteleuropa jedoch sehr niedrig. Weitere unerwünschte Wirkungen sind Hypotensionen und anaphylaktische Reaktionen, welche jedoch gemäss Dr. Becke bei Kindern kein klinisch relevantes Problem darstellen. Die von ihr und ihrem Team beobachteten Nebenwirkungen waren reversible Haut- und Schleimhautveränderungen. Bei der postoperativen Schmerztherapie beträgt der i.v. Bolus (Kurzinfusion über 15 min) 10–20 mg/kg KG/Dosis. Sinnvollerweise gibt man Metamizol bei liegendem i.v. Zugang als Dauerinfusion (2,5–3,0 mg/kg KG/h).
Auf Platz 2: Ibuprofen Das nicht steroidale Antirheumatikum (NSAR) Ibuprofen kann bei Kindern als Saft, als Brausegranulat oder als Suppositorium eingesetzt werden. Die gute analgetische und antipyretische Wirksamkeit von Ibuprofen wurde in zahlreichen internationalen Studien nachgewiesen. Wie Dr. Becke feststellt, ist das Toleranz- und Sicherheitsprofil von Ibuprofen vergleichbar mit dem von Paracetamol. Empfohlen wird eine Dosis von 10 mg/kg KG, wobei eine Tagesdosis von 40 mg/kg KG nicht überschritten werden sollte.
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BERICHT
Da Ibuprofen die Zyklooxygenase hemmt und damit die Thrombozytenaggregation beeinflusst, ist es denkbar, dass Ibuprofen das Risiko für eine postoperative Nachblutung erhöht. Die Referentin verwies diesbezüglich auf Untersuchungen, welche in der Türkei an Kindern nach einer Tonsillektomie durchgeführt worden waren. Die Studien zeigten, dass weder Ibuprofen noch Metamizol die Häufigkeit einer Nachblutung erhöht hatten. Auch ein Cochrane-Review, welcher 15 Studien an insgesamt 1101 Kindern mit einer Tonsillektomie analysiert hatte, ergab, dass die Erhöhung des Blutungsrisikos nicht signifikant war (2).
Nicht ganz empfehlenswert: Paracetamol Paracetamol zeichnet sich durch eine gute antipyretische, jedoch lediglich eine schwache bis mittlere analgetische Wirkung aus. Es kann als Zäpfchen, als
Tablette, aber auch als Kurzinfusion eingesetzt werden. Problematisch seien die pharmakokinetischen Eigenschaften, so Dr. Becke. Wird es als Suppositorium verabreicht, ist die Resorption individuell sehr verschieden. Teilweise tritt die analgetische Wirkung erst zwei Stunden nach Applikation auf. Bei rektaler Gabe wird eine hohe initiale Dosis von 45 mg/kg KG empfohlen, welche bereits über der Hälfte der empfohlenen Tagesdosis von 80 mg/kg KG liegt. Ein Kind unter 10 kg KG darf höchstens 7,5 mg/kg KG erhalten, sodass keine ausreichende analgetische Wirkung erzielt werden kann. Die leberzellschädigende Wirkung von Paracetamol beruht auf der Bindung reaktiver Paracetamolmetaboliten an Leberzellproteine. Zudem kann seine Gabe in Zusammenhang mit Asthma, Kryptorchismus und Autismus stehen. Kontraindikationen für Paracetamol sind ein genetisch bedingter Mangel an
Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase
sowie schwere Leber- und Nierenschä-
den.
Die sich derzeit in Überarbeitung befin-
denden S3-Leitlinien zur Behandlung
akuter perioperativer und posttrauma-
tischer Schmerzen weisen darauf hin,
dass die enterale Gabe von NSAR ge-
genüber Paracetamol Vorteile hat und
insbesondere bei entzündungsbeding-
ten Schmerzen indiziert ist.
O
Claudia Borchard-Tuch
Interessenlage: Es liegen keine Interessenkonflikte vor.
Literatur: 1. Gerbershagen HJ et al.: Pain intensity on the first day
after surgery. A prospective cohort study comparing surgical procedures. Anaesthesiology 2013; 118(4): 934–944. 2. Lewis SR et al.: Nonsteroidal anti-inflammatory drugs and perioperative bleeding in paediatric tonsillectomy. Cochrane Database Syst Rev 2013; 7: CD003591.
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