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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Vitaminsupplemente
Zu viel des Guten
In der Überzeugung, seiner Gesundheit etwas Gutes zu tun, greift so mancher nach Vitaminpräparaten und anderen Ernährungssupplementen. Vielleicht nützt es ja, und schaden kann es ja wohl kaum, oder? Ein Fallbericht aus Grossbritannien erinnert nun einmal mehr daran, dass Vitaminsupplemente in allzu hoher Dosierung erheblichen Schaden anrichten können. Der Patient mittleren Alters wurde von seinem Hausarzt ins Spital eingewiesen. Er hatte innert 3 Monaten rund 13 kg abgenommen und litt unter rezidivierendem Erbrechen, Übelkeit, Abdominalschmerzen, Beinkrämpfen, Tinnitus, trockenem Mund, gesteigertem Durst und Diarrhö. Begonnen hatten die Beschwerden 1 Monat nach dem Start einer astronomisch hoch dosierten «Vit-
amintherapie», die ihm ein privater Ernährungsberater verordnet hatte. Täglich nahm der Patient folgenden Cocktail zu sich (in Klammern Angaben zur empfohlenen Zufuhr): Vitamin D 150 000 IE (400 IE), Vitamin K2 100 µg (100–300 µg), Vitamin C, Vitamin B9 (Folat) 1000 µg (400 µg), Vitamin B2 (Riboflavin), Vitamin B6, Omega 3 4000 mg (200–500 mg), Selen, Zinkpicolinat 15 mg (11 mg), Vitamin B3 50 mg (16 mg), Super-12-Complex 1000 µg, 1 Tropfen 15%ige Lugol-Lösung, Boraxpulver, L-Lysin 500 µg (1000–1500 µg) mit N-Acetylcystein 600 mg (600–1800 mg), Wobenzym N 400, Astaxanthingel 18 mg, Magnesiummalat 1000 mg, Magnesiumcitrat 1480 mg, Taurin 1 bis 2 g, Glycin 1 g, Cholin (mit Inositol) 100 mg, Kalziumorotat 1000 mg, Probiotika und ein Glukosamin-/ChondroitinKomplex-Präparat. Obwohl der Patient die Supplemente abgesetzt hatte, waren die Beschwerden nicht zurückgegangen. Als Ursache der Beschwerden identifizierten die behandelnden Ärzte eine Vitamin-D-Intoxikation und die dadurch bedingte schwere Hyperkalziämie (Serumkalzium 3,9 mmol/l). Der Patient wurden i.v. rehydriert, und er
erhielt orale Bisphosponate, weil diese
die Aktivität der Osteoklasten hemmen
und damit den Kalziumspiegel im Se-
rum senken. Weitere Optionen bei
Hyperkalziämie seien eine kalzium-
arme Ernährung und Steroide, so die
Autoren des Fallberichts. Der Patient
verliess das Spital nach 8 Tagen, und er
wurde weiterhin engmaschig betreut.
Nach 2 Monaten war sein Serum-
kalzium auf 2,6 mmol/l gesunken, der
Vitamin-D3-Wert lag immer noch
> 400 nmol/l, was langen Halbwerts-
zeiten im Vitamin-D-Stoffwechsel ge-
schuldet ist.
Die Autoren weisen darauf hin, dass es
einen weltweiten Trend in Richtung
Hypervitaminose D gebe, die durch er-
höhte Vitamin-D3-Serumwerte charak-
terisiert sei. Beide Begriffe, Hypervit-
aminose D und Vitamin-D-Intoxika-
tion würden in der Literatur oft syno-
nym verwendet, gemeint sei damit aber
entweder ein Wert von > 250 nmol/l
(= Hypervitaminose D) oder ein Wert
von > 375 nmol/l (= Vitamin-D-Intoxi-
kation).
RBO s
Alkundi A et al.: Vitamin D intoxication and severe hypercalcaemia complicating nutritional supplements misuse. BMJ Case Rep. 2022;15(7):e250553.
Foto: Towfiqu Barbhuiya, Unsplash
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ARS MEDICI 14–16 | 2022