Transkript
ECHO
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Verrat?
Das Abstimmungsresultat über die Grundversorgung ist eindeutig. Es zeigt die Wertschätzung der Bevölkerung gegenüber den Haus- und Kinderärzten und – dass sie diese erhalten will. Aber eigentlich wurde das Volk durch den Verband Hausärzte Schweiz in die Irre geführt. Oder drastischer gesagt: verraten.
Die Vorlage führt, auf längere Zeit gesehen, zu einer Schwächung der Haus- und Kinderärzte und nicht zu ihrer Stärkung. In der Verfassung ist nämlich neu eine ausreichende medizinische Grundversorgung und keineswegs eine hochstehende medizinische Versorgung durch Fachärztinnen und Fachärzte der Hausarztmedizin festgeschrieben. Diejenigen, die vor zwei Jahren die Managed-Care-Vorlage abgelehnt haben, weil sie die freie Arztwahl wollten, wurden betrogen. Die ökonomiefreundlichen Kreise haben erreicht, was sie wollten. Den Hausarzt kann man nicht durch Apotheker, Hebammen, Spitexpersonal und so weiter ergänzen oder ersetzen! Ärztliche Tätigkeiten kann keine andere Berufsgruppe übernehmen. Anderer Meinung ist Dr. Stefan Spycher, Bundesamt für Gesundheit: «Der Patient oder die Patientin braucht nicht bei jeder Konsultation zwingend den Arzt oder die Ärztin.» (1) Auch Prof. Dr. med. P. Tschudi (Mitinitiant der Initiative «Ja zur Hausarztmedizin») macht deutlich: «Nebst Haus- und Kinderärzten werden auch gut ausgebildete Fachpersonen wie Physiotherapeuten, Hebammen und Apotheker dringend gebraucht. Mit dem neuen Verfassungsartikel legt man die entsprechende Grundlage. Zudem werden nicht die Generalisten in der Verfassung verankert, sondern vielmehr deren Funktion.» (2) Auch er spricht von einem «richtungsweisenden Systementscheid». Noch deutlicher wird der Bund bezüglich Grundversorgung: «Deshalb sollte in Zukunft verstärkt auf eine integrierte Versorgung hingearbeitet werden, in der zur Beratung, Triage und Behandlung der Patientinnen und Patienten auch andere Fachpersonen der medizinischen Grundversorgung einbezogen werden. Zu denken ist dabei an Apothekerinnen, Pflegepersonal oder Personen weiterer therapeutischer Berufe.» (3) Das Volk hat Ja gesagt in der Meinung, dadurch die gute medizinische Versorgung durch den Haus- und Kinderarzt und durch mehr gut ausgebildete Hausärzte zu stärken. Es hat nicht Ja gesagt zur Stärkung von Apothekern, Hebammen beziehungsweise zum geplanten Systemwechsel. Das grenzt an Betrug.
Helfershelfer dieser Farce ist die Spitze des Verbands Haus-
ärzte Schweiz. Ihr Vorgehen erinnert an europäische Usan-
zen: Man beschliesst etwas, stellt es in den Raum und war-
tet ab, ob etwas passiert. Wenn kein Protest aufflammt und
keine Aufstände entstehen, weil die meisten nicht begreifen,
was beschlossen wurde, macht man weiter – Schritt für
Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt (4). Vor zwei Jahren
ist dem Verband Hausärzte Schweiz die Einführung einer
Zweiklassenmedizin mittels Managed Care nicht gelungen.
Jetzt hat er es wieder versucht. Ohne Diskussion und De-
batte haben alle dem Hausarztverband und den Politikern
vertraut und blindlings – mit wenigen Ausnahmen – die
Ja-Parole ausgegeben. Auch innerhalb der Ärzteschaft hat
keine Diskussion stattgefunden – weil niemand so etwas
erwartet hätte!
Nun, die Folgegesetze stehen noch nicht, und wir können
noch Einfluss darauf nehmen. Ich bin der Meinung, dass
die komplette Umgestaltung unseres Gesundheitswesens
durch das Kosten-Nutzen-Denken noch verhindert und der
Volkswille – die Versorgung durch den Hausarzt soll be-
wahrt bleiben – umgesetzt werden kann. Ich bitte alle, die
wie ich der Meinung sind, dass die Grundversorgung durch
Kinder- und Hausärzte gestärkt werden muss, ihre Stimme
hören zu lassen. Wenn wir gemeinsam auftreten, können
wir viel erreichen, das heisst verhindern, dass ein System-
wechsel hinter dem Rücken des Volkes stattfindet. Über
jede Kontaktnahme würde ich mich freuen.
O
Dr. med. Angelo Cannova, Zürich E-Mail: acannova@hin.ch
Quellen: 1. Warum braucht es aus der Sicht des Bundes neue Versorgungsmodelle? Stellung-
nahme Dr. Stefan Spycher, Bundesamt für Gesundheit, 2.4.2012. 2. Quelle: Medical Tribune, 47. Jahrgang, Nr. 20, 16.5.2014. 3. Botschaft des Bundesrates zur Volksinitiative «Ja zur Hausarztmedizin»
vom 16.9.2011, S. 7568. 4. Jean Claude Juncker, Premierminister von Luxemburg und Vorsitzender der Euro-
Gruppe, Spiegel Nr. 52, 27.12.1999.
996 ARS MEDICI 20 I 2014