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STUDIE REFERIERT
Vitamin-D-Defizit – ein Risiko für Knie- und Hüftschmerzen
Bei Gelenkschmerzen sollte möglicherweise auch an Vitamin-D-Mangel gedacht werden. In einer longitudinalen bevölkerungsbasierten Kohortenstudie erwies sich ein moderates Vitamin-D-Defizit bei eigenständig lebenden älteren Menschen als Prädiktor für das Auftreten oder eine Zunahme von Knieund Hüftschmerzen.
ANNALS OF THE RHEUMATIC DISEASES
Ein schwerer Vitamin-D-Mangel ist mit Rachitis und Osteomalazie assoziiert. Aber auch ein weniger ausgeprägtes Defizit kann sich bereits ungünstig auswirken. So liegt bei vielen Personen mit Knochen- oder Muskelschmerzen auch ein Vitamin-D-Mangel vor. In Querschnittsstudien zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Gelenkschmerzen und der geografischen Breite. Diese Beobachtung weist auf
Merksätze
O Ein moderater Vitamin-D-Mangel kann bei älteren Menschen mit der Entwicklung oder einer Zunahme von Knie- oder Hüftschmerzen verbunden sein.
O Mit einem Ausgleich des Defizits können die Schmerzen möglicherweise verhindert oder reduziert werden.
O Bei Vitamin-D-Spiegeln über 50 nmol/l ist eine Supplementation zur Vermeidung oder zur Linderung von Knieschmerzen wahrscheinlich nicht wirksam.
den Einfluss klimatischer Faktoren hin. Dazu gehört auch die sonnenabhängige Vitamin-D-Produktion in der Haut. Zudem legen diese Studien eine Verbindung zwischen niedrigen Serumwerten an 25-Hydroxyvitamin D (25-OHD) und Knieschmerzen nahe. Laura Laslet von der University of Tasmania (Australien) und ihre Arbeitsgruppe untersuchten jetzt anhand von Daten der bevölkerungsbasierten Studie TasOAC (Tasmanian Older Adult Cohort), ob der Vitamin-D-Spiegel im Serum eine Veränderung von Knie- oder Hüftschmerzen prädiktiert. Zur Überprüfung ihrer Hypothese führten die Wissenschaftler eine longitudinale Studie mit 769 randomisiert ausgewählten älteren Männern und Frauen (1:1) dieser Kohorte in einem Alter von 50 bis 80 Jahren (Durchschnitt 62 Jahre) durch. Zu Studienbeginn ermittelten sie den 25-OHD-Wert im Serum mit einem Radioimmuno-Assay. Die Knieschmerzen wurden bei Studienbeginn und nach durchschnittlich 5 Jahren anhand des Schmerzfragebogens des Western Ontario and McMaster University Osteoarthritis Index (WOMAC) evaluiert. Die Evaluierung der Hüftschmerzen erfolgte nach durchschnittlich 2,6 Studienjahren und nach 5 Jahren. Hier wurde somit die Veränderung der Schmerzen innerhalb von 2,4 Jahren untersucht. Der WOMAC-Schmerzfragebogen setzt sich aus fünf Unterskalen mit jeweils 0 (keine Schmerzen) bis 9 (sehr starke Schmerzen) Punkten zusammen, die zu einem Gesamtwert von 0 bis 45 addiert wurden. Mithilfe einer linearen Regression nahmen die Autoren einen Abgleich für Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index (BMI) und Jahreszeit vor. Anschliessend adjustierten sie zusätzlich für strukturelle Einflüsse wie Anzeichen
einer Arthrose im Röntgenbild, Knochenmarkläsionen, chondrale Defekte und Muskelkraft.
Ergebnisse Zu Studienbeginn betrug der durchschnittliche Vitamin-D-Serumwert 54 nmol/l (95%-Konfidenzintervall [KI]: 52,5–55,2; Bereich 13–116). Bei 4,2 Prozent der Teilnehmer stellten die Wissenschaftler einen moderaten Vitamin-DMangel mit Werten von 12,5 bis 25 nmol/l fest. Ein schwerer Vitamin-DMangel mit weniger als 12,5 nmol/l wurde nicht beobachtet. Der durchschnittliche WOMAC-Score für das Knie lag zu Baseline bei 3,2 (Bereich 0–39) Punkten. Bei den 175 Personen, deren Knieschmerzen neu auftraten oder sich verschlimmerten, betrug die durchschnittliche Veränderung auf der WOMAC-Skala nach 5 Jahren 4,6 ± 4,7 (Bereich 1–24). Bei den 187 Teilnehmern, deren Hüftschmerzen neu auftraten oder stärker wurden, nahm der Punktwert auf der WOMAC-Skala innerhalb von 2,4 Jahren um durchschnittlich 5,7 ± 6,6 (Bereich 1–40) zu. Bei 25-OHD-Werten unter 25 nmol/l und bei Werten von 25 bis 49,9 nmol/l war der Anteil der Personen, bei denen Schmerzen auftraten oder sich verschlimmerten, höher als bei Serumwerten über 50 nmol/l. Die Unterschiede waren signifikant bezüglich des WOMAC-Gesamt-Scores für das Knie und bezüglich der Subskalen «Treppen steigen», «Sitzen oder Hinlegen» und «Stehen» (Abbildung A). Im Hinblick auf die WOMAC-Scores für die Hüfte wurden ähnliche Ergebnisse, jedoch ohne statistische Signifikanz beobachtet (Abbildung B). Bei Patienten mit moderatem Vitamin-DMangel (25-OHD-Wert: 12,5–25 nmol/l) wurde zudem innerhalb von 5 Jahren eine ausgeprägtere Verschlechterung des WOMAC-Scores für das Knie beobachtet als bei Patienten mit höheren 25-OHD-Konzentrationen. Die Veränderungen des Hüft-WOMAC-Scores waren im Zeitraum von 2,4 Jahren bei moderatem Vitamin-D-Mangel zwar ebenfalls ausgeprägter im Vergleich zu höheren Serumspiegeln, erreichten jedoch keine statistische Signifikanz. Die Assoziation zwischen Vitamin-DSpiegeln und Knie- oder Hüftschmerzen erwies sich nach den Adjustierungen als unabhängig von demografischen,
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STUDIE REFERIERT
Anteil der Personen (%), deren Knieschmerzen neu auftraten oder zunahmen
Anteil der Personen (%), deren Hüftschmerzen neu auftraten oder zunahmen
50 p = 0,015
40
30 p = 0,2
20
p = 0,001
I < 25 nmol/l I 25–49,9 nmol/l I > 50 nmol/l
p = 0,1
p = 0,018 p = 0,028
10
0 WOMAC- Gehen auf im Bett Treppen- Sitzen oder Stehen
Gesamt- ebenem
steigen Hinlegen
Score Boden
A: Veränderung der Knieschmerzen innerhalb von 5 Jahren
50 40 p = 0,3 30 20
p = 0,3
p = 0,2
p = 0,04
I < 25 nmol/l I 25–49,9 nmol/l I > 50 nmol/l
p = 0,4 p = 0,2
10
0 WOMAC- Gehen auf im Bett Treppen- Sitzen oder Stehen
Gesamt- ebenem
steigen Hinlegen
Score Boden
B: Veränderung der Hüftschmerzen innerhalb von 2,4 Jahren
Abbildung: Anteil der Personen (%), bei denen Knie- oder Hüftschmerzen auftraten oder deren Schmerzen stärker wurden, entsprechend den 25-OHD-Kategorien zu Baseline (nach Laslett et al.)
anthropometrischen und strukturellen Kovariaten.
Diskussion Die Autoren konnten – nach ihrem Wissensstand – in dieser Studie erstmals zeigen, dass ein moderater Vitamin-D-Mangel mit 25-OHD-Spiegeln bis 25 nmol/l eine Zunahme von Knieschmerzen prädiktiert. In diesem niedrigen Wertebereich steigt die Konzentration des Parathormons an, und es kommt häufiger zur Osteomalazie. Nach Ansicht der Wissenschaftler tragen ihre Ergebnisse auch zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen der geografischen Breite und dem Auftreten von Gelenkschmerzen bei. Der beobachtete Schwelleneffekt bei 25 nmol/l stimmt mit Querschnittsstudien überein, in denen das unterste 25-OHDTerzil (17–38,8 nmol/l) mit Knieschmerzen verbunden war (Odds-Ratio [OR] = 1,47; p = 0,08), das mittlere Terzil (35,9–51 nmol/l) dagegen nicht (OR = 1,04; p = 0,83).
Zu den potenziellen Erklärungen für 25-OHD-vermittelte Schmerzen gehören synoviale Entzündung, Osteomalazie und Hyperparathyroidismus. Der aktive Vitamin-D-Metabolit 1,25(OH)2D wirkt antiproliferativ und reguliert so Entzündungsmarker herunter, die mit nicht belastungsbedingten Knieschmerzen verbunden sind. Eine beeinträchtigte Knochenmineralisierung – aufgrund des sekundären Hyperparathyroidismus – bewirkt eine Flüssigkeitsabsorption und eine Ausdehnung der Knochenmatrix, was wiederum zu einer Druckzunahme im periostalen Gewebe und zu Schmerzen führt. Derzeit wird debattiert, ob ein Vitamin-D-Spiegel unter 25 nmol/l oder unter 30 nmol/l als moderater Mangel betrachtet werden sollte. In der hier vorgestellten Studie reduzierte die Anwendung eines «Cut-off-Punkts» von 30 nmol/l zwar die Effektgrössen im Hinblick auf die Knieschmerzen, dennoch blieb die Verbindung zwischen niedrigen 25-OHD-Serumwerten und
der Inzidenz oder der Zunahme von Knieschmerzen statistisch signifikant. Die Verbindung zwischen 25-OHDSerumwerten und Hüftschmerzen war bei Anwendung des neuen Schwellenwerts dagegen nicht länger evident. Das legt nach Meinung der Autoren nahe, dass die 25-OHD-Konzentration von 25 nmol/l im Hinblick auf Schmerzendpunkte der geeignetere Wert ist. O
Petra Stölting
Laslett LL et al.: Moderate vitamin D deficiency is associated with changes in knee and hip pain in older adults: a 5-year longitudinal study. Ann Rheum Dis 2014; 73: 697–703.
Interessenkonflikte: keine deklariert
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