Transkript
STUDIE REFERIERT
Arthrose in Hand- und Kniegelenken – gibt es einen Zusammenhang?
Bei Verschleisserscheinungen an Hand- und Fingergelenken auch andere Gelenke untersuchen
Eine niederländische Arbeitsgruppe untersuchte, welche Handund Fingergelenke im Krankheitsverlauf bevorzugt von arthrotischen Veränderungen befallen werden und ob es einen Zusammenhang zwischen dem Fortschreiten der Handarthrose und der Progression einer Gonarthrose gibt.
ANNALS OF THE RHEUMATIC DISEASES
Die Handarthrose betrifft oft mehrere Gelenke. Meist liegt ein symmetrischer Befall vor (d.h., es sind die gleichen Gelenke der rechten und linken Hand betroffen), gefolgt von einem «Clustering» der Gelenkreihen (Befall mehrerer distaler Interphalangealgelenke [DIP] oder proximaler Interphalangealgelenke [PIP]) oder des Strahls (Befall des DIP und PIP desselben Fingers). Diese Befallsmuster konnten sowohl bei der radiologisch nachweisbaren als auch bei der symptomatischen Handarthrose aufgezeigt werden. Studien haben ergeben, dass der symmetrische
Merksätze
O Patienten mit fortschreitender Handarthrose weisen oft auch arthrotische Veränderungen der Kniegelenke auf.
O Familiäre Faktoren sind bei der Progression der Handarthrose von Bedeutung.
O Es gibt Hinweise, dass systemische Faktoren an der Pathogenese der Handarthrose beteiligt sind.
Gelenkbefall am häufigsten vorkommt; dies spricht dafür, dass bei der Entwicklung der Handarthrose systemische Faktoren eine wichtigere Rolle spielen als mechanische Faktoren. Alle Daten zu diesem Thema stammen aus Querschnittsstudien, und es ist unklar, ob diese Muster auch in den Krankheitsverlauf der Handarthrose involviert sind. Bei Patienten mit Handarthrose findet sich oft auch eine Arthrose anderer Gelenke. Am stärksten ist die Handarthrose mit dem Vorliegen oder der zukünftigen Entwicklung einer Kniearthrose assoziiert. Um Personen mit einem erhöhten Risiko für eine Arthroseprogression identifizieren zu können, ist die Assoziation zwischen dem Fortschreiten der Hand- und Gonarthrose von Interesse. Eine niederländische Arbeitsgruppe untersuchte in einer Kohorte aus Patienten mit Handarthrose O das Fortschreiten der Handarthrose
innerhalb der Hand- und Fingergelenke, O den Zusammenhang zwischen der Progredienz der Hand- und der Gonarthrose.
Die Nachbeobachtungszeit erstreckte sich über 6 Jahre. Da die Population aus Geschwisterpaaren bestand, konnten die Untersucher auch die Rolle familiärer Faktoren bei der Progredienz der Handarthrose beurteilen.
Methoden Bei der GARP (Genetics, Arthrosis and Progression)-Studie handelt es sich um eine Kohortenstudie, in der untersucht wird, welche Faktoren für die Arthroseanfälligkeit und -progredienz von Bedeutung sind. Die Studienpopulation setzt sich aus 192 Geschwisterpaaren kaukasischen Ursprungs zusammen, die an einer symptomatischen Arthrose
verschiedener Hand- und Fingergelenke oder an einer Arthrose an mindestens zwei der folgenden Gelenke leiden: Hand, Knie, Hüfte oder Wirbelsäule. Für die vorliegende Analyse wurden 236 Patienten mit Handarthrose berücksichtigt. Bei ihnen wurden Röntgenaufnahmen der Hände (dorsal-volar) und der Kniegelenke (posterior-anterior, Aufnahme im Stehen) angefertigt, und es wurde untersucht, ob sich im Verlauf von 6 Jahren eine radiologische Progredienz feststellen liess. Diese war definiert als Veränderung von Osteophyten oder als nachweisbare Gelenkspaltverschmälerung. Zur Beurteilung wurde der OARSI (Osteoarthritis Research Society International)-Atlas verwendet, bei dem Osteophyten und Gelenkspaltverschmälerung von 0 bis 3 klassifiziert werden. Bewertet wurden folgende Gelenke: DIP, PIP, Interphalangealgelenk-1, Karpometakarpalgelenk-1, Metakarpophalangealgelenke, Gelenke zwischen Kahnbein, Trapezium und Trapezoid sowie laterales und mediales Kompartiment der Tibiofemoralgelenke. Ein Clustering der radiologischen Progredienz in verschiedenen Hand- und Fingergelenken wurde mithilfe des ChiQuadrat-Tests bewertet. Beurteilt wurden ausserdem die Symmetrie des Befalls, ein Clustering nach Gelenkreihe oder Strahl sowie eine familiäre Häufung bei Geschwisterpaaren. Schliesslich wurde die Assoziation zwischen der Progredienz der Hand- und Kniearthrose mithilfe einer speziellen statistischen Analysemethode ausgewertet.
Ergebnisse Die Untersucher konnten ein Clustering der Arthroseprogression in verschiedenen Gelenkgruppen der Hand feststellen. Die stärkste Beziehung bestand zwischen den DIP-, PIP- und IP1-Gelenken. Darüber hinaus konnten sie einen symmetrischen Befall (OddsRatio [OR]: 4,7; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 3,3–6,5) und ein Clustering nach Gelenkreihe (OR: 2,9; 95%-KI: 1,9–4,6), nicht jedoch nach Strahl (OR: 1,3; 95%-KI: 0,7–2,4) nachweisen. Hinsichtlich der Progression der Handarthrose liess sich eine familiäre Häufung beobachten. Patienten mit einer Progression der Handarthrose hatten im Vergleich zu Patienten ohne Fort-
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schreiten der Handarthrose ein erhöhtes Risiko für radiologische Veränderungen der Kniegelenke (OR: 2,3; 95%-KI: 1,3–4,0).
Diskussion Die vorliegende Studie zeigt, dass die Progression der Handarthrose vorzugsweise bestimmte Gelenkgruppen der Hand betrifft und dass häufiger ein symmetrisches Muster und eine Arthroseprogression innerhalb der Gelenkreihen, nicht jedoch innerhalb der Fingerstrahlen auftreten. Eine Arthroseprogression wurde besonders häufig am Karpometakarpalgelenk-1 beobachtet, gefolgt vom Interphalangealgelenk-1. Dies stimmt mit den Ergebnissen der FraminghamArthrosestudie überein; diese konnte in einer neunjährigen Nachbeobachtungszeit zeigen, dass die ausgeprägteste radiologische Progression im Karpometakarpalgelenk-1 stattfand. Diese Befunde weisen darauf hin, dass eine Arthrose des Daumensattelgelenks rascher fortschreitet als die Interphalangealgelenkarthrose und dass die Daumensattelgelenkarthrose möglicherweise eine Untergruppe der Handarthrose mit schlechterem Ergebnis repräsentiert. Mehrere Querschnittsstudien zeigen, dass die Symmetrie das stärkste Muster der Gelenkbeteiligung ist, gefolgt von Clustering der Gelenkreihe und des Strahls. Dies deckt sich mit den Beobachtungen der niederländischen Auto-
ren hinsichtlich des Clusterings der Handarthroseveränderung im zeitlichen Verlauf. Die Framingham-Arthrosestudie ergab, dass die Handarthrose symmetrisch auftrat. Diese Befunde sprechen dafür, dass an der Progression der Handarthrose systemische Faktoren beteiligt sind und dass diese wichtiger sind als mechanische Faktoren. Es gibt Hinweise, dass die entzündliche Aktivität sowie das Adipokin Adiponektin mit dem Fortschreiten der Handarthrose zusammenhängen. Die Beobachtung, dass familiäre Faktoren für die Progression der Handarthrose von Bedeutung sind, weist auf eine Beteiligung genetischer Faktoren hin. Es ist bekannt, dass genetische Faktoren einen Einfluss auf die Arthroseanfälligkeit haben, doch ist unklar, welche Rolle sie im Krankheitsverlauf spielen. Patienten, deren Handarthrose während der sechsjährigen Nachbeobachtungszeit progredient verlief, wiesen ein höheres Risiko für radiologische Veränderungen der Kniegelenke auf als diejenigen ohne ein Fortschreiten der Handarthrose; dies galt unabhängig vom Body-Mass-Index (BMI) der Patienten. Auch diese Beobachtung weist darauf hin, dass systemische Faktoren bei der Handarthrose von Bedeutung sein können, denn in aktiven Krankheitsphasen kommt es nicht nur zu einer Progression der Arthrosezeichen an der Hand, sondern auch an anderen Gelenken.
Konsequenzen für die Praxis Die Beobachtungen dieser Studie weisen darauf hin, dass Patienten mit einer progredienten Handarthrose ein erhöhtes Risiko für arthrotische Veränderungen der Kniegelenke und möglicherweise auch anderer Gelenke aufweisen. Deshalb sollte man bei Patienten mit Handarthrose nicht nur die Hände, sondern auch die übrigen Gelenke, insbesondere die Kniegelenke, untersuchen. Die Studie deutet auch darauf hin, dass metabolische und systemische Faktoren für die Pathogenese der Handarthrose von Bedeutung sind. Diese Erkenntnis könnte zur Entwicklung neuer Therapiestrategien beitragen. O
Andrea Wülker
Quelle: Bijsterbosch J et al.: Clustering of hand osteoarthritis progression and its relationship to progression of osteoarthritis at the knee. Ann Rheum Dis 2014; 73: 567–572.
Interessenlage: Die GARP-Studie wurde von der Dutch Arthritis Association und Pfizer finanziell unterstützt.
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