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Arsenicum – Hobbyarzt
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Rubriken — ARSENICUM
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6044
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN

Hobbyarzt
D u solltest dir ein Hobby zulegen!», sagte Kollege Daniel kürzlich mahnend zu mir. «Das täte dir gut. Es entspannt, macht glücklich, lenkt vom schweren Berufsalltag ab.» Ich wandte ein, dass ich meistens happy und locker sei und keinerlei Ablenkung von der Leichtigkeit des Hausarzseins wünsche. «Chabis!», rief er, «du Chrampfer brauchst ein Steckenpferd!» Und schilderte, wie sehr ihn das Saxophonspielen relaxe. Weil ich unsere alte Freundschaft nicht gefährden wollte, verriet ich ihm nicht, dass sein Musizieren seine Zuhörer in so extreme Anspannung versetzt, dass sie diese nur durch Flucht lindern können. Daniel schwärmte über sein zweites Hobby: Golf. Nicht das Auto von VW, sondern das, was Oscar Wilde als «a spoilt walk» abqualifizierte. Mein Kollege belehrte mich über Schläger mit Carbon, Hole-in-ones und Birdies. Ich verstand nur wenig, kapierte aber zumindest, dass Golf-Birdies keine Voliere brauchen, aber die Ausrüstung wichtig und teuer ist. Ein Golfellenbogen reicht auf dem Green nicht aus. Diverse Gegenstände, die die Sportartikelindustrie im grünen Bereich halten, sind ein «must». Sie unterliegen zudem der Mode. Was erklärt, warum Daniel so komische karierte Hosen trägt. Er berichtete, dass er seinen gut funktionierenden, aber nicht mehr stylishen Caddy seinem Sohn habe weitergeben müssen. Vermutlich wird dieser arme Teenie jetzt von seinen Peers verhöhnt, weil er Altes vom Alten benutzen muss. Daniel ging nicht auf meine Empfehlung ein, seinem Sohn den neuen Caddy zu geben, da der Filius in einem Alter sei, in dem man für Kritik seiner Kumpels empfindlich ist und der Fashion folgen muss. Mein Freund hingegen, als erfolgreicher Mittfünfziger mit kardiologischer Praxis aurea, könnte ohne Imageschaden seinen VintageCaddy benutzen. Daniel perseverierte: «Ein sportliches und ein künstlerisches Hobby sollte jeder pflegen!» «Ich gucke jeden Samstag Sport im TV!», rief ich. «Und beim Telefonieren kritzele ich Ornamente mit dem Kuli auf den Telefonblock!» Daniel bestritt, dass das standesgemässe Hobbys seien. Er schlug mir eine Reihe von Tätigkeiten vor, vor denen ich mich schon als Kind hatte drücken wollen: Modellbau. Eisenbahn. Traumatische Erinnerungen aus meiner Jugend ergriffen mich. Finger, die wegen Sekundenkleber unlösbar an Balsaholz klebten. Öde Nachmittage bei Nieselregen im Freien. Mit meinen Vater, den heimtückisch

abstürzende Modellflugis und stets sinkende Modellschiffe zur Verzweiflung brachten. Von wegen Glück und Entspannung … Daniel schnaubte verächtlich, als ich ihm weitere Lieblingsbeschäftigungen von mir aufzählte. Soap-Serien aufnehmen und später schauen, mit Wegspulen der Werbung. Mit den Kids chillen, Limonade trinken, Chips mampfen und quatschen. Mit der Frau den Sonnenuntergang geniessen. Hinter Kumpel Jörg auf seiner BMW mitfahren – auf kurvigen Passstrassen. Den Gruselgeschichten lauschen, die die Kolleginnen Klaudia und Kerstin in ihrem Spitalärztinnenjob erleben/erleiden müssen und sich über die eigene Unabhängigkeit freuen. Im «Ricardo» Krempel aus Keller und Estrich verhökern und sich den Erlös zusammen mit Freunden im «Schwarze Mutz» durch die Gurgel jagen, in Form von ein wenig zu viel Bier. Daniel schüttelte angewidert den Kopf und mahnte, dass Alkohol nur bei Wine-Tastings in WHO-konformen Mikromengen degustiert werden solle. Mehr sei degoutant. Zudem gefährlich fürs Gehirn. Dieses würde von Scrabble, Schach, Bridge oder Sudokus profitieren. Mich schauderte. Ich muss schon im Beruf genug hirnen – da zermartere ich mir doch nicht freiwillig das Hirn in meiner Freizeit! Allenfalls mal im «Rössli» mit ein paar Altersheiminsassen beim Jassen. Doch Daniel akzeptierte auch das nicht. Weder als Zerebralhobby noch als Pferdesport. «Und ein Haustier? Einen Hund?», schlug er vor. «Allenfalls einen Reisfinken!», sagte ich resolut. «Oder einen Helmkasuar. Ich lege mir doch nicht ein Tierchen zu, dass ich lieb gewinne und dessen Tod mir dann das Herz bricht!» Daniel gab auf. «Na, wenigstens hast du noch die Gartenarbeit …», seufzte er. «Nüüt isch! Das ist mein Hobby!», röhrte meine Frau, die gerade hereinkam. «Allenfalls auf der Liege liegen oder den Rasen schneiden darf er!» Und dann mähte sie Daniel nieder. Machte ihm klar, dass sie keinen Hobbybergsteiger, -angler oder -segler wolle, der ständig weg sei. Keinen Tschüttler, Taucher oder Guggenmusiker, der mit seinen Freunden statt mit seiner Familie seine Freizeit verbringe. Keinen schweigsamen Briefmarkensammler oder Bastler, der nur körperlich, aber nicht geistig anwesend sei Sie wolle einen Couch-Potato wie mich. Einen, der wie ich ihrer Kochkunst alle Ehre erweise. Der allenfalls mal ein wenig Velo fahre, während sie in der Badewanne liege oder sich epiliere. «Er ist kein Hobbyarzt, sondern Hausarzt mit Leib und Seele. Und er braucht kein Arzthobby. Sondern ein bisschen Spass und viel Frieden, wenn er mal frei hat.»

ARSENICUM

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ARS MEDICI 17 I 2014