Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Was für die Älteren unter uns «Carpe diem!», ist für die Jüngeren (oder war, denn die Abkürzung wurde bereits 2012 zum Jugendwort des Jahres gewählt) «YOLO» (You only live once). Ein banaler Rat, von vielen gehasst und doch irgendwie bedenkenswert.
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Vor Corona starben die Menschen an den Abgasen von Dieselautos – erinnern Sie sich? Statistisch gesehen, zuTausenden, begleitet von täglichen Berichten über Stickoxid- und Feinstaubmessungen an allen denkbaren Orten: in Büros, neben brennenden Kerzen, auf Dackelschnauzenhöhe am Strassenrand. Auch an den Folgen der Holzverfeuerung in Cheminées starben – theoretisch – massenhaft Mitbürger. Corona sei Dank: Wenigstens diese Katastrophe haben wir überwunden. Ohne Impfung. Einfach durch Vergessen bei den Journalisten.
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Bergsteigen wird immer mehr zur Bergraserei. Hatte Ueli Steck für die Eigernordwand noch gut 3 Stunden benötigt, spurteten die jüngsten Speedrekordhalter in 13 Stunden, 8 Minuten und 49 Sekunden auf Eiger, Mönch UND Jungfrau – rund 30 km bei 4780 Höhenmetern. Ein kleiner Lichtblick angesichts dieser absurden Gipfelhetzerei in den Alpen: Noch immer gibt es Berge, die nicht bestiegen wurden. Der höchste, der noch keinen Menschen auf seinem Gipfel ertragen musste, ist der Gangkhar Puensum mit 7570 m. Nicht weil er zu schwierig zu besteigen wäre, sondern weil in Bhutan Bergsteigen über 6000 m verboten ist. Die einfache Erklärung: Dort oben leben Götter und Geister, die nicht gestört werden wollen. Was für ein wunderbar begründetes Verbot.
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Ein Herr T. – natürlich aus Zürich – fragt ernsthaft, ob es nicht unhöflich sei, in einem edlen Restaurant den Teller leer zu essen, weil man dem Chef oder Koch damit ja signalisiere, man sei verfressen oder aber, es sei nicht genug gewesen. Vielleicht war’s ja alsWitz gedacht, wobei … Es ist zu befürchten, dass gewisse Leute tatsächlich keine grösseren Sorgen haben. Food Waste aus Höflichkeit sozusagen – da fragt man sich, was der Herr sonst noch so zu sich nimmt.
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Unsere Toblerone, 1908 erfunden, formal den Alpen nachempfunden, zu Beginn mit einem Adler, später mit dem Berner Bären und seit 1970 mit dem Bild unseres Matterhorns versehen, kommt bald nicht mehr aus unserer Hauptstadt, sondern aus der Slowakei und gilt dann nicht mehr als «Schweizer Milchschokolade». Katastrophe? Na ja, eigentlich gehört Toblerone längst nicht mehr uns, sondern ist seit 1990 Teil der Produktepalette des US-Konzerns Mondelez International Inc. (früher Kraft Foods), genau wie Suchard, Oreo, Stimorol, Daim und Milka. Mondelez was? Noch nie gehört. Skandalöse Globalisierung! Nicht einmal vor unserer Schokolade macht sie Halt. Oder anders gesagt: Für gutes Geld verkaufen wir alles und jedes, egal wem und was er damit vorhat. Am Ende gehört Nestlé den Chinesen, die Post einem Ölscheich und Victorinox den Russen. Na und?
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Anmerkung: Den Toblerone-Skandal (bzw. die «Toblerone-Affäre») gab’s wirklich. Allerdings in Schweden. Die SP-Politikerin Mona Sahlin hatte verschiedene Klein- und Nettigkeiten für sich privat mit einer dienstlichen Kreditkarte bezahlt, darunter auch zwei Tafeln Toblerone. Die Schweizer Schokolade kostete
sie ihre Karriere als Parteivorsitzende. Nun denn, Schokolade soll ja beruhigen, Frau Sahlin hat hoffentlich ausreichend davon eingekauft. Ganz sicher waren die Schoggizacken bekömmlicher als die Spitzen der politischen Gegner.
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Sepp Blatter (86) und Michel Platini (67) wurden vom Bundesstrafgericht vom Korruptionsvorwurf freigesprochen. Das passte nicht jedem. So mancher ausländische (deutsche) Journalist und «FIFA-Experte» glaubte, die strafrechtliche Relevanz der Anschuldigungen besser beurteilen zu können als die Bundesrichter, und war überzeugt, das Gericht habe sich lächerlich gemacht und sei eigentlich korrumpiert gewesen. Irgendwie lustig, wenn ausgerechnet Leute, denen – quasi als zentrales Element ihrer Rechtsauffassung – die Vorverurteilung wichtiger ist als die Unschuldsvermutung, richtige Juristen angifteln.
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Der alte Cicero hat’s gesagt: «Der Staatsdienst muss zum Nutzen derer geführt werden, die ihm anvertraut sind, nicht zum Nutzen derer, denen er anvertraut ist.»
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Und das meint Walti: Du kannst dich über deine Eltern beschweren, bis du 30 bist. Aber danach solltest du ihnen für nichts mehr die Schuld geben.
Richard Altorfer
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ARS MEDICI 14–16 | 2022