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Osteoporose bei Männern
Update zu Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie
FORTBILDUNG
Männer leiden weniger häufig unter einer Osteoporose als Frauen. Deshalb wird diese Erkrankung bei ihnen häufig übersehen. In einer Übersichtsarbeit haben britische Wissenschaftler den aktuellen Wissensstand zur Osteoporose bei Männern zusammengefasst.
Lancet Diabetes Endocrinol
Wie bei Frauen liegt bei Männern definitionsgemäss eine Osteoporose vor, wenn der Wert der mineralischen Knochendichte (bone mineral density, BMD) um 2,5 oder mehr vom Durchschnittswert für junge Erwachsene (T-Score: –2,5 oder darunter) abweicht. Auch bei Männern erhöht eine Osteoporose das Frakturrisiko, jedoch in geringerem Ausmass als bei Frauen.
Entwicklung der Knochenmasse
In den ersten Lebensjahrzehnten reichert sich die Knochenmasse bis zu einem Maximalwert an. Dessen Höhe wird durch genetische und umweltbedingte Faktoren beeinflusst. Ab der Pubertät unterscheidet sich die Knochenentwicklung der Geschlechter. Bei Männern ist der Maximalwert der Knochenmasse aufgrund einer längeren Knochenreifung höher als bei Frauen, und vermutlich tragen auch Androgene dazu bei. Daraus resultiert eine ausgeprägtere Zunahme der Knochengrösse und der Kortikalisdicke, sodass Männer insgesamt grössere und stärkere Knochen haben als Frauen. Der Maximalwert der Knochenmasse ist ein entscheidender Faktor im Hinblick auf das spätere osteoporosebedingte Frakturrisiko. Die höchste BMD wird in der Hüfte im Alter von 20 Jahren und in der Wirbelsäule mit 30 Jahren erreicht. Danach nimmt die Knochenmasse kontinuierlich wieder ab. Der Knochen unterliegt lebenslangen Umbauprozessen, wobei sich Knochenresorption und Knochenaufbau abwechseln. Überwiegt die Resorption, kommt es zu einem Remodelling-Ungleichgewicht und zum Knochenverlust. Eine Steigerung des Knochenumsatzes kann ebenfalls zu einem vermehrten Knochenabbau führen. Diese ist bei Männern weniger stark ausgeprägt als bei Frauen.
MERKSÄTZE
� Östrogen spielt auch bei Männern eine Schlüsselrolle für die Knochenhomöostase.
� Für das Management der Osteoporose werden Lebensstiländerungen, eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D und Kalzium sowie Bewegungsprogramme empfohlen.
� Mit Bisphosphonaten, Denosumab oder Teriparatid kann die Knochendichte erhöht werden.
Pathophysiologie der Knochenalterung
Der altersbedingte Knochenverlust steht mit 3 Hauptprozessen in Zusammenhang: s trabekulärer Knochenverlust s kontinuierliche Nettoresorption an der endokortikalen
Oberfläche s Abnahme der kortikalen volumetrischen BMD. Das Muster des trabekulären Knochenabbaus unterscheidet sich bei den Geschlechtern. Während bei Frauen die Anzahl der Trabekel abnimmt, verringert sich bei Männern die trabekuläre Dicke. Die Abnahme der Trabekelanzahl wirkt sich ungünstiger auf die Knochenstärke aus als die Abnahme der Dicke, was dazu beiträgt, dass die Knochen von Männern weniger leicht brechen. Mit dem Alter nimmt die Resorption an der endokortikalen Oberfläche zu. Dieser Prozess steht in Zusammenhang mit einer Abnahme der Sexualhormone. Er beginnt im Alter von etwa 40 Jahren und beschleunigt sich bei Männern ab einem Alter von 70 Jahren. Bei Frauen beginnt die Beschleunigung der Resorption dagegen bereits in der Perimenopause (Tabelle). Aus Beobachtungsstudien geht hervor, dass Östrogen auch bei Männern eine Schlüsselrolle für die Knochenhomöostase einnimmt. In einigen Untersuchungen erwies sich eine niedrige Östradiolkonzentration als Hauptursache für den kortikalen Knochenschwund, der mit der Abnahme der Sexualsteroide einhergeht.
Abschätzung des Frakturrisikos
Zur Abschätzung des Frakturrisikos bei Männern stehen verschiedene Instrumente zu Verfügung. Zu den bekanntesten gehören das Fracture Risk Assessment Tool (FRAX) sowie der Garvan-Risiko-Score und QFracture. Mit diesen Tools kann das Frakturrisiko für die nächsten 1 bis 10 Jahre prognostiziert werden. Die Bestimmung des T-Scores am Oberschenkelhals ist zur Vorhersage ebenso geeignet.
Ursachen der Osteoporose bei Männern
Bei der idiopathischen Osteoporose handelt es sich um eine heterogene Erkrankung, die oft mit der familiären medizinischen Vorgeschichte in Zusammenhang steht. Umweltbedingte Faktoren können jedoch ebenfalls eine Rolle dabei spielen. Eine sekundäre Osteoporose kommt bei Männern häufiger vor als bei Frauen und kann durch endokrine Störungen, Lebensstilfaktoren, Erkrankungen und Medikamente
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Tabelle:
Charakteristika der Knochenentwicklung und -alterung bei Männern und Frauen (nach Vilaca et al. 2022)
Männer Frauen
höhere Maximalknochenmasse und grössere Knochenstruktur
geringere Maximalknochenmasse und kleinere Knochenstruktur
langsame Abnahme der Konzentration von Sexualsteroiden
Menopause führt zum Rückgang der Östrogenkonzentration
und normaler Knochenumsatz
und zu erhöhtem Knochenumsatz
Abnahme der Trabekeldicke
Abnahme der Trabekelanzahl
Verdünnung der Kortikalis und erhöhte kortikale Porosität
Verdünnung der Kortikalis und erhöhte kortikale Porosität
Kasten:
Ursachen der sekundären Osteoporose bei Männern
Endokrine Ursachen ▲ Glukokortikoidüberschuss (meist exogen) ▲ Hyperthyreose ▲ Hyperparathyreoidismus ▲ Hypogonadismus ▲ Diabetes Typ 1 und Diabetes Typ 2
Gastrointestinale Erkrankungen ▲ Malabsorptionssyndrome ▲ entzündliche Darmerkrankungen und Zöliakie ▲ chronische Lebererkrankungen ▲ Postgastrektomie und bariatrische Operationen
Weitere Ursachen ▲ Alkoholkonsum ▲ Rauchen ▲ neuromuskuläre Erkrankungen ▲ Posttransplantationsosteoporose ▲ chronische Nierenerkrankung ▲ chronisch obstruktive Lungenerkrankung ▲ rheumatoide Arthritis und andere entzündliche Arthritiden ▲ monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz und multiple
Myelome ▲ Mastozytose ▲ idiopathische Hyperkalziurie ▲ zystische Fibrose ▲ Osteogenesis imperfecta ▲ humanes Immundefizienzvirus (HIV)
Medikamente ▲ Antikonvulsiva ▲ Protonenpumpeninhibitoren ▲ Chemotherapeutika ▲ Proteasehemmer ▲ Antidiabetika (Thiazoledindione und SGLT2-Hemmer
[SGLT2: sodium-glucose linked transporter 2])
verursacht werden (Kasten). Bei vielen Männern wird im Zusammenhang mit Krebserkrankungen der Prostata eine Androgendeprivation (ADT) durchgeführt. Die am häufigsten verwendeten GnRH-Agonisten (GnRH: gonadotropin-releasing hormone) führen zu einer schnellen und erheblichen Reduzierung zirkulierender
Androgene und Östrogene und darüber zu einer Beeinträchtigung des Knochen-Remodelling-Gleichgewichts. Innerhalb des ersten Jahres einer ADT ist der Knochenverlust bei Männern höher als der altersbedingt erwartete und auch ausgeprägter als der perimenopausale Knochenverlust bei Frauen.
Vorgehensweise beim Management
Das Management beginnt mit einer Evaluierung der gesundheitlichen Auswirkungen der Osteoporose. Dazu gehören Rückenschmerzen, eine Verminderung der Körpergrösse oder eine Kyphose. Im nächsten Schritt erfolgt eine Identifizierung der individuellen Frakturrisikofaktoren. Dazu gehören vor allem kürzlich erlittene Frakturen. Bei den Betroffenen ist das Risiko für einen erneuten Knochenbruch innerhalb der nächsten 12 bis 24 Monate deutlich erhöht. Vom Patienten modifizierbare Risikofaktoren sind Rauchen, Alkoholkonsum, ein zu hohes Körpergewicht, unzureichende Sonnenlichtexposition und ein bewegungsarmer Lebensstil. Mit Bewegungsprogrammen, häuslichen Interventionen und Sportarten wie Tai-Chi kann Stürzen vorgebeugt werden. Des Weiteren wird eine tägliche orale Gabe von Vitamin D (800 IE) und Kalzium (1000 mg) zur Osteoporoseprävention empfohlen. Ein Vitamin-D-Mangel kommt besonders häufig bei Personen vor, die das Haus nicht verlassen können, sowie bei Malabsorption und bei Einnahme von Medikamenten, die den Vitamin-D-Stoffwechsel verändern. Manche Patienten mit Malabsorption profitieren von einer intramuskulären Vitamin-D-Applikation.
Medikamentöse Therapie
Für Männer mit hohem Frakturrisiko wird eine pharmakologische Behandlung empfohlen. Dazu stehen verschiedene Medikamente zur Verfügung.
Bisphosphonate Bisphosphonate sind Analoga von Pyrophosphat. Sie inhibieren das Enzym Farnesyl-Pyrophosphatsynthase in den Osteoklasten, was in einer Hemmung der Knochenresorption resultiert. Bisphosphonate werden oral (Alendronat: Fosamax® und Generika; Ibandronat: Bonviva® und Generika; Risedronat: Actonel® und Generika) oder intravenös (Zoledronat: Zometa® , Aclasta® und Generika; Ibandronat) appliziert. Orale Bisphosphonate können Irritationen der Speiseröhre verursachen und sind schlecht resorbierbar. Deshalb wird empfohlen, sie 30 Minuten vor dem Frühstück mit viel Wasser einzunehmen und sich nach der Einnahme nicht hinzule-
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gen. In der Schweiz stehen Alendronat und Risedronat als Wochentablette zur Verfügung, und Ibandronat ist hier als Monatstablette sowie als Injektionslösung erhältlich. Zoledronat ist bei etwa einem Drittel der Patienten mit Fieber und Arthralgie verbunden. Mit nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) können diese Beschwerden gelindert werden. Bei längerfristiger Applikation sind Bisphosphonate mit einem erhöhten Risiko für atypische Femurfrakturen verbunden. Deshalb sollte nach 5-jähriger Einnahme oraler Bisphosphonate und nach 3-jähriger Anwendung von Zoledronat eine Anwendungspause von 2 Jahren eingelegt werden.
Denosumab Bei Denosumab handelt es sich um einen Antikörper, der an den RANK-Liganden (receptor activator of NF-κB ligand, RANK-L) bindet. RANK-L ist ein Schlüsselfaktor, der die Differenzierung der Präosteoklasten zu Osteoklasten fördert, ihre Aktivität steigert und ihre Apoptose inhibiert. Durch die Blockade der Wechselwirkung zwischen RANK-L und RANK hemmt Denosumab die Knochenresorption. Das Medikament wird alle 6 Monate als subkutane Injektion in einer Dosierung von 60 mg verabreicht. Unter Denosumab kann es zu einer Hypokalziämie kommen. Deshalb muss auf eine ausreichende Zufuhr von Kalzium und Vitamin D geachtet werden. Nach langfristiger Behandlung ist das Absetzen des Medikaments mit einem stark vermehrten Knochenumsatz verbunden, was teilweise mit Zoledronat verhindert werden kann.
Teriparatid Teriparatid ist ein Polypeptid aus 14 Aminosäuren des menschlichen Parathormons. Dieses Medikament stimuliert die Knochenbildung und übt eine anabole Wirkung auf den Knochen aus. Teriparatid wird als tägliche subkutane Injektion in einer Dosierung von 20 µg über einen Zeitraum von bis zu 2 Jahren verabreicht, danach folgt eine antiresorptive Behandlung mit Bisphosphonaten. Das Medikament kann mit dem Auftreten von Hyperkalziämie, Schwindel, Übelkeit und Kopfschmerzen verbunden sein.
Nicht zugelassenen Optionen
Zu den für Männer nicht zugelassenen Optionen gehört ne-
ben Rosozumab die Testosteronsubstitution. Der Ersatz von
Testosteron führt zu einer geringfügigen Zunahme der BMD,
die jedoch nicht so hoch ist wie bei Einnahme von Medika-
menten gegen Osteoporose. In Studien wurde unter einer
Testosteronsubstitution keine Senkung des Frakturrisikos
beobachtet.
s
Petra Stölting
Quelle: Vilaca T et al.: Osteoporosis in men. Lancet Diabetes Endocrinol. 2022;10;273-283.
Interessenlage: 1 der 3 Autoren des referierten Reviews hat Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.